Im Porträt

Angelika Loderer im Belvedere 21

Ausstellungsansicht "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Höchste Zeit: Angelika Loderer erhält ihre erste Personale in einer Museumsinstitution. Die Ausstellung „Soil Fictions“ im Belvedere 21 ist eine detailreiche Momentaufnahme im Œuvre der Künstlerin, die sortierten Überblick verschafft und Lust auf die nächsten Kapitel dieser Künstlerinnenkarriere macht.


Es scheint unmöglich, aktuell am Werk von Angelika Loderer vorbeizukommen, und das zu Recht. Die 1984 in der Steiermark geborene Künstlerin ist Teil der Ausstellungen „20 Jahre Verbund“ in der Albertina und „The Beauty of Diversity“ in der Albertina Modern sowie noch bis Mitte Mai der Schau „Re-enchantment“ bei Thaddaeus Ropac in Paris. 2016 gestaltete Angelika Loderer eine PARNASS Edition zum 35. Jubiläum unseres Mediums. Außerdem präsentiert ihre Galerie Sophie Tappeiner Angelika Loderer regelmäßig im Wiener Galerieraum sowie auf internationalen Messen, zuletzt auch lokal auf der SPARK Art Fair Vienna.  Im Belvedere 21 entschieden die Künstlerin und die Kuratorin Verena Gamper ein eigenes Narrativ zu entwickeln, speziell für die Präsentation.

Wir haben uns für eine In-situ-Arbeit entschieden, die fast ausschließlich neue Werke miteinander verbindet und dennoch einen analytischen Blick auf das bisherige Werk erlaubt – man kann die thematischen Felder, die Angelika Loderer interessieren, herauslesen.

Kuratorin, Verena Gamper

Ebendieser Blick entsteht durch einen besonderen Coup: Alle Arbeiten werden sockellos am Boden ausgelegt und aufgestellt, die Betrachter müssen sich ihnen „zuneigen“. In klinischem Licht ist ein dichtes Rechteck gelegt, sortiert in kleinere Untergruppen – vergleichbar mit einer „archäologischen Grabungsstätte“, so Gamper.

PARNASS: Wie kam der Boden in den Vordergrund dieser Ausstellung? Lag es an der spezifischen Architektur des Raumes? 

Angelika Loderer: Dieser Raum, der sich im Untergeschoss des Belvedere 21 befindet und mit seinen großen Fenstern Blicke nach draußen gewährt, hat bei mir das Interesse am Zusammenspiel von Innen und Außen geweckt. Die Formfindung erfolgte bei dieser Ausstellung ähnlich wie in meinen Arbeiten, wo das Negativ den Raum formt, indem ich mit klassischen bildhauerischen Materialien und Techniken arbeite und den Boden und die Erdanziehungskraft als gestalterische Mittel einsetze.

Oft geht es mir um das Sichtbarmachen von Dingen, die für viele nicht zugänglich sind beziehungsweise für die gar kein Bewusstsein herrscht. Der Boden und seine verborgenen Geschichten wurden dabei Teil einer spielerischen Fiktion, in der ich eine ‚Co-Autor*innenschaft‘ mit nichtmenschlichen Lebewesen eingegangen bin.

Angelika Loderer in der Ausstellung "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Angelika Loderer in der Ausstellung "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

P: Du begehst also wirklich die Natur und stößt so auf neue Formen? 

AL: In einer Landschaft, in der der Mensch bereits sehr starke Spuren hinterlassen hat und das Prekäre fast schon zur Norm geworden ist, interessieren mich funktionierende und verborgene Ökosystem. Fragile und schützenswerte Bereiche, die zunächst wenig bedeutsam erscheinen, jedoch eine hohe Biodiversitätsdichte auf kleinstem Raum in sich bergen. Damit verbunden ist auch die Frage: Wie kann man etwas sichtbar machen, das eigentlich keinen Körper hat? 

P: Du verstehst deine Arbeit auch als politisch?

AL: Auf jeden Fall! Natürlich auch ökopolitisch.

P: Auch Teil der Ausstellung ist deine Beschäftigung mit Pilzmyzelien. Du setzt einen Rahmen, in dem die Mikroorganismen reagieren können, zum Beispiel finden wir Flaschen mit lebenden Pilzmyzelien in der Schau, in anderen Arbeiten „besetzen“ die Pilzmyzelien von dir gewählte Fotos und „überarbeiten“ diese Bilder. 

AL: Ja, es gibt auch einige Arbeiten zu sehen, für die ich mit Pilzmyzel arbeite, manche davon sind schon getrocknet, andere noch lebendig. Pilznetzwerke, die sich unterirdisch um die ganze Welt spannen, tragen unsichtbar Informationen weiter und kommunizieren miteinander. In der Ausstellung zeige ich zum Beispiel Pilze in alten Musikkassettenhüllen mit Fotos. Die Musikkassette ist ein vergessenes Medium. In den Kassettenhüllen  findet sich eine Art Foto-Lovestory statt, die von den Pilzen aneignet wird.

Angelika Loderer, Moth Trap (Detail), 2024, Courtesy Sophie Tappeiner, Photo: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Vienna 2024

Angelika Loderer, Moth Trap (Detail), 2024, Courtesy Sophie Tappeiner, Photo: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Vienna 2024

P: Die Narration reicht aber noch weiter – nicht umsonst trägt der Ausstellungstitel das Wort „Fictions“ in sich.

AL: Für mich ist der Boden auch ein Zeitspeicher, in dem die Geschichte der Menschheit vergraben liegt, und den wir mit Mitteln der Geologie und Archäologie zu verstehen versuchen.

Ausstellungsansicht "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Ausstellungsansicht "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

P: Die Anordnung der Objekte ist markant und ungewöhnlich – Besuchende müssen sich, so die Wortwahl der Kuratorin Verena Gamper, den Arbeiten „zuneigen“. 

AL: Es soll an eine Art archäologische Auflegung erinnern, an die Form in der Funde an archäologischen Ausgrabungsstätten präsentiert werden, um so etwas wie Objektivität und Gleichwertigkeit zu schaffen. Die Plastiken aus Gips stellen eigentlich einen Zwischenschritt im Herstellungsprozess von Gussplastiken dar, im Rahmen dieser Ausstellung werden sie gleichwertig neben allen anderen Werken gezeigt.

P: Du arbeitest gerne mit dem Zufall und der Abgabe von Kontrolle: Bei den Pilzarbeiten kennst du den genauen Ausgang nicht, ebenso wenig, wenn du Gips in ein Erdloch gießt und es seine Form erst beim Ausgraben offenlegt. Du spielst hier mit der Co-Autorenschaft der Lebewesen.

AL: In der Ausstellung stammt tatsächlich nicht alles von mir. Es gibt zum Beispiel auch gefundene, ausgekochte Knochen, die sich zu Formfreundschaften mit anderen Werken zusammenfinden. Neben diesen Fundstücken basiert vieles, das gezeigt wird, auf einer Architektur von Tieren: Ich habe Grillenlöcher, Wespenhöhlen, Maulwurfsgänge und auch Specht-Höhlen ausgegossen und die Erde als Negativform benutzt. 
Die Formentscheidung liegt nicht bei mir, das Werk entsteht in Zusammenarbeit mit der Natur und dem Material. Das ist auch der zentrale Gedanke der Ausstellung „Soil Fictions“. Auch der Katalog ist eine kooperative Arbeit – neben den Autorinnen, die ihre Texte beitragen, gibt es einen Comic, den der Comic-Artist Layet Johnson mit mir gemeinsam gestaltet hat. Außerdem habe ich eine kleine Edition von Gel-Nägeln gemeinsam mit der Nagelkünstlerin Laura Estermann entwickelt – die Hand ist in der Skulptur, aber auch beim Graben ja ganz zentral, wie ein Werkzeug. Dazu kommt ein spannendes Rahmenprogramm.

Ausstellungsansicht "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Ausstellungsansicht "Angelika Loderer. Soil Fictions", Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Belvedere 21

Quartier Belvedere, Arsenalstraße 1, 1030 Wien
Österreich

Angelika Loderer
Soil Fictions

Bis 15. September 2024

Die Ausstellung ist ein Beitrag des Belvedere zur Klima Biennale Wien. Mehr dazu im kommenden PARNASS!


Dieser Text wurde gekürzt. Den ganzen Beitrag lesen Sie in unserer Frühlingsausgabe

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