Gallery Diary - Kunsthandel Giese & Schweiger | Alfons Schilling

Noch bis 26. November 2022 zeigt Kunsthandel Giese & Schweiger die Ausstellung "Autobinäre Stereobilder" von Alfons Schilling.


Ein Geflecht aus keilförmigen Flächen, intensivleuchtend oder harmonisch-monochrom, spannt sich über die Bildfläche, Farbbahnen kreuzen und überschneiden sich, bilden neue Splitterformen. Die Bilder erinnern an die frühe Avantgarde, an Kubismus, Konstruktivismus und Kinetismus, an die Zersplitterung und Dekonstruktion des traditionellen Bildraums – autonome, abstrakte Formen. Ihre wahre Dimension entfalten Alfons Schillings (1934–2013) autobinäre Stereobilder erst durch die Betrachtenden und eine kleine Sehhilfe. Blickt man durch ein prismatisch geschliffenes Glas, eingefasst in ein langstieliges Monokel, kommt es zu einer Verschiebung des einen Augenbildes nach unten und es eröffnet sich ein magischer Bildtiefenraum von bis zu 25 Metern. Je länger man mit dem optischen Hilfsmittel auf das Tableau blickt, desto komplexer entwickeln sich die Raumebenen: Überlagerungen geraten in Bewegung, Verschränkungen öffnen sich, manch farbiger „Schatten“ wird zu einer transparenten Folie, hinter der ein fast mystisches Licht glimmt. Es ist wie eine Kontaktaufnahme mit der Unendlichkeit.

Aus dem materiellen „Objekt Bild“, dem mit gesprayter Farbe bedeckten Bildträger (Leinwand, Spanplatte oder Karton), wird durch die Sehhilfe ein illusionistischer Tiefenraum mit magischem Effekt. Der optisch-physikalische Akt des Sehens mit seinen neurologischen und biochemischen Grundlagen ist eine Konstante in den Werken Schillings, doch ebenso wichtig ist ihm der ästhetische, sinnliche Moment. Kunsthandel Giese & Schweiger präsentiert in seiner Herbstausstellung in Zusammenarbeit mit dem Nachlass Alfons Schilling diese autobinären Stereobilder in großem Umfang, von den frühen 1980er-Jahren bis zu den jüngsten Arbeiten, die zwischen 2000 und 2002 entstanden sind. Gezeigt werden rund 35 verkäufliche Werke Schillings, mehrheitlich Leinwandbilder und großformatige Arbeiten auf Papier, sowie – als Highlight – eine beeindruckende Raummalerei mit den Maßen 259 × 296 Zentimeter. Die Präsentation wird ergänzt durch Zeichnungen, die die Konstruktion des Prismamonokels zeigen, sowie Skizzen der Raummodelle, die die gesehene räumliche Tiefe visualisieren. Die Bildgrenzen auszuloten, zu erweitern und zu verlassen, das Tafelbild in Bewegung zu bringen, die Partizipation der Betrachtenden, das ist der künstlerische Weg des gebürtigen Schweizers, der ursprünglich eine Banklehre absolvierte.

In Wien besuchte ab 1956 die Hochschule (heute Universität) für angewandte Kunst, gilt mit Günter Brus als Mitinitiator des Wiener Aktionismus, reiste 1962 nach Paris und entwickelte die kreisrunden Rotationsbilder. Ab Ende 1962 experimentierte er in New York mit Film und Fotografie, verband Kunst und Wissenschaft, integrierte die damals neue Holografie in seine Arbeiten, kreierte Linsenrasterfotografien, in deren Oberflächen spezielle Linsen bis zu 30 verschiedene Aufnahmen „speichern“, und die in Interaktion mit dem Kunstwerk aktiviert werden. Der „Artist and Innovator“ (Selbstdefinition Schilling) konstruierte „Sehmaschinen“ zur visuellen Manipulation des Raumes und entwickelte „Video Head Sets“, Sehhelme mit kleinen Monitoren vor den Augen, 25 Jahre vor der Virtual und Augmented Reality. Bevor er 1986 nach Wien zurückkehrte, entstanden die ersten autobinären Raumbilder, in denen der Künstler zum Medium der Malerei zurückkehrte.

Alfons Schilling, Ohne Titel (aus der Serie "Autobinäre Stereobilder"), um 1986, Acryl auf Leinwand, 160 x 114,5 cm, rückseitig signiert: "Schilling", Provenienz: Archiv Alfons Schilling

Giese und Schweiger

Akademiestraße, 1010 Wien
Österreich

Alfons Schilling. Autobinäre Stereobilder

bis 26. November 2022