Gallery Diary - Wonnerth Dejaco | Daniel Ferstl
Die Ausstellung "Lovers" von Daniel Ferstl ist bis 16. April 2022 in der Galerie Wonnerth Dejaco zu sehen.
In Daniel Ferstls Ausstellung „Lovers“ fallen zunächst die cartoonhaften Figuren auf, die eine gespaltene Existenz in den Galerieräumen fristen: zum einen als Protagonist:innen von großformatigen Porträts, die als schimmernd bunte, weiche Textilreliefs an den Wänden hängen; zum anderen in Form von Stofftieren und Sitzmöbeln im realen Raum.
Die Accessoires, die ihren Bildnissen den Anschein von allegorischen Darstellungen verleihen, haben sie scheinbar abgelegt. Als hätten die Figuren mit dem Verlassen des Bildträgers sowohl den physischen Halt als auch ihre Haltung verloren, wirken sie erschlafft, erschöpft, verzweifelt. Ein mögliches Narrativ dieser Inszenierung offenbart sich schnell: Ihre seidig-glänzenden, flauschig-weichen Darsteller scheinen aufgespalten in verschiedene Daseinsbereiche – in verschiedene, mit diesen einher gehende Bewusstseinszustände. Gegenüber den erschöpften Stoffskulpturen, mit denen die Betrachter*innen die dreidimensionale Präsenz im Realraum teilen, erscheinen die Bilder an der Wand wie imaginäre Projektionen – Avatare ihrer selbst. In “A Fool Such As I” (2022), zum Beispiel, steht im Zentrum des Bildes eine offensichtlich mit der Herstellung eines Selfies beschäftigte Blume. Um sie herum sind isolierte Körperteile und Fragmente von Fitnesscenterutensilien appliziert. Sauber und geordnet umgeben sie das mit muskulösen Blätter-Armen posierende Pflänzchen, als wären sie integrale Teile seines per Smartphone zu kommunizierenden Selbst-Bildes.
In Daniel Ferstls Kunst findet die eigene Subjektivität ein Gravitationszentrum in der emphatischen Bejahung der Oberfläche und der imaginären wie auch symbolischen Leere – in der Aufgabe des standardisiert-idealisierten Ichs im Vertrauen auf den eigenen, wie auch immer schräg und vermeintlich kitschigen, Geschmack. Die „Leidenschaft des Geschmacksurteils ist das Innerste des Individuums“, so der Philosoph Christoph Menke. „Indem er Kraft ist – Leidenschaft (pathos) oder Energie“ wendet sich der Geschmack „als Vermögen autonomer Subjektivität“ gegen die Kontrolle durch Operationen der Reflexion und der Anpassung.[5] Dennoch ist das Geschmacksurteil niemals beliebig, oder, wie John Waters sagt:„To understand bad taste one must have very good taste.“[6]
Galerie Wonnerth Dejaco
Ballgasse 6, 1010 Wien
Österreich
Daniel Ferstl
bis 16. April 2022
[5] Christoph Menke, „Ein anderer Geschmack“, in ders. und Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin 2012, S. 236–237.
[6] John Waters, Shock Value: A Tasteful Book About Bad Taste, New York 2005.
Der Pressetext wurde gekürzt.