Wie vererbt man Leidenschaft?
In der öffentlichen Diskussion ist die Erbengeneration erstaunlich verkürzt präsent: Bei dem Stichwort „Erbe“ wird offenbar ausschließlich an Geld gedacht. Das macht eine Erbschaft so attraktiv wie die Aussicht auf einen Lottogewinn, denn Geld verschafft Möglichkeiten. Man kann es vielfältig einsetzen oder einfach nur genießen, dass es da ist. Geld muss den bisher gelebten Stil nicht beeinflussen. Geld ist nur eine Option. Doch so ist es beim Erben von Kunst gerade nicht.
Kunsterben stehen vor einer dysfunktionalen Ansammlung, die in jeder Hinsicht sperrig ist: tatsächlich und vor allem emotional.
Erben heißt in die Rechtsposition des Vorgängers eintreten. Es geht also um alles und nicht nur um komfortable Bankguthaben. Nachlässe von Künstlern und Sammlern sind behäbig und raumgreifend. Wertend auf den Punkt gebracht: Kunsterben stehen vor einer dysfunktionalen Ansammlung, die in jeder Hinsicht sperrig ist: tatsächlich und vor allem emotional. Hinzu kommt, dass die Bekanntheit der Vorfahren Druck auf die Erben ausübt, alles „richtig“ zu machen.
Ob man die Firma erbt, mit der das Geld für die Kunstsammlung erwirtschaftet wurde, oder ob man die Sammlung übernehmen soll, kommt vom Leistungsdruck her aufs Gleiche hinaus. Künstlernachlässe sind direkt Kunst und Betrieb in einem. Erben von Sammlern und Künstlern finden sich also in einer Konstellation wieder, die man aus dynastischen Verhältnissen kennt. In der Sozialisierung der Erben im Kunstsektor mangelt es allerdings weitgehend an einer Vorbereitung auf diese Rolle. Die bürgerliche Erziehung der letzten Jahrzehnte hält dafür kein Rüstzeug bereit. Väter bauten das Unternehmen auf und fungierten als Phantom im Arbeitszimmer. Mütter wollten Freundinnen der Kinder sein und hatten im schlechtesten Fall genau wie die Kinder mit einer giftigen Eifersucht auf die Kunst zu kämpfen.
Die nachfolgende Generation kennt oft nur wenige bekanntere Namen der Sammlung, vom inhaltlichen Verständnis ganz zu schweigen. Künstlererben kennen die geschäftlichen Hintergründe nicht. Der Wert, der im Nachlass steckt, wird deswegen je nachdem, welche Informationsfetzen aufgeschnappt wurden, exzessiv über- oder unterschätzt und oft sind Zähneknirschen und Erbstreitigkeiten die Folge.
Was beim Erben von Kunst eine Rolle spielt: Professionelle Bewertung, um aufzuteilen, in eine andere Rechtsform zu überführen, weiterzuschenken an Institutionen oder zu verkaufen.
An diesem Punkt setzt meine Arbeit an. Von einer Rechtsanwältin und öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für zeitgenössische bildende Kunst haben selbst Kunstmarktprofis und Anwälte für gewöhnlich keine plastische Vorstellung. Dass es nachvollziehbare und belastbare Gesetzmäßigkeiten der Bewertung gibt, wie Einzelwerke, ein Hausrat mit Kunst oder ganze Sammlungen, je nach Eigenart und Anlass, nicht nur für Erbschaft/Erbauseinandersetzung und Pflichtteil, sondern auch für Stiftungseinlage, Betriebsentnahme und Versicherung zu bewerten sind, erstaunt viele.
Preis und Wert sind nicht dasselbe
Das ist die wichtigste und erste Unterscheidung. Ein Preis wird zum Beispiel in einer Galerie oder einer Auktion erzielt. Ein Wert wird fiktiv bestimmt und enthält gewichtende Komponenten. Rechtliche Anlässe wie eine Erbauseinandersetzung oder Pflichtteilsberechnung erfordern Werte, nicht Preise. Am Handel beteiligte Akteure können einen möglichen Preis erahnen, einen Wert bestimmen können sie nicht.
Dafür gibt es für alle Sparten ausgewählte, zertifizierte und gerichtsbeeidete Sachverständige, die persönlich unabhängig und fachlich qualifiziert beurteilen können. Für diese Beurteilung haften sie auch – im Unterschied zu selbsternannten Sachverständigen. So können die Grundlagen für produktive Lösungen entstehen. Die rechtlichen Strukturen um die Kunst herum (Gesellschaftsrecht, Erbrecht, …) sind mir als Rechtsanwältin bekannt. Zumeist sind die rechtlichen Probleme jedoch überschaubar. Das gilt jedenfalls immer dann, wenn man sich klar macht, dass unbewusste Prozesse den Blick auf die Sachthemen verstellen.
PARNASS startet mit diesem ersten Experten-Beitrag von Sasa Hanten-Schmidt im PARNASS 1/2019 eine neue Serie, die Einblicke vermittelt in Spezialthemen der Kunst. Sasa Hanten-Schmidt lebt mit ihren Kindern und ihrem Mann, dem Kunstsammler Klaus F. K. Schmidt, in Wien und Köln. Sie gilt im Kunstmarkt als eine der kompetentesten Expertinnen für zeitgenössische Kunst. Die Rechtsanwältin hat sich auf Kunst spezialisiert und ist als öffentlich bestellte und vereidigte Gutachterin sowie Gerichtssachverständige für Kunst ab 1960 tätig. 2017 erschien die gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich herausgegebene Publikation „sieh mich an! look at me! – Schlüsselmomente einer Sammlungsgeschichte / Checkpoints of an art collection“.
Den vollständigen Artikel lesen Sie in unserem PARNASS 1/2019.