Gallery Diary - Christine König Galerie | Thomas Reinhold

Die Ausstellung "La Vie de l’Espace" von Thomas Reinhold in der Galerie Christine König ist noch bis 28. Mai 2022 zu sehen.

Das räumliche Erleben oder das Leben in einer erweiterten räumlichen Dimension – der Symbolist Maurice Maeterlinck hat in seinem romanähnlichen Prosawerk „La Vie de l’Espace“ das Verlassen der rational definierten Wirklichkeit angesprochen. Thomas Reinhold bezieht sich auf diesen 1928 erstmals publizierten Text, dessen Titel er seiner aktuellen Ausstellung voranstellt.

Auch in der Präsentation seiner Werke ist die Dynamik des Gleitens durch Raum und Zeit zu verspüren, stehen sich doch hier ganz neue Leinwandarbeiten aus den letzten Monaten und Werke aus früheren Schaffensphasen gegenüber. Was sich gleichsam als Subtext durchgehend nachvollziehen lässt, ist das zugrundeliegende Strukturnetz in den Arbeiten von Thomas Reinhold. Das Prinzip der Überlagerung, der Schichtung zieht sich durch Reinholds Kunstauffassung, wie auch das Prinzip der Transparenz, des Dialogs von durchscheinend und undurchsichtig. Dennoch – und hier ergeben sich Berührungspunkte zur Maeterlinckschen Poetik – sind die Bildstrukturen keine Raster oder geometrischen Grundformen, sondern lebendige, wachsende, werdende und sich verbreiternde Farbschichten und Malspuren. In ihnen sind zeitliche und räumliche Parameter bestimmend, indem sich Ausdehnung als dynamischer Vorgang ablesen lässt und Überlagerung als raumkonstituierende Technik eingesetzt wird.

Ausstellungsansicht THOMAS REINHOLD | LA VIE DE L'ESPACE, Christine König Galerie, Wien 2022 Foto: kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez — Ausstellungsansicht THOMAS REINHOLD | LA VIE DE L'ESPACE, Christine König Galerie, Wien 2022, Foto: kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Wo Maeterlinck Orte kreiert, etwa dunkle Paläste oder kristalline Gärten, überlagern sich farbige Lichtquellen, dringen sonnige Streifen durch die Spalten der Fensterläden, legen sich Azur-Dünste und Umbra-Tau über die Böden. Thomas Reinhold agiert in seinen Farb-Tafel-Bildern ähnlich: dunkle Flächen legen sich über helle, kraftvoll akzentuierte Farbschlieren, nehmen zart Artikuliertes aus dem Untergrund mit, graphisches Lineament kreuzt sich mit verfestigten Rinnsalen, Dichtes trifft auf Durchscheinendes, Massives auf Fragiles. Reinholds Malerei erschöpft sich nicht in einem abstrakten colourfield-painting oder einer informellen Gestik, sondern zeigt sich einerseits als Synthese aus Kolorit und Duktus, andererseits als deren Dekonstruktion; denn Reinhold agiert nicht in der herkömmlichen Handschrift der Malerei, sondern er vertraut den Malprozess den Eigenschaften seiner Malmittel an. Farbe kann rinnen, sich entwickeln, verdichten, Tusche trocknet und erzeugt im Übergang vom flüssigen zum statischen Zustand neue, vielschichtige Valeurs. Hier ist es die Dimension der Zeit, die im Abwarten und Überarbeiten eine Art prozessualer Aufzeichnung entstehen lässt.

In der Ausstellung treffen neue Tuschezeichnungen auf eine Suite von s/w-Fotografien von 1977. Als Experimentator im Bereich der konzeptuellen Fotografie arbeitete Thomas Reinhold, ähnlich wie etwa auch John Baldessari oder Peter Weibel, schon frühzeitig an den grundlegenden Themen seines künstlerischen Handelns: Zeit, Wirklichkeit, Raum, Wahrnehmung. In der Abfolge seiner Fotoserien spürt er in radikaler Beschränkung auf schwarz und weiß (wie in den aktuellen Tuschearbeiten) den Realitätsgraden von fotografierten Ausschnitten aus der Wirklichkeit nach. Schon damals interessierten ihn, welche neuen Bilder und Räume durch Überlagerungen und Verschneidungen entstehen. Ungewöhnlich genug, für einen Maler, diese Grundprobleme der Kunst ausgerechnet mit den Mitteln der Fotografie zu ergründen. Thomas Reinhold blieb dabei immer Maler und als solcher tritt er auch in der aktuellen Ausstellung auf; nicht ohne einen Blick in seine Herkunft aus der Konzeptkunst zu gewähren und einen Ausflug in die Weiten der poetischen Assoziation anzustoßen.