Eine Sammlung bricht alle Rekorde

Kunstauktions-Superlativ

© Christie’s Images Limited 2022

Der Auktionator gestikuliert wild hinter dem Rednerpult. Gegen 20:30 Uhr liegt der Gesamterlös bei Los 32 bereits bei 1 Milliarde Dollar. Mit einem Ergebnis von mehr als 1,6 Milliarden Dollar bricht die Sammlung des verstorbenen Microsoft-Gründers Paul G. Allen in der vergangenen Woche bei Christie's alle Rekorde der bisherigen weltweiten Auktionsgeschichte.


Meisterwerk um Meisterwerk fand in einer zweiteiligen Wohltätigkeits-Versteigerung ihre Abnehmer. Allein fünf Lose überstiegen dabei die 100-Millionen-Dollar-Marke. Und auch der Klimt-Verkauf übertraf den bisherigen Höchstpreis für den Künstler bei einer Auktion. Damals, im Jahr 2006, waren es 88 Millionen Dollar für das "Porträt von Adele Bloch-Bauer II", in eben jenem Jahr, in dem Allen Gustav Klimts herbstlichen "Birkenwald" von 1903 für rund 40 Millionen Dollar erwarb. Nun erbrachte ebendieses Werk den Rekordpreis von 105 Millionen Dollar und verdreifachte dabei annähernd den Kaufpreis in gerade mal rund 15 Jahren. Eine Wegmarke, die derzeit sicherlich am Markt auch deshalb möglich ist, da vermögende Menschen aufgrund hoher Inflation und Niedrigzinsen bevorzugt ihr Geld in Sachwerte stecken, deren Investition sich sichtbar lohnt.

Der erste von zwei Allen-Verkäufen brach bereits den bisherigen Umsatzrekord ...

Sebastian C. Strenger

Dabei standen weitere Künstler ebenso hoch im Kurs. Während der Auktion gab es im Verkaufsraum kaum Beifall, als fünf Lose ebenso hohe Zuschläge erhielten. Mit Georges Seurats "Les Poseuses, Ensemble (Petite version)" zum All-In-Preis von 149 Millionen Dollar, sowie Paul Cézannes kubistisches Bild aus den Jahren 1888-90 "La Montagne Sainte-Victoire" mit 138 Millionen Dollar fielen eindrückliche Verkaufszahlen.

Gustav Klimt, Birkenwald, 1903, Öl auf Leinwand, 110.1 x 109.8 cm, verkauft für $ 104.585,000, © Christie’s Images Limited 2022

Gustav Klimt, Birkenwald, 1903, Öl auf Leinwand, 110.1 x 109.8 cm, verkauft für $ 104.585,000, © Christie’s Images Limited 2022

Auch Vincent van Goghs grüne Szene von Arles "Verger avec cyprès" knackte die 100 Millionen Dollar Marke und wurde für 117 Millionen Dollar versteigert. Mit insgesamt 5 Verkäufen über 100 Millionen erzielte die Auktion einen Großteil ihres Umsatzes, um nicht zu sagen nahezu den Christie´s Gesamtumsatz mit Moderne und Zeitgenossen aus dem Jahr 2020. Der erste von zwei Allen-Verkäufen brach bereits den bisherigen Umsatzrekord an einem Abend von 922 Millionen Dollar, der vor einem halben Jahr bei Sotheby's für Kunst der Sammlung Harry und Linda Macklowe aufgestellt worden war. Jene war in rund 50 Jahren zusammengetragen worden, eine Scheidung führte dazu, dass etwa ein berühmtes Selbstporträt von Andy Warhol unter den Hammer kam.

Georges Seurat, Les Poseuses, Ensemble (Petite version), 1888, Öl auf Leinwand, 39.3 x 50 cm, erzielter Preis $ 149,240,000, © Christie’s Images Limited 2022

Georges Seurat, Les Poseuses, Ensemble (Petite version), 1888, Öl auf Leinwand, 39.3 x 50 cm, erzielter Preis $ 149,240,000, © Christie’s Images Limited 2022

Paul Cézanne, La Montagne Sainte-Victoire, 1888-1890, Öl auf Leinwand, 65.2 x 81.2 cm, erzielter Preis $ 137,790,000, © Christie’s Images Limited 2022

Paul Cézanne, La Montagne Sainte-Victoire, 1888-1890, Öl auf Leinwand, 65.2 x 81.2 cm, erzielter Preis $ 137,790,000, © Christie’s Images Limited 2022

Vincent van Gogh, Verger avec cyprès, 1888, Öl auf Leinwand, 65.2 x 80.2 cm, erzielter Preis $ 117,180,000, © Christie’s Images Limited 2022

Vincent van Gogh, Verger avec cyprès, 1888, Öl auf Leinwand, 65.2 x 80.2 cm, erzielter Preis $ 117,180,000, © Christie’s Images Limited 2022

Paul Gauguin, Maternité II, 1899, Öl auf Sackleinen, 94.7 x 61 cm, erzielter Preis $ 105,730,000, © Christie’s Images Limited 2022

Paul Gauguin, Maternité II, 1899, Öl auf Sackleinen, 94.7 x 61 cm, erzielter Preis $ 105,730,000, © Christie’s Images Limited 2022

Neben den sonst üblichen Verdächtigen im Saal – wie den HändlerInnen Amalia Dayan, Larry Gagosian, Joe Nahmad und David Zwirner – war auch der Eigentümer von Christie's, François Pinault in der Auktion, um mitzubieten. Dabei spiegelt deren Interesse nicht den Kunstmarkt im Allgemeinen wider, jedoch den Appetit auf seltene Meisterwerke als Handelsware mit einer legendären Provenienz. Beste Voraussetzungen also, um im Weiterverkauf mit einem Aufschlag von 10 bis 30 Prozent schnell und gewinnbringend an bereits wartende Sammler einträglich zu verkaufen. Dabei flammten zwischen den Zuschlägen zugleich auch wieder die Gespräche über einen Verkauf der Gagosian Gallery als größte kommerzielle Kunstgalerie mit ihren weltweit 22 Standorten an Pinault oder dessen Widersacher Bernard Arnauld auf – Das Wirtschaftsmagazin Forbes listet Arnauld als drittreichsten Menschen der Welt. Etwa ein Viertel der zugeschlagenen Lose ging an asiatische Käufer, Gebote kamen aus insgesamt 32 Ländern.

Wegweisende Zahlen im Medium der Fotografie

Wenngleich Losnummer 32 mit Alberto Giacomettis anmutigem stehenden Akt "Femme de Venise III" bei einer Schätzung von 15 bis 20 Millionen Dollar für 25 Millionen Dollar verkauft wurde, hat Giacometti in der Vergangenheit bereits weitaus höhere Zuschläge erzielt. Unter Umständen ein Hinweis darauf, dass der Markt hier abflaut.

Ganz anders beim Medium Fotografie. Die ersten drei Lose übertrafen ihre Schätzungen bei Weitem. Dazu gehörte Edward Steichens düsteres Bild "Flatiron" von 1904, dass das New Yorker Flatiron Building zeigt. Mit dem Vierfachen des Schätzpreises – also insgesamt 12 Millionen Dollar – stellte es einen neuen Auktionsrekord für den Künstler auf und wurde zur zweithöchsten preislichen Wegmarke der Fotogeschichte. Davor rangiert nur Man Rays Fotografie "Le Violon d'Ingres" von 1924, die im vergangenen Mai bei Christie's für 12,4 Millionen Dollar versteigert wurde.

Auktion "The Paul G. Allen Collection", Christie's, 10. November 2022, Ausstellungsansicht mit Alberto Giacometti, Femme de Venise III, Entwurf 1956, Ausführung 1958, © Christie’s Images Limited 2022, Foto © 2022 Visko Hatfield

Auktion "The Paul G. Allen Collection", Christie's, 10. November 2022, Ausstellungsansicht mit Alberto Giacometti, Femme de Venise III, Entwurf 1956, Ausführung 1958, © Christie’s Images Limited 2022, Foto © 2022 Visko Hatfield

Der Sammler Allen war mitunter seiner Zeit voraus, als er bereits früh Werke von Frauen wie Agnes Martin, Louise Bourgeois und Barbara Hepworth sammelte. Bei der Auktion wurden auch Georgia O'Keeffes "Weiße Rose mit Rittersporn Nr. 1" für 27 Millionen Dollar verkauft und erzielte damit mehr als das Vierfache der unteren Schätzung von 6 Millionen Dollar. Sicherlich auch ein Ergebnis, welches die Covid-Pandemie ermöglichte. Museen waren gezwungen monatelang zu schließen. Nicht zuletzt dadurch ergab sich eine Hommage an black artists mit dem jetzigen Resultat, dass vier US-Museen im ganzen Land Herbstausstellungen zeigen, in denen die Arbeit afrikanischer und afroamerikanischer Künstler gewürdigt wird. Sie signalisieren damit einen Wandel in der Einstellung und in den Prioritäten für die Institutionen, der sich mittlerweile auch im Kunst- und Auktionsmarkt international abbildet. Also eine insgesamt kulturelle Kurskorrektur, die zunehmend in Museen, Galerien und Auktionshäuser und jetzt auch in der Sammlerschaft angekommen ist.

Paul Allen, ein Sammler mit dem richtigen Auge – aber auch mit unerschöpflichen monetären Ressourcen [...]

Sebastian C. Strenger

Dass Allen die Zeichen der Zeit früh erkannte, zeigte sich bereits noch zu Lebzeiten in einigen spektakulären Einzelverkäufen seiner Sammlung. Im Jahr 2016 verkaufte er beispielsweise Gerhard Richters Gemälde eines amerikanischen Kampfjets für 25,6 Millionen Dollar, mehr als das Doppelte der 11,2 Millionen Dollar, die er ein Jahrzehnt zuvor bezahlt hatte. 2014 verkaufte er ein Mark Rothko-Gemälde für 56,1 Millionen Dollar, für das er 2007 „nur“ 34,2 Millionen Dollar bezahlt hatte. Ein Sammler also mit dem richtigen Auge für Kunst und Markt – aber auch mit unerschöpflichen monetären Ressourcen, die ihn bei Auktionen immer auch konkurrenzlos zurückließen.

Im Vorfeld der Auktion sahen sich mehr als 20.000 Menschen die Sammlung an. Dabei führten die Schlangen am Rockefeller Plaza in Midtown über bis zu zwei Stunden Wartezeit, nur um die Meisterwerke zu sehen, bevor diese zumeist in Privatsammlungen verschwinden. Dazu zählte eine große Bandbreite an erstklassigen Werken in Allens Sammlung, die er in den 1980er Jahren angelegt hatte und von denen mehr als 150 bei Christie's zum Aufruf kamen. Die Werke umspannenten 500 Jahre Geschichte und reichten von Botticellis klassischer "Madonna des Magnificat" (Mitte des 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts), die bei einer Schätzung von 40 Millionen Dollar für 48 Millionen Dollar verkauft wurde, bis hin zu Wayne Thiebauds skurriler Anordnung von Desserts in "Café Cart" (2012), die bei einer Schätzung von 3 bis 5 Millionen Dollar die Schätzung verdoppeln (6 Mio.) konnte. Ebenso wie das expressiv abstrakte Gemälde von Jasper Johns, "Small False Start", ein Frühwerk aus dem Jahr 1960, das bei einer Schätzung von 45 bis 65 Millionen Dollar für 55 Millionen Dollar verkauft wurde und den 2014 aufgestellten Rekord des Künstlers von 36 Millionen Dollar für ein von Alice Walton erworbenes Flaggengemälde brach.

Auktion "The Paul G. Allen Collection", Christie's, 10. November 2022, Ausstellungsansicht mit Alessandro Filipepi, genannt Sandro Botticelli, Madonna of the Magnificat, © Christie’s Images Limited 2022, Foto © 2022 Visko Hatfield

Auktion "The Paul G. Allen Collection", Christie's, 10. November 2022, Ausstellungsansicht mit Alessandro Filipepi, genannt Sