Bitte kein Mitleid: Helen Levitt in der Albertina

Helen Levitt, New York, 1940, Silbergelantinepapier | Albertina Wien. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Sie wurde für ihre Fotos von spielenden Kindern in prekären Verhältnissen bekannt, in Österreich sah man ihre Arbeiten bisher zu selten: Nun zeigt die Albertina das Oeuvre der US-Fotografin Helen Levitt. In ihren manchmal surrealen, immer sorgfältig komponierten Bildern vermeidet sie den mitleidserregenden Blick.


Vier Kinder schlendern auf der Straße. Hinter ihnen steigen einige Seifenblasen auf. Sie blicken den ephemeren Gebilden nach. Zwei Jungs posieren, lässig an einem Geländer lümmelnd, mit Zigaretten im Mund. Ein Mädchen blickt, eine Lilie in der Hand, die Finger krallenartig abgespreizt, voller Skepsis in die Kamera.


Die Kinderdarstellungen

Die US-Fotografin Helen Levitt (1913–2009) ist zu Recht bekannt für ihre Abbildungen von Kindern, fast immer fotografiert in damals ärmlichen Gegenden New Yorks. Rund zwei Drittel ihres Œuvres, aus dem die Albertina nun 130 Werke zeigt, nehmen Bilder von spielenden Buben und Mädchen ein, erzählt Ausstellungskurator Walter Moser.

Doch im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die wie sie arme Menschen fotografierten, zielte ihr Blick nicht auf Mitleid. „Es gab damals in der sozialkritischen Fotografie Typen wie etwa das ‚Slumkind‘. Diese Strategie brach sie, indem sie die Kinder als Individuen zeigte“, so Moser. Levitts Arbeiten zeigen eher den performativen Aspekt: die Straße als Bühne. „Die Lebensrealität der Kinder wird dabei nicht außer Acht gelassen. Doch es geht mehr um die Performance.“

 

Helen Levitt, New York, 1940, Silbergelantinepapier | Albertina Wien. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Helen Levitt, New York, 1940, Silbergelantinepapier | Albertina Wien. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Levitts Arbeiten wären nur halb so spannend, wenn sie nicht intuitiv den vielzitierten „moment décisif“ erwischen würden. Denn so, wie das eingangs erwähnte Mädchen die Finger abspreizt, wirken sie wie eine Kralle – und verklammern sich visuell mit der Lilie. Und er Blick der Kinder auf die Seifenblasen kündet von fragilen Träumen.

Oft verbergen sich auch Rätsel: Eine Hand erscheint zwischen einem Vorhang und einer Fensterscheibe, als wäre sie ein Exponat in einer Museumsvitrine; sie zeigt nach rechts – worauf verweist sie wohl? Auch die Frau, deren Kopf im Kinderwagen verschwindet und die Beine, die sich unter einer Kiste drängen, zeigen: Levitt setzte sich stark mit dem Surrealismus auseinander.

Es gab damals in der sozialkritischen Fotografie Typen wie etwa das ‚Slumkind‘. Diese Strategie brach sie, indem sie die Kinder als Individuen zeigte.

Dr. Walter Moser

„Man sieht aber auch den Einfluss von Slapstick, etwa eines Buster Keaton, wenn Gegenstände ein Eigenleben zu entwickeln scheinen“, erklärt Kurator Walter Moser. Für ihre Fotografien, die um 1940 in New York entstanden, trat Helen Levitt sichtlich in Kommunikation mit den Abgebildeten. Manchmal scheinen sie sich regelrecht gegen das Fotografiert-Werden zu wehren – etwa jene drei jungen Frauen, die auf einer Stiege sitzen und deren Mienenspiel ganz deutlich Missfallen ausdrückt.

Andere Protagonisten setzen sich selbst in Szene: Da ist etwa der Feschak, der sich mit seiner Zigarette und seinem Hut regelrecht in Pose wirft. Levitt scheute nicht davor zurück, durch die Bearbeitung der Bilder deren Aussage zuzuspitzen: Da werden überflüssige Personen weggeschnitten oder Szenerien enger gefasst.

Helen Levitt, New York, 1940, Silbergelantinepapier | Albertina Wien. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Helen Levitt, New York, 1940, Silbergelantinepapier | Albertina Wien. Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln


Technologische Avantgarde

Die Ausstellung macht das dadurch nachvollziehbar, dass auch Negative ausgestellt werden. Später zählte Levitt zu den Pionieren der New Color Photography. Einige Beispiele zeigen, wie sie Farbe in ihre Kompositionen miteinbezog.

Derselbe Ort, zwei Bilder: Das Schwarzweißfoto zeigt eine komödiantische Szene, bei der ein älterer Herr scheinbar lüstern auf eine Schaufensterpuppe blickt. Auf dem Farbbild dagegen befinden sich mehrere Personen, zwei davon von Kopf bis Fuß in Dunkelblau gekleidet, das wiederum einen reizvollen Kontrast zu der roten Schrift in der Auslage bildet.

Helen Levitt, New York, 1940, Dye-Transfer-Print | Film Documents LLC © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Helen Levitt, New York, 1973, Dye-Transfer-Print | Film Documents LLC © Film Documents LLC / Galerie Thomas Zander, Köln

Noch etwas fällt auf: Konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner zuvor noch räumlich frei entfalten, so werden sie später zunehmend beengt, drängen sich in Telefonzellen aneinander oder kauern unter Autos. So erzählt Helen Levitt auch vom Wandel der ebenso grandiosen wie herausfordernden Metropole New York.

 

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

Helen Levitt

bis 27. Januar 2019

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