GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN ROSEMARIE SCHWARZWÄLDER, Katharina Grosse, Disengi, Artissima 2019 | Fotograf: Sebastiano Pellion di Persano

Mit der diesjährigen Ausgabe der Artissima feiert die wichtigste italienische Messe für zeitgenössische Kunst, die besonders für ihren experimentellen Zuschnitt geschätzt wird, ihr 26. Jubiläum. Daneben punktet Turin mit der Parallelmesse DAMA und einer Reihe von Ausstellungen in den Museen und Privatstiftungen der Stadt. Darunter die Präsentation des beeindruckenden Videos von Arthur Jafa im Palazzo Madama, die Ausstellung Abstract Sex, in einem Off Space der Stadt sowie Artissima Telephone und Monica Bonvicini im OGR.


Die Kooperation mit der Stadt ist ein großes Plus, ist auch Ilaria Boncasso, Direktorin der Messe überzeugt. Die Marke „Artissima“ gehört der Region Piemont und der Stadt Turin. „Wir sind ein privates Unternehmen mit einer öffentlichen Institution als Eigentümer, was bedeutet, dass am Ende der Messe das erwirtschaftete Plus an die Turiner Museen geht, ein Teil wird naturgemäß in die Messe reinvestiert. Kuratorische Projekte seien zu keiner Zeit besser durchzusetzen als zur Zeit der Messe“, so Bonacossa.

Diese Konstellation hat auch insofern einen Einfluss, als die Messedirektoren vom Board der Direktoren der Fondazione Torino Musei ausgesucht werden und ausnahmslos Kuratoren sind, die zuvor in musealen Institutionen gearbeitet haben. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum die Messe stets ihre Identität bewahrt hat – auch innerhalb des internationalen, globalen Wettbewerbs der Kunstmessen. Recherche und die Entdeckung junger Künstlerinnen und Künstler stehen bis heute im Vordergrund.

Das im Vorjahr von Ilaria Bonacossa formulierte Ziel, die Messe zu verkleinern, ist nicht gelungen. Grund war, so die Direktorin im Gespräch, dass es einfach zu viele gute Einreichungen gegeben hat und sich die Auswahljury am Ende doch wieder mit einer großen Anzahl an Teilnehmern konfrontiert sah. Mit 208 Galerien sogar mehr als im Vorjahr. Seit 2010 findet die Artissima im Oval Lingotto statt. Platz ist genug in dem 20.000 Quadratmeter großen Glaspavillon – einer ehemaligen Eishalle, die 2006 für die Olympischen Winterspiele gebaut wurde.

Marcello Maloberti Ma l’amor mio non muore Ausstellungsansicht Hotel Principi di Piemonte Foto: © PARNASS

Marcello Maloberti, Ma l’amor mio non muore, Ausstellungsansicht, Hotel Principi di Piemonte | Foto: © PARNASS

Dennoch, so ist Bonacosso überzeugt, sollte eine Reduktion ein Ziel für die Zukunft sein. Gefreut hätte man sich sowohl über neue Galerien, aber auch, dass man einige Galerien, wie die Mailänder Galerie Giò Marconi oder von Gavin Brown´s Enterprise aus New York nach längere Abwesenheit wieder für die Messe gewinnen konnte. „Auch internationale Sammler sind wieder vermehrt auf der Messe zu begrüßen“, so Bonacossa. „Ein Kontrast zu dem Klischee, dass der globale Kunstmarkt und somit auch die Messen überall gleich wären. Wir bemühen uns um einen USP und der besteht in der Auswahl von Galerien, die Künstler aufbauen, und keinen Galerien aus dem Bereich des Secondary Market. Ebenso organisieren wir Special Projects im Oval, als auch in der Stadt und in der Region Piemont. Wir konnten uns in den letzten Jahren gut positionieren. Ich sage immer wir sind die größte Messe unter den kleinen Messen und die kleinste unter den großen. Die Identität der Messe, ihre Geschichte und ihr Fokus hat uns die große internationale Reputation aufgebaut.“

