Bianca Regl | Above the night

Galerie Schnitzler und Lindsberger

Rechbauerstrasse 21, 8010 Graz
Österreich

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Die Farben der Blauen Stunde

Umgangssprachlich ist mit dem Begriff der Blauen Stunde ein Phänomen bezeichnet, nach dem sich – kurz nach Sonnenuntergang – das Blauspektrum des Himmels unter Einfluss der Ozonschicht in ein Tiefblau verändert. Durch Reflexion erscheinen nun bodennahe Objekte in einer Art blauem Schatten, während in flachem Winkel einfallendes Restlicht das Gelb- bis Rotspektrum an Objekten noch für kurze Zeit sichtbar macht.

Angesichts des malerischen Werks von Bianca Regl fällt auf, dass spätestens seit 2017 die Farbgebung in mehreren Serien figurativer Darstellungen auf Lichtverhältnisse solcher Art anspielt respektive Objekte und Körper in der (fiktiven) Annahme schwindenden Tageslichts dargestellt sind.

Obschon Bianca Regls Malerei in weiten Bereichen als figurativ bezeichnet wird, bleibt dennoch die Frage um Grade oder Momente der Abstraktion – die ja, generell, eigentlich an keiner Form der Abbildung eines Motivs ausgeschlossen werden kann. An den Körperbildern jüngeren Datums tritt etwa allemal deutlich der Impetus hervor, Motive in spezifischer Lichtsituation darzustellen und Deutliches an Undeutliches zu setzen. Wenn die Künstlerin nun das wahrzunehmende physikalische Phänomen schwindenden Lichts durch Farbwahl gewissermaßen konzentriert und betont, mehr oder weniger deutliche Konturen und Höhungen setzt, kann durchaus von Abstraktion gesprochen werden. In einem Gespräch mit Katerina Černy um die Frage nach Konkretheit und Abstraktion antwortet Bianca Regl dagegen eher pragmatisch: „Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die beiden nur durch die feine Linie der Rorschach-Frage getrennt: ,Was kann ich noch erkennen?‘“

In diesem Gespräch erwähnt Bianca Regl, dass „eine der größten Stärken der Malerei“ ihre Kraft sei, „offen zu bleiben für alle Arten von Interpretationen / Betrachtungsweisen / Arbeitsweisen“, es erscheint ihr zudem, als sei die „Mehrdeutigkeit“ eine „verschwindende Qualität“. So ist auch ihr Umgang mit Bildtiteln bezeichnend für ihre künstlerische Haltung. Bildtitel führen naturgemäß zur Begrenzung oder Beschränkung der Interpretation. Insofern spricht Regl von „Indikatoren“ für Bildserien, die in der rezenten Ausstellung der Galerie Schnitzler und Lindsberger – vorwiegend von Porträts – etwa Truth is elsewhere lauten. Entnommen einem Essay John Bergers über Velazquez ist, in Übertragung auf die eigenen Arbeiten, damit die Unmöglichkeit angedeutet, das wahre Bild anzulegen. Überhaupt aber finden sich in Regls Bildwerk immer wieder luzide Bezüge zur Geschichte der Kunst von der Antike über Renaissance und Barock bis zu Paraphrasierungen des Impressionismus, der nicht zuletzt mit der Behandlung von Lichteindrücken identifiziert wird. Die Künstlerin thematisiert (antike) Plastik und die Möglichkeiten einer Umsetzung oder Übersetzung in die Zweidimensionalität ebenso wie Lichtwirkungen aus der Fotografie. Die außerbildlichen Lichtquellen der alten Malerei, die Inkarnat oder Körperteile, bestimmte Details einer Szene gegenüber dem umgebenden Dunkel hervorheben, sind in den Arbeiten Regls im Sinn einer nur mehr schwachen Reflexion natürlichen Lichts reduziert. So wäre auch das Ausstellungssujet (aus der Serie Truth is elsewhere) zu interpretieren, nämlich mit seinen leuchtenden Gelb- und Rottönen zeitlich der in weiteren Bildern folgenden Dominanz von Violett bis Blau vorangesetzt. Wie die Geschichte der Kunst fließen auch ausgesuchte Texte zur Kunsttheorie in die Motivation malerischer Ausführungen.

Der Ausstellungstitel ABOVE THE NIGHT ist ein von Regl gewählter „Zuschnitt“ eines Zitats des amerikanischen Kunsttheoretikers Thomas McEvilley, der in einem seiner Essays die Gesichtszeichnungen paläolithischer Künstler behandelt, die „so minimal und ungeformt“ dennoch ein Ich suggerierten, „das kaum sein Haupt über die Nacht des Unbewussten erhoben hatte“. In einer Sinnverknüpfung angesichts der aktuellen Serien von Gesichtsporträts in der Ausstellung von Bianca Regl könnten die einerseits fragmentierten, andererseits wie gezoomt anmutenden Gesichter in einem Wechsel von Nähe und Distanz, von Totale und Detail, von betonter und diffuser Struktur eben erscheinen, als wären sie umgeben von einem Dunkel des Unbewussten. Zugleich – und vermittelt auch durch eine Malweise, die harte Konturen vermeidet –, bleibt einmal mehr die Frage um das wahre Bild – Vera icon.

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