Pinakothek der Moderne

GLITCH. DIE KUNST DER STÖRUNG

Die Frage nach der Produktivität von technischen Bildstörungen in der Glitch Art steht im Zentrum der Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne. Anstatt sich auf deren Transformationspotenzial für feministische, queere und politische Repräsentation zu konzentrieren, irritiert sie mit faktischen Aussetzern.


In Peter Weibels Video „The Endless Sandwich“ (1970/72) sitz ein Mann vor einem Fernseher, dessen Bildschirm ein Mann beim Fernsehen zeigt ect. In einem weit entfernten Fernsehgerät dieser Endlosschleife beginnt das Bild durch eine Störung zu flackern und fällt anschließend aus. Die technische Störung wird auf allen Ebenen reproduziert und repetiert, unsere Aufmerksamkeit verschiebt sich vom Inhalt der Fernsehsendung auf das nicht mehr funktionierende Wiedergabegerät.

Die thematische Ausrichtung der Ausstellung besitzt unbestreitbar aktuelle Relevanz, nicht zuletzt durch Legacy Russells viel rezipiertes Glitch Feminism Manifesto. Während des Rundgangs drängt sich davon ausgehend jedoch die fast philosophische Frage auf, wie Fehler in Kunstwerken genau zu definieren sind und ob die Ausstellung selbst überhaupt einen produktiven Beitrag leisten kann.

Um Glitch historisch einzuordnen, wird ein recht weiter Bogen zur analogen Fotografie des späten 19. Jahrhunderts gespannt. Fotografien von Künstler*innen wie Germaine Krull, Chargesheimer oder Timm Rautert zeigen chemische Reaktionen durch Temperaturschwankungen, Belichtungszeiten sowie Experimente mit Entwicklerflüssigkeiten. Diese Arbeiten werden kontrastiert mit sogenannten Fotofehlerbüchern, die damals als Ratgeber dienen sollten, von den hier versammelten Positionen jedoch gerade nicht befolgt wurden. Eine Arbeit von Man Ray präsentiert eine vollkommen schwarze Fotografie durch Überbelichtung, was er eine „Verletzung des Mediums“ nannte.

Raumansicht der Ausstellung "Glitch. Die Kunst der Störung" in der Pinakothek der Moderne", Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis

Die Ausstellung verläuft sich zuweilen anhand fotografischer Exponate, sodass man eher den Eindruck gewinnt, dass es eine Ausstellung über experimentelle Fotografie werden sollte, der anschließend medienwirksam der Glitch-Hut aufgesetzt wurde. Im interessantesten Teil der Ausstellung wird das Leitthema mit „Critical Disruptions“ eingeführt. Hier geht es um Glitch als das Irritierende, als ein wachrüttelndes Element im technischen Subtext, um verstärkt auf jene Missstände hinzuweisen, die in gesellschaftspolitischen Kunstwerken adressiert werden. Der Glitch, künstlerisch beispielsweise umgesetzt als flackerndes, verpixeltes, spulendes, unscharfes oder ausfallendes Bild, erweist sich als Systemkritik und deutet somit auf gesellschaftsstrukturelle Dysfunktionen hin.

Ein frühes Video von Pipilotti Rist aus den 1980ern als sie noch Studentin war, zeigt sie tanzend und singend, wobei die Geschwindigkeit deutlich erhöht ist und ebenso ihre Stimme im Zeitraffer als eine trickfilmartige Verzerrung erscheint. Sie nutzt das Potenzial der technischen Bildstörung, um die Repräsentation ihres weiblichen Körpers in den Medien infrage zu stellen. 

Raumansicht der Ausstellung "Glitch. Die Kunst der Störung" in der Pinakothek der Moderne", Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis

Eine Videoprojektion von Sondra Perry zeigt zwei ekstatisch tanzende Personen in einem weißen Raum. Sie erhöhte nicht nur die Abspielgeschwindigkeit, sondern verwendete auch ein Photoshop Filling-Tool, das die Schwarzen Körper geisterhaft oder wolkenähnlich verschwinden lässt. Einerseits führt sie damit den entfremdenden Effekt digitaler Technologien vor, andererseits geht es ihr darum, aus der weißen Logik technologiebasierter Machtsysteme auszubrechen.

Jake Elwes veranschaulicht mit „Zizi – Queering the Data Set“ (2019) die klassifizierende Diskriminierung in der Datenverarbeitung von künstlicher Intelligenz. Elwes mischte Portraits von Drag Queens in die Software und lässt die KI-generierten Bilder in einem stetigen Transformationsprozess morphen – transness as glitch. In Ryoichi Kurokawas Filmtriptychon verzerrt und zerlegt sich dokumentarisches Filmmaterial politischer Konfliktsituationen im Nahen Osten und in Südasien, um sich in losen Bildmetaphern des Zerfalls wieder zu verbinden. Was die Ausstellung jedoch nicht leistet, ist ein internationaler Überblick relevanter Positionen der Glitch Art. Maximal stellt sie einige künstlerische Strategien aus einer unvollständigen westlichen Perspektive vor.

Raumansicht der Ausstellung "Glitch. Die Kunst der Störung" in der Pinakothek der Moderne", Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis

Wenn ein technischer Fehler zur künstlerischen Setzung wird, also bewusst entsteht oder beibehalten wird, dann ist es im wahrsten Sinne der Bedeutung davon was Kunst sein kann, kein Fehler mehr. Man denke an prozessbasierte Kunst, wenn eben der Prozess ein Kunstwerk hervorbringt und nicht Kategorien wie richtig oder falsch, korrekt, fehlerhaft oder abweichend von der Norm. Es bleiben Fragen offen, wie beispielsweise, ob ein abstraktes Fotogramm von Wolfgang Tillmans, das einen experimentellen Umgang mit farbigen Lichtquellen veranschaulicht, gleich glitch ist?

Pinakothek der Moderne

Barer Straße 40, 80333 München
Deutschland

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