Junge Kunstkritik

“Wo Kunst Geschehen kann“ – Ein Blick zurück auf den Beginn der CalArts im Grazer Kunsthaus

Wie viel hat eine künstlerische Laufbahn mit akademischen Graden und Titel mit Kunstwerken zu tun? Nichts, laut den Künstlerinnen und Künstlern der 1970 von Walt Disney begründeten Kunsthochschule CalArts, wo zwischen Fluxus und Konzeptkunst radikale pädagogische Konzepte zum Einsatz kamen.


Bereits beim Eintritt in die Kunsthochschule standen sich nicht Lehrende und Lernende sondern Künstlerinnen und Künstler gegenüber. Weder akademischen Graden noch einem Curriculum folgend, bildete das “California Institute of the Arts“, kurz CalArts, einen Ort “wo Kunst geschehen kann“. So ein Zitat John Baldessaris, das der Ausstellung im Kunsthaus Graz nun ihren Titel verleiht. Der Gründer Walt Disney knüpfte an Vorgängermodelle, wie etwa das Bauhaus, an und entwickelte ein revolutionär interdisziplinäres Schulsystem, dass konträr zum traditionellen System war. Bezeichnend für die Kunsthochschule ist hierbei der interdisziplinäre Zugang anstelle abgekapselter Lehrstühle sowie der gelegentliche Einsatz von Drogen und das Fehlen herkömmlicher Hochschultraditionen wie Noten oder Lehrplänen. Mit John Baldessaris Lehrstuhl “Post Studio“ sowie Judy Chicagos und Miriam Schapiros “Feminist Art Program“ nahm CalArts die Rolle als Pionier ein.

Eine Ausstellung der es erstmals gelingt einen historischen Gesamteindruck der pädagogischen und künstlerischen Konzepte der Gründungsjahre zu vermitteln präsentiert sich derzeit im Space02 des Grazer Kunsthauses. Die bekanntermaßen unorthodoxe Architektur des Ausstellungsraumes bietet mit etwa 100 Werken, Oral-History-Interviews und Archivmaterial einen detaillierten wie umfangreichen Einblick in die Arbeit von rund 40 Künstlerinnen und Künstlern.

Ähnlich herausfordernd wie das damalige Konzept war, ist auch das Betreten der Ausstellung, die einem wenig Zeit zur Orientierung lässt. Direkt neben dem ersten Kunstwerk des “Feminist Art Program“ stehend, ist der Besucher umgeben von vielfältigen Klängen, riecht frisches Holz und steht einer Flut an Kunstwerken gegenüber. Diese Fülle fordert dazu auf, ähnlich wie die Künstlerinnen und Künstlern zur damaligen Zeit, die Vorgehensweisen des Alltages hinter sich zu lassen. Anstatt einfach nur zu Schauen wird man dazu aufgefordert sich genau umzusehen, wodurch erst die interdisziplinären und vielfältigen Ansätze der einzelnen Werke erkennbar werden.

Ausstellungsansicht "Wo Kunst geschehen kann", 2020, Foto: Kunsthaus Graz/M. Grabner

Die scheinbar banalen Dinge aber auch gesellschaftliche Fragen und Veränderungen gewinnen an Wichtigkeit.

Barbara Steiner, Direktorin Kunsthaus Graz

 

Die Werke, nach Lehrstühlen geordnet, regen teils parodierend zum Nachdenken über selten hinterfragte Themen an. Den Zugang der Schule verdeutlichend, ist auch der Aufbau der Ausstellung mit Freiräumen in den Wänden so konzipiert, dass sich „Durchblicke und Sichtachsen“ ergeben, die „die Verbindung zwischen bislang getrennt rezipierten Kunstpraxen betonen“, so Kunsthaus Direktorin Barbara Steiner.

Aus der großen Masse an Werken sticht, nicht nur aufgrund seiner Größer, sondern wegen seiner enormen, gesellschaftlichen Wichtigkeit ein Werk Suzanne Lacys hervor. Die 1945 in Kalifornien geboren Künstlerin bewegt sich seit jeher mit großen, meist Langzeitkunstwerken an der Grenze zwischen Aktivismus und Kunst. “Three Weeks in May“, ihre erste große Performanceserie, entstand in einem Shoppingcenter über den Zeitraum von drei Wochen, wobei jede Vergewaltigungsmeldung des Police Departments der Stadt Los Angeles mit einem Stempel auf einer Stadtkarte verzeichnet wurde. Als Teil des „Feminist Art Program“ spiegelt sich darin die weibliche Sicht der Welt und ein feministisches Statement, die im tradierten Kunstkanon wenig Beachtung erhielt.

Suzanne Lacy, "Three Weeks in May", Los Angeles 1977,  Courtesy Suzanne Lacy Studio

Wohl einer der prominentesten Lehrer war der im Jänner 2020 verstorbene Künstler John Baldessari, dessen Lehrstuhl der „Post Studio Art Class“ weder auf ein spezielles Medium, noch auf das Atelier als künstlerischen Arbeitsort fixiert war. Sowohl die Verbindung von Bild- und Textelementen sowie ein spielerischer, humoristischer Zugang zeichnen seine Kunstwerke aus. Fast parodierend hinterfragt er in der Videoarbeit “Teaching a plant the Alphabet“ das gängige Schulsystem und in “I Am Making Art“ sowohl Mythos als auch Definition von Künstlern und Kunstwerken.

Die gezeigte Ausstellung entstand als Forschungsprojekt zwischen der Freien Universität Berlin und metaLab (at) Harvard, Boston, wurde vom freien Kurator Philipp Kaiser und der Direktorin der Kestner Gesellschaft Christina Végh kuratiert. Erweitert durch die Chefkuratorin Katrin Bucher Trantow und Direktorin Barbara Steiner wurde die Ausstellung für das Kunsthaus Graz nun adaptiert und mit Bezügen zu Österreich erweitert. Die durch vielfältige Kooperationen entstandene Ausstellung zeigt eine große Auswahl an Werken, vor allem gelingt es ihr jedoch das abzubilden, was CalArts wichtig war: etwas anderes vorzuschlagen als die Tradition.

"Teaching a Plant the Alphabet", 1972, Courtesy John Baldessari

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