NACHGEFRAGT BEI GÜNTHER OBERHOLLENZER: „Es gilt hier vor allem längerfristig zu denken“

Günther Oberhollenzer hat mit Oktober 2022 die Leitung des Künstlerhauses Wien übernommen. Zuvor war der Kunsthistoriker aus Südtirol als Kurator für die Landesgalerie Niederösterreich und die Sammlung Essl tätig. Wie er Kunst einem breiten Publikum vermitteln möchte, die Sichtbarkeit des Ausstellungshauses erhöht und mit der Künstler:innenvereinigung umgeht, erzählt er im PARNASS-Gespräch.


PARNASS: Du hast in deiner Antrittspressekonferenz betont, dass du als Leiter des Künstlerhauses das Miteinander vor das Trennende stellen möchtest, das Zugängliche in den Mittelpunkt stellen willst – Kunst also für ein breites Publikum? Doch zeigt das Programm durchaus den Anspruch gesellschaftspolitisch Statements zu setzen.

GÜNTHER OBERHOLLENZER: Ich glaube, dass beides möglich ist, dass man Kunstausstellungen machen kann, die ein gesellschaftspolitisches Anliegen transportieren, aber so umgesetzt sind, dass Besucher:innen, keine kunsthistorische Vorbildung benötigen und sich nicht überfordert fühlen müssen. Es ist mein Anspruch, fundierte und relevante Ausstellungen zu machen, diese aber so zu kuratieren, dass die Besucher:innen ohne Vorkenntnisse davon etwas mitnehmen können. Ich habe oft den Eindruck, dass sie in Ausstellungen alleine gelassen werden, sowohl Saaltexte als auch das Setting nicht weiterhelfen, um das Thema der Ausstellung nachvollziehbar zu machen, und dass es oft auch keine Dialoge zwischen den Werken gibt. Das heißt jetzt nicht, dass ich es besser machen kann, aber es ist mir ein großes Anliegen.

P: Das Künstlerhaus hat durch den Umbau und die Ko-existenz mit der Albertina modern eine große Umwandlung erfahren. Das war und ist nicht immer friktionsfrei und die Präsenz der Albertina modern hat das Künstlerhaus etwas in den Hintergrund gedrängt. Es gibt bis dato ja nicht einmal ein gemeinsames Ticketing. Welche Schritte setzt du, um das Künstlerhaus auch nach außen hin sichtbarer zu machen?

GO:  Als künstlerischer Leiter bin ich vor allem für die inhaltliche Ausrichtung des Künstlerhauses zuständig. Es geht zunächst darum, dem Künstlerhaus eine klare und stringente Linie zu geben. Auch wenn Heterogenität und ein vielfältiges Programm ein Charakteristikum Künstlerhauses sind, so braucht es dennoch einen roten Faden, der die Ausstellungen und Projekte in einen Zusammenhang bringt, etwa durch eine Jahresthema. Es gilt hier vor allem auch längerfristig zu denken, was im Künstlerhaus lange nicht der Fall war, um zu transportieren, wofür das Künstlerhaus steht. Das liegt in meiner Verantwortung, und ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Sichtbarkeit vor allem darin liegt. Aber natürlich, geht es auch ganz banal um eine räumliche Präsenz, und das ist in der aktuellen Situation durchaus herausfordernd. Hier ist noch viel Luft nach oben.

Wir und da meine ich auch unseren Geschäftsführer Knut Neumayer und die Präsidentin des Künstlerhauses Tanja Prušnik, sind offen für eine Zusammenarbeit. Wir sind zwei sehr hochwertige Institutionen, in denen es jeweils unterschiedliche Angebote gibt, wie man der zeitgenössischen Kunst begegnen kann und wo wir uns auch ergänzen könnten. Es ist hochnotwendig den Besucher:innen des Hauses den Eindruck eines Miteinanders zu vermitteln. Ich finde es nicht gut, wenn die Besucher:innen, die in das Haus kommen, das Gefühl haben, da sind zwei Institutionen vor Ort, die nicht zusammenarbeiten. Das kann man nicht machen, das geht nicht. Wir haben mit der Direktorin der Albertina modern Angela Stief eine gute Gesprächsbasis – und auch mit Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder. Mit ihm verbindet mich nicht nur die Leidenschaft zur Kunst per se, sondern auch die Sammlung Essl. Aber die Kommunikation, die es durchaus gibt, gilt es auszubauen und zu verbessern.