ARTISSIMA SIDE EVENTS: Arthur Jafa “Love is the message. The message is death, 2016 Video, Courtesy the artist and Gavin Brown´s enterprise (New York/Rom) XLVII Prix International d´Art Contemporain Fondation Prince Pierre de Monaco Palazzo Madama, Turin | Foto : © PARNASS

ARTISSIMA SIDE EVENTS: Arthur Jafa “Love is the message. The message is death, 2016 Video, Courtesy the artist and Gavin Brown´s enterprise (New York/Rom) XLVII Prix International d´Art Contemporain Fondation Prince Pierre de Monaco Palazzo Madama, Turin | Foto : © PARNASS

Nach wie vor liegt der Schwerpunkt bei den italienischen Galerien, doch punktet die Messe auch mit einem breiten Angebot an internationalen Händlern aus 43 Ländern von England, bis hin zu Südafrika. Gerade die Mischung von lokal und global ist ein weiteres Plus, meint Bonacossa. „Es ist ein wenig wie Family Business aber mit einer internationalen Vision.“ Der Zuspruch bei den Kuratoren und Sammlern gibt ihr Recht und ist, ebenso wie das umfassende Ausstellungsprogramm bei vielen Galeristen der Grund, die Artissima fix auf ihren Messeplan zu haben. Aber auch im Vergleich – auch im Übrigen zur viennacontemporary – doch niedrigen Standpreise. Dies würde einerseits jungen Galerien die Teilnahme erleichtern, aber auch etablierte Galerien können so ihr junges Portfolio zu zeigen, als auch Experimentelles zu wagen.


Hub Middle East – Kunst aus dem Mittleren Osten

Neu ist der Schwerpunkt „Hub Middle East” in Kooperation mit der Fondazione Torino Musei, um auf der Messe auch einen Überblick über Galerien und Künstler aus der Region des Mittleren Ostens zeigen zu können. Dazu holte man sich auch die Expertise von zwei Kuratoren Sam Bardaouil and Till Fellrath, Gründer der Plattform Art Reoriented, die in München und New York agiert und Kuratoren des Pavillon der Vereinigten Arabischen Emirate auf der diesjährigen Venedig Biennale.

Darunter unter anderem: Ab Anbar und Mohsen aus Teheran, Athr aus Jeddah mit einer großen Installation des saudi-arabischen Künstlers Muhannad Shono. Braverman, Tel Aviv, Sommer mit Galerien in Zürich und Tel Aviv, Grey Noise und Isabelle Van Den Eynde aus Dubai. Letztere zeigte das Künstlerkollektiv bestehend aus dem beiden iranischen Künstlern Ramin Haerizadeh (*1975 Teheran) Rokni Haerizadeh (*1978 Teheran) und dem in 1980 in Knoxville USA, geborenen Hesam Rahmanian, die zusammen in Dubai leben und arbeiten.

Ihre Villa in Dubai ist ein eher außergewöhliches Wohnhaus und dient aus als Bühne, Filmset, Versuchsgelände, Atelier und Wunderkammer. 2015 war ein Teil davon in der Kunsthalle Zürich zu sehen, 2018 waren sie mit einer Solopräsentation im OGR Turin präsent. Zu nennen auch Sfeir-Semler aus Beirut/Hamburg, seit vielen Jahren Stammgast auf internationalen Messen wie Art Basel und Frieze. Ein Charakteristikum der Messe sind die kuratierten Sektoren, von „Disegni“ über „Back to the Future“ bis hin zur Präsentation der Up&Coming Stars unter dem Titel „Present Future“.

GALERIE ISABELLE VAN DEN EYNDE Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, Painting in Drag, 2012-19 | Foto: © PARNASS 

GALERIE ISABELLE VAN DEN EYNDE Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, Painting in Drag, 2012-19 | Foto: © PARNASS 


Present Future

Diese Sektion ist in der Mitte der Messe räumlich platziert mit großzügigen offenen Ständen. Emanuel Layr zeigt hier eine Installation von Anna-Sophie Berger, A Palazzo Gallery, Brescia in Kooperation mit der englischen Emalin Galerie den litauischen Künstler Augustas Serapinas mit seiner Installation „Blue Pen“, die allerdings bereits 2018 in der Glasgower David Gale Gallery zu sehen war und ebendort auch einen spezifisch lokalen Kontext hatte, den die Galerien hier leider nicht vermitteln konnten. Wer sich noch erinnert, 2017 war Serapinas mit seiner quitsch-orangen Installation „Sigi“ auf der Terrasse der Kunsthalle präsent.

 

Mein Favorit war der französisch-kolumbianische Künstler Marcos Avila Forero, 1983 in Paris geboren, bei ADN aus Barcelona mit seiner Installation „Desde Riochiquito II“, (2018) die wie viele seiner Arbeiten auf einer Auseinandersetzung mit ruralen Dörfern und ihren Gemeinschaften in Kolumbien, basieren und zum Teil in Zusammenarbeit mit ihnen entstehen, die durch den militärischen Konflikte vertrieben und disloziert wurden. Recherche und die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft stand auch im Mittelpunkt der Werke von Januario Jano aus Angola. „Research is the central feature of my artistic practice. I am interested in exploring ideas of home and self, reflecting on my historical upbring and the globalized cultural sphere”, so der Künstler in einem Statement. Gezeigt wurden seine Arbeiten von der Mailänder Galerie Primo Marella.

Gewonnen hat den diesjährigen von Illy gestifteten Preis der Chinese aaagjia, der sowohl in Shanghai als auch in Berlin lebt. Ursprünglich Programmierer, ist er heute Aktivist, Media Künstler und Blogger. Die Jury, bestehend aus Carolyn Christov-Bakargiev, Direktorin Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea, Rivoli-Torino, Stefan Kalmár, Direktor und Kurator am ICA – Institute of Contemporary Arts, London und Agustin Pérez Rubio, Kurator der Berlin Biennale 2020 begründet dies damit, dass sich aaagjia mit Subjektivität, Identität im Zeitalter der digitalen Moderne auseinandersetzt. – Nun ja, das tun viele und ebenso beliebig erschien auch seine Arbeit. Seit 2012 ist mit dem Preis auch eine Ausstellung in einem kleinen Raum im Castello di Rivoli Museo d´Arte Contemporanea verbunden.


Disegni

Highlights der 2017 etablierten Sektion waren die Stände von der Wiener Galerie nächst St. Stephan und Pedro Cera aus Lissabon. Nächst St. Stephan zeigte – mit großen Erfolg – feine Papierarbeiten von Katharina Grosse und Pedro Cera einen Werke des USA-amerikanischen Konzeptkünstlers Adam Pendleton (*1984 Richmond, Virginia). Ebenfalls in diesem Sektor die Amsterdamer Galerie Lumen Travo mit Werken der 1974 in Nigeria geborenen und heute in Antwerpen lebenden Künstlerin Otobong Nkanga, die jedoch leider dem komplexen und vor allem stets rauminstallativen Werk der in diesem Jahr auch auf der Biennale Venedig präsenten und mit dem ausgezeichneten Künstlerin nicht gerecht wurde.


Back to the Future

„Back to the Future" stellt Wiederentdeckungen vergessener oder übersehener Künstler seit den 1970er-Jahren vor und wurde in diesem Jahr bis Ende der 1990er-Jahre ausgeweitet, was der Sektion nicht gut tut. So finden sich auch präsente Gegenwartskünstler darunter, wie unter anderem Jessica Stockholder (1301PE) und William Wegman (Florence Loewy). Letztere war mit seinen Weimaraner eben beim Festival Various Others in München präsent. Insgesamt gab es hier nicht viel zu entdecken. Galerie Häusler war mit Michael Venezia vertreten und die Budapester Galerie acb zeigte Werke von Endre Tót. Den Preis der Sektion, gestiftet von Fondazione Sardi per l’Arte ging verdienter Maßen an eine wirkliche Neuentdeckung auf der europäischen Kunstbühne. Kimiyo Mishima, präsentiert von der Sokyo Galerie aus Kyoto. Mishima wurde 1932 in Japan geboren und ist eigentlich Keramikerin und stellt aus diesem Material unglaublich realistische Details aus dem Alltag her. Auf der Artissima präsentierte sie großformatige frühe Collagen auf Leinwand, darunter die Serie „Memory“ von 1969 – Erinnerungen an die wenig erfolgreichen Pferdewetten ihres Mannes, so der Galerist.


Highlights im Main Sektor und bei den New Entries

Die österreichischen Galerien punktet mit einer guten Auswahl an Künstlerinnen. Inés Lombardi, Georg Kargl Fine Arts versammelte ein spannendes Portfolio von Jakob Lena Knebl, Mladen Bizumic, Matt Mullican, Agnieszka Polska bis zur jungen Rosa Rendl in einer gelungenen Präsentation. Silvia Steinek war abermals mit Renate Bertlmann vertreten, zeigte aber auch die junge Olga Georgieva mit beeindruckenden Zeichnungen und einem Haus gebaut aus Holzschnitten – sprich eigentlich aus den Druckstöcken. Eine sensationelle Installation, die Berthold Ecker sich noch vor der Messe für die Sammlung der Stadt Wien sichern konnte. Jetzt bräuchte diese nur noch wieder ihr Museum, um sie auch zeigen zu können.

Hubert Winter zeigte eine Dialogausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers Lei Xue und Lawrence Weiner und Galerie Crone Wien/Berlin eine gelungene Zusammenstellung von Constantin Luser und Joannis Avramidis, in der Luser sich mit dem Werk des 2016 verstorbenen österreichischen Bildhauers auseinandersetzt und die Lust auf die kommende Ausstellung „Avramidis-Luser“ in der Berliner Galerie macht. Zufrieden und absolut begeistert vom internationalen Publikum waren alle österreichischen Galeristen, darunter auch Vincenzo della Corte, der bereits Italien reüssieren konnte. Bei der diesjährigen miaart gewann er den Preis für den besten Stand im Sektor „Emerging“ mit der Solopräsentation von Saskia Te Nicklin und auch in Turin wurde man auf ihm aufmerksam.

Gemeinsam mit Emalin, London, Öktem Aykut, Istanbul erhielt er vom Professional Trust Company eine Unterstützung für die Messeteilnahme. Eine Maßnahme eines privaten Trusts, die sich della Corte auch für die Wiener Messe wünschen würde und so della Corte, die durchaus machbar wäre. In Turin zeigte er eine Solopräsentation des New Yorker Künstlers Myles Starr, den della Corte im April erstmals auch mit einer Einzelausstellung in Wien vorstellte.

GALERIE GEORG KARGL FINE ARTS. Jakob Lena Knebl, Artissima 2019 / Main Section Foto: © PARNASS

GALERIE GEORG KARGL FINE ARTS. Jakob Lena Knebl, Artissima 2019 / Main Section Foto: © PARNASS

Ein absolute Entdeckung ist auch Lucia Tallová (*1985 Bratislava) bei Soda Gallery aus Bratislava, die die Künstlerin seit Beginn an vertritt und auch schon mehrmals in Solo- und Gruppenausstellungen gezeigt hat. Sie verbindet gekonnt die Medien Fotografie, Skulptur und Malerei – auch wenn es nach Bratislava von Wien aus näher wäre, braucht es zuweilen ein Format wie die Artissima um auf die eine oder andere künstlerische Position aufmerksam zu werden.

Am Sonntagabend zog man jedenfalls ein zufriedenes Resumée. Insgesamt konnte die Artissima 2019 55.000 Besucher begrüßen sowie eine Reihe von Patrons namhafter Museen. Ebenso wurden einige Arbeiten an internationale Museen verkauft. Vier Werke gingen als Ankauf der Fondazione per L´Arte Moderna e Contemporanea CRT um 250.000 EURO an die Turiner Museen Castello di Rivoli und GAM-Gallery Civica d´Arte Moderna e Contemporanea Torino.

Das könnte Sie auch interessieren