„Sie lebt mit ihrer Kunst und sie liebt sie!“

Agnes Husslein-Arco über Heidi Goëss-Horten und ihre Kunstsammlung

Agnes Husslein-Arco kuratiert „WOW. The Heidi Horten Collection“ und stellt im Gespräch die Sammlerin und ihren Kunstgeschmack vor. Als Chefin von Sotheby’s Österreich und Europa beriet sie Heidi Goëss-Horten seit Mitte der 1990er-Jahre und stellt nun eine der schillerndsten Privatsammlungen Österreichs erstmals der Öffentlichkeit vor.


Alexandra Matzner: Sie kuratieren die Präsentation der Heidi Horten Collection im Leopold Museum, die zum ersten Mal in der Öffentlichkeit bekannt wird. Wann und warum hat Frau Goëss-Horten beschlossen, in die Öffentlichkeit zu treten? Agnes Husslein-Arco: Um das zu beantworten, muss ich weiter ausholen: Mich verbinden 35 Jahre familiäre Freundschaft mit Heidi Goëss-Horten, die wie ich einen engen Bezug zu Kärnten hat. Außerdem war ich lange Jahre Chefin von Sotheby’s Österreich und Europa – und hier gerade für die moderne und zeitgenössische Kunst zuständig. Zu meinen Aufgaben gehörte, Kunden zu finden und zu betreuen.

AM: Und sie mit dem Virus des Kunstsammelns zu infizieren? AH: Genau! Heidi Goëss-Horten kommt aus einem kunstaffinen Umfeld. Ihr Vater war Graveur und hat entzückende, kleine Bilder gemalt. Heidis erster Mann, Helmut Horten, hat aber auch schon gesammelt. Die beiden lebten damals in Düsseldorf und haben schöne Sachen gekauft – zum Beispiel einen frühen Picasso, die deutschen Expressionisten.

AM: Das klingt nach einer historischen Sammlung. AH: Ich würde es eine klassische Sammlung nennen! Nachdem ihr erster Mann 1987 verstorben war, hat Heidi auf eigene Initiative bei einer Auktion in Tel Aviv begonnen, Werke von Chagall zu kaufen.

AM: Frau Goëss-Horten hat Mitte der 1990er-Jahre intensiv zu sammeln begonnen. Hat das mit dem Zusammenbruch des Kunstmarkts in den frühen 1990ern zu tun? AH: Nein, das weiß ich genau, denn ich war damals dabei! Das war 1996/97 in New York bei einer Auktion. Der Kunstmarkt war zu diesem Zeitpunkt wirklich ganz im Tief. Es waren herrliche Kunstwerke zu ersteigern: Lichtenstein, Warhol, der kurz zuvor gestorben war. Ich kann mich noch erinnern, dass die Leute damals gemeint haben, dass aus Warhol nichts werden würde. Ich habe Heidi Goëss-Horten angerufen und ihr davon erzählt. Sie hat diese Arbeiten aus einer spontanen Entscheidung heraus gekauft. Daraus entstand eine große Liebe für die Pop Art.

 

ADOLPH GOTTLIEB | Blue Orb, 1966 | Öl auf Leinwand | 152,3 × 121,9 cm © Adolph and Esther Gottlieb Foundation, Bildrecht Wien, 2018

ADOLPH GOTTLIEB | Blue Orb, 1966 | Öl auf Leinwand | 152,3 × 121,9 cm  © Adolph and Esther Gottlieb Foundation, Bildrecht Wien, 2018

Der Kunstmarkt war zu diesem Zeitpunkt wirklich ganz im Tief. Es waren herrliche Kunstwerke zu ersteigern.

Agnes Husslein-Arco

 

AM: Wann entdeckte Frau Goëss-Horten ihr Interesse für jüngere Positionen? AH: Vor allem in den 2000er-Jahren ist sie noch mehr in Richtung Gegenwart gegangen. Heidi hatte immer schon eine Vorliebe für den expressiven Georg Baselitz.

AM: Allein die sechs Gemälde von Georg Baselitz in der Ausstellung bilden gemeinsam sozusagen eine konzise Retrospektive. Bei wem hat Frau Goëss-Horten ihre Werke erworben? AH: Sie studiert regelmäßig die Kataloge von Sotheby’s und Christie’s. Über viele Jahre hat sie nur bei Auktionen und sehr wenig bei Händlern gekauft.

AM: Warum? AH: In der Hinsicht ist sie sicher durch mich geprägt, weil sie mich als Vertrauensperson zu Rate ziehen konnte. Ich habe vor allem während meiner Zeit bei Sotheby’s die Käufe für sie abgewickelt, und sie konnte alles mit mir besprechen. Sie hat natürlich immer das letzte Wort gehabt.

AM: Wenn man sich die Sammlung genau anschaut, hat man das Gefühl, dass darin zwei künstlerische Zugänge vertreten sind, die als sehr konträr gelten. Einerseits eine sehr konzeptuelle Art des Gestaltens, vertreten durch Josef Albers oder Lucio Fontana, und andererseits die Expressionisten und die Neo-Expressionisten. Inwiefern ergänzt sich das? AH: Es sind zwei verschiedene Charakterzüge. Sie hat mit dem Opulenteren begonnen. Ihre Ausgangsbasis war Chagall. Dann hat sie mit Fontana fortgesetzt, der eine große stilistische Bandbreite hat. Schließlich konnte sie der abstrakten Kunst immer mehr abgewinnen. Die ganz reduktive, konkrete Richtung hat sich aber nicht durchgesetzt. Davon gibt es nur einzelne Stücke.

RENÉ MAGRITTE | L’Appel des Cimes, 1943 | Öl auf Leinwand | 65 × 54 cm © Bildrecht Wien, 2018 | Fotos: Heidi Horten Collection

RENÉ MAGRITTE | L’Appel des Cimes, 1943 | Öl auf Leinwand | 65 × 54 cm © Bildrecht Wien, 2018 | Fotos: Heidi Horten Collection

AM: Die Ausstellung „WOW“ ist chronologisch aufgestellt. Der erste Raum hingegen gibt einen Überblick über die Darstellung des Tieres in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ist das mit einem Augenzwinkern zu verstehen? AH: Wir zeigen damit gleichzeitig auch die Schwerpunkte der Sammlung auf! „WOW“ beginnt mit Rembrandt Bugatti und dem wunderbaren Bild von Franz Marc. Wir haben Roy Lichtensteins „Forest Scene“ von 1980 zuerst gekauft. Dann kam bei einer Auktion Franz Marcs „Rote Rehe I“ von 1910 dazu ...

AM: … das Lichtenstein zu seiner Paraphrase angeregt hat. AH: Ja, das ist wirklich die „Vorlage“. Von Not Vital besitzt sie das Geweih „Fuck you“ – sie hat einen großartigen Humor, muss man erwähnen.

ROY LICHTENSTEIN Forest Scene, 1980 Öl und Magna Acrylfarbe auf Leinwand 325,1 × 243,8 cm © Estate of Roy Lichtenstein, Bildrecht Wien, 2018 Foto: Heidi Horten Collection

ROY LICHTENSTEIN Forest Scene, 1980 Öl und Magna Acrylfarbe auf Leinwand 325,1 × 243,8 cm © Estate of Roy Lichtenstein, Bildrecht Wien, 2018 Foto: Heidi Horten Collection

AM: Ist Frau Goëss-Horten noch aktive Sammlerin? AH: In den letzten Jahren hat sie nicht mehr viel erworben. Sie lebt mit ihrer Kunst und sie liebt sie. Das ist auch ein Grund, warum sie ihre Werke jetzt in die Öffentlichkeit bringt. Sie kauft sie nicht fürs Depot.

AM: In den vergangenen Jahren hatten Sie im Belvedere immer wieder die Möglichkeit, einige Werke in Ausstellungen hineinzunehmen. Allerdings haben Sie es auch geschafft, dass nicht allzu viel Wind darum gemacht wurde. AH: Die Werke, die im Belvedere ausgestellt waren, wurden sogar mit dem Namen der Sammlerin ausgewiesen. Sie hat meine Tätigkeit sehr genau beobachtet. Indirekt hat sie dadurch ein Naheverhältnis zu jenen Museen aufgebaut, für die ich arbeiten durfte. Sie hat auch früher schon einmal gesagt, dass man ihre Sammlung vielleicht einmal ausstellen sollte. Ich fand das immer eine gute Idee. Die Entscheidung kommt nun ganz klar von ihr. She’s the boss! Mir gegenüber ist sie eine sehr loyale Person.

AM: Die Präsentation ihrer Sammlung im Leopold Museum ist prinzipiell ein großer Schritt in die Öffentlichkeit. Sie unterstützt darüber hinaus auch die Vermittlung, indem sie an gewissen Tagen kostenfreien Eintritt ermöglicht bzw. Gratiskunstvermittlung finanziert. Warum ist ihr das so wichtig? AH: Es geht darum, der Allgemeinheit die Möglichkeit zu geben, sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Es heißt immer, dass es in Österreich keine bedeutenden Sammlungen gibt. Die Heidi Horten Collection ist sicher eine der bedeutendsten europäischen Sammlungen überhaupt. Das kann ich beurteilen.

AM: Wenn man heute eine Sammlung beginnen möchte, was würden Sie denn zukünftigen Sammlern raten? Wie geht man vor? AH: Die Sammlung von Heidi Goëss-Horten hat damit begonnen, dass sie Dinge gekauft hat, die ihr gefallen haben – aber immer in guter Qualität. Wahrscheinlich erkennt man, wenn man zu sammeln beginnt, selbst nicht, was gute und was schlechte Qualität ist bzw. wie das Werk im Œuvre des Künstlers steht. Man muss sich daher viel umsehen, trainieren, sich selbst prüfen – oder sich gut beraten lassen. Heute dürfte es durch das Internet wahrscheinlich eine Spur leichter sein, man hat viel mehr Möglichkeiten, sich zu informieren.

AM: Zu einer guten Sammlung gehört vermutlich auch, dass man sich gelegentlich von Werken trennen muss. AH: Korrekt. Aber das machen ja viele Sammler. Der Kunstmarkt hat sich sehr geändert, weil er schneller geworden ist.

AM: Sammeln Sie selbst? Und wenn ja, was? AH: Natürlich! Alles, was mir gefällt

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