Günther Oberhollenzer, Foto: Irina Pozdorovkina

P:  Also das heißt, es sind hier schon einige Schritte unternommen worden?

GO: Ja und es gibt auch Projekte, wie etwa die Ausstellung „The Beauty of Diversity“ 2024 von Angela Stief, auf die ich mich unglaublich freue, bei denen wir durchaus auch thematisch Überschneidungen haben, hier konkret mit unserer Ausstellung „Auf den Schultern von Riesinnen“, kuratiert von Nina Schedlmayer. Das ist ein Projekt, bei dem es viele Möglichkeiten geben würde. Wie gesagt, von unserer Seite gibt es dazu große Offenheit und ein großes Interesse, Schritte in diese Richtung zu unternehmen – auch kleine – oder einfach einmal zu schauen, wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo gibt es durchaus auch das Trennende, und wo gibt es Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.

P: Stichwort Diversität, die Begriffe Vielfältigkeit und Diversität hast du in deiner Programmvorstellung betont. Was meinst du damit?

GO: Ein Aspekt ist ein spartenübergreifendes Denken, etwas, das in der zeitgenössischen Kunstproduktion immer wichtiger wird. Musik, Tanz, Performance, aber nicht nur als Eröffnungsprogramm, sondern als integraler Bestandteil der Ausstellung. Dadurch erschließt sich auch wieder eine neue Community und bildet ab, wie man heute zeitgenössische Kunst denken kann. Durch meine Lehrtätigkeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien habe ich die Möglichkeit, mit meinen Studierenden genau über diese Themen zu sprechen. Wir leben stets in Blasen, in denen sich bildende Kunst mit darstellender Kunst nicht unbedingt vermischt. Ich finde es unglaublich reizvoll, im Künstlerhaus zu versuchen, spartenübergreifend zu arbeiten und einen Dialog anzuregen. Was die Diversität betrifft, ist es mir darüber hinaus wichtig zu sagen, dass man auch aufpassen muss, dass diese nicht zum Modebegriff verkommt, und nur als Attitüde verwendet wird, weil es trendig ist. Natürlich ist es wichtig, dass queere Kunst, Kunst außerhalb des europäischen Kontextes und vor allem Künstlerinnen stärker sichtbar gemacht werden. Aber schöner finde ich, wenn man dies nicht groß betont und zum Thema macht, sondern es eine gelebte Selbstverständlichkeit in der Ausstellungspraxis ist.

Raumansicht, Foto: M. Nagl

P: Das Künstlerhaus ist ja nicht nur ein Ausstellungshaus, sondern auch eine Künstler:innenvereinigung und hat um die 500 Mitglieder. Ihr Anspruch selbst auszustellen hat oft in der Vergangenheit zu Konflikten geführt und zu Ausstellungen, die vollbepackt waren mit Arbeiten. Wie begegnest du diesen Erwartungen? Auf der anderen Seite hat man hat den Eindruck, dass sich die Künstler:innenvereinigung neu positioniert hat, ein frischer Wind und Teamgeist eingezogen ist. Stimmt das?

GO: Ja, das stimmt. Was mich sehr freut, ist dass wir in den letzter Zeit viele Bewerbungen, auch von namhaften Künstler:innen erhalten haben. Und das freut uns natürlich, denn es zeigt, dass sich in der Wahrnehmung der Künstler:innenvereinigung ein Wandel vollzogen hat und positiv wahrgenommen wird, was wir hier machen und vorhaben. Ich will nicht sagen, dass wir nicht auch Probleme hatten oder auch haben, aber die positive Wahrnehmung überwiegt bei weitem und das möge so bleiben.

Romana Hagyo, Silke Maier-Gamauf, Hering und die Fluse, 2021 © Bildrecht

Meine Aufgabe ist es, auch zu schauen, wie wir mit 500 Mitglieder der Vereinigung umgehen. Auch wenn ich betonen möchte, dass ich unsere Mitglieder sehr schätze, so muss mein Blick mindestens gleichstark auf unser Publikum gerichtet sein. Eine reine „Mitgliederausstellung“ interessierte das Publikum nicht, so ehrlich müssen wir sein. Daher sind auch die Mitgliederausstellungen Themenschauen, wie aktuell „HUMAN_NATURE“, die von Publikum und auch bei den Medien sehr gut angenommen wird. Es ist unsere Aufgabe, mit guten Programmen nach außen zu wirken und dadurch auch die Vereinigung wertig zu machen, sodass man stolz ist, hier Mitglied zu sein. Selbst auszustellen ist ein Aspekt, aber ein anderer ist es auch der Austausch innerhalb einer Vereinsstruktur. Eine gute Ausstellung strahlt ja auch auf jene Künstler:innen zurück, die dieses Mal nicht dabei sind. Die Präsenz der Künstler:innen bei den Eröffnungen zeigt uns, dass diese Ansatz durchaus bereits gelebt wird. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, dass Mitglieder eigene Projekte einreichen, die wir innerhalb des Programmausschusses besprechen und dann in der Factory stattfinden. Die Factory ist ein Ort für Kooperationen und Vermietungen, aber auch dezidiert für unsere Mitglieder, ein Raum für ihre Projekte, Ausstellungen, Veranstaltungen.

Romana Hagyo / Silke Maier-Gamauf, (Un-)Doing Nature, (Un-)Doing Gender, 2021/22 Fotografie, C-Print auf Aludibond, 80 x 115 cm © Hagyo & Maier-Gamauf/Bildrecht

P:  Im Herbst zeigt du mit „Systemrelevant“ eine von dir kuratierte Ausstellung, die auch in gewisser Weise deine Vision für das Künstlerhaus repräsentiert.

GO: Ja, es ist für mich eine programmatische Ausstellung Sie gibt mir die Möglichkeit zu fragen, was ist meine Aufgabe als künstlerischer Leiter? Was kann ein Kunstraum im 21. Jahrhundert bedeuten, was spezifisch das Künstlerhaus? Und sie umfasst viele wichtige Fragestellungen und Aspekte von Identität, vom spartenübergreifenden Arbeiten bis hin zu feministischen künstlerischen Positionen. Ich finde den Begriff „systemrelevant“ als Titel sehr spannend, weil man sich daran wirklich wunderbar reiben kann.

Danielle Pamp, Diva in Quarantine, 2020

P: Ist die Ausstellung auch so ein Art Überbau über deine programmatische Ausrichtung für das Künstlerhaus? Kann eine Ausstellung das leisten?

GO:  Ganz ehrlich, es ist ein Versuch. Es kann auch sein, dass ich grandios scheitere. Ich habe mir damit auch recht viel vorgenommen, und ich habe nicht den Anspruch, dass alle Themen und Aspekte bei den Besucher:innen ankommen müssen. Wenn zwischen den Zeilen das eine oder andere nachvollziehbar, ein bisschen spürbar wird, bin ich froh. Aber es ist für mich schon eine Ausstellung, die über ihre zeitliche Dauer hinausgeht und bereits schöne Verlinkungen und Dialoge zu anderen Ausstellungen leisten soll. Das ist, was ich vermitteln will: Dass mit mir eine Person als künstlerischer Leiter agiert, die an ein längerfristiges Konzept denkt und nicht ein Programm umsetzt, bei dem jede Ausstellung für sich eine kleine Insel bildet. Kann auch mal sein, aber grundsätzlich finde ich es wichtig, wenn unsere Ausstellungen und Projekte einen roten Faden ergeben und sich damit auch für die Besucher:innen spannende Zusammenhänge erschließen.

Das könnte Sie auch interessieren