Interview mit Gründungsdirektorin Julia Moebus-Puck

Wiener Aktionismus Museum

WAM Außenansicht, © Philipp Schulz Boxquadrat

Die Kunstwissenschaftlerin und Nitsch-Expertin Julia Moebus-Puck ist Gründungsdirektorin des neuen Wiener Aktionismus-Museums. 2023 co-kuratierte sie im Wiener Fotomuseum Westlicht eine Nitsch-Ausstellung.


PARNASS: Der Wiener Aktionismus ist Österreichs individuelle und radikale Antwort auf die 68er-Revolution. Sie sind Jahrgang 1985, haben in Bonn studiert - gab es da überhaupt Berührungspunkte mit dem Aktionismus?

Julia Moebus-Puck: Natürlich! Der Wiener Aktionismus als superradikale Kunstbewegung war Dauerthema während meines Studiums. Umso erstaunter war ich, als ich 2015 zum ersten Mal nach Wien gekommen bin, dass der Aktionismus an seiner Wirkungsstätte keine Dauerrepräsentation hatte, abgesehen vom Depot und dem Archiv des mumok. Ich bin daraufhin zur Sammlung Friedrichshof gefahren. Dort konnte ich zumindest ein bisschen etwas von diesem Vibe, diesem Lebensgefühl des Aktionismus spüren. Meine Masterarbeit fokussierte dann auf die Performancekunst des Wiener Aktionismus und wie man diese ausstellen könnte. Ein Thema, über das ich derzeit promoviere.

P: Den ephemeren Augenblick der Performance live miterleben zu können hat in der Zeit des im Internet jederzeit verfügbaren Replikats scheinbar etwas Hochexklusives. Doch wie lässt sich diese flüchtige Kunst der Vergangenheit in einem Museum der Gegenwart eigentlich ausstellen?

JMP: Wir werden in unserer ersten Ausstellung im WAM genau damit experimentieren. Dazu stellen wir verschiedene Arten der Rezeption vor: künstlerische Fotografie, Dokumentationsfotografie oder Film. Bei Letzterem macht es übrigens einen großen Unterschied, ob man die Filme der angriffigen Aktionen digital zeigt oder auf einer ratternden Originalspule mit einer gewissen „akustischen Haptik“.

P: Im Rahmen Ihrer wissenschaftliche und kuratorischen Zusammenarbeit haben Sie Hermann Nitsch noch persönlich kennengelernt. Er gilt nach wie vor als Großmeister der Aktionisten.

JMP: Das stimmt! Vor allem sieht man aber an der Rezeption der Werke von Hermann Nitsch sehr deutlich, wie sich die Gesellschaft verändert hat. Während Nitschs orgien mysterien theater immer mit denselben Elementen gespielt hat, haben sich die Menschen etwa Ende der 1960er-Jahre an anderen Aspekten des Werkes gestoßen als in den späten 1980er-Jahren. Schon an diesem Beispiel gibt es unglaubliche Unterschiede, an denen man ablesen kann, was unsere Gesellschaft eigentlich bewegt. Das habe ich bei noch keiner anderen Kunstrichtung so deutlich erlebt wie beim Wiener Aktionismus.

P: Die Eröffnungsausstellung „Was ist Wiener Aktionismus?“ gibt einen ersten Überblick zur gesellschaftspolitischen und kulturwissenschaftlichen Bedeutung des Wiener Aktionismus. In Zeiten von Ego Shootern, Social Media und Co – hat der Aktionismus seine Brisanz mittlerweile eingebüßt?

JMP: Ich glaube, dass der Wiener Aktionismus aktueller ist denn je! Vor allem, weil es sich dabei um eine Kunstrichtung handelt, die unglaublich konfrontativ ist. Soll heißen: Der Aktionismus eckt immer noch an. Erst vor wenigen Tagen habe ich Freunden aus Deutschland das Museum gezeigt. Beim Anblick der Werke sind sie regelrecht erschrocken, haben mich gefragt, ob ich gerne Horrorfilme schaue und ob wir am Eingang eine Trigger-Warnung platzieren!

Julia Moebus-Puck, Foto: © Studio Koekart

Julia Moebus-Puck, Foto: © Studio Koekart

P: Und, wird es eine Trigger-Warnung geben?

JMP: Nein, natürlich nicht (lacht)! Mit dem Gezeigten müssen die Besucher:innen schon selbst zurechtkommen. Denn genau darum geht es: Um dieses Aufeinanderprallen mit sich selbst und seinen Gefühlen. Durch die starke Involvierung der Betrachter ist der Wiener Aktionismus eine Kunstform, die man nicht einfach „konsumieren“ kann. Man muss sich damit beschäftigen, ob man will oder nicht.

Dieser Artikel erschien erstmalig in PARNASS 01/2024

Wiener Aktionismus Museum

Weihburggasse 26, 1010 Wien
Österreich

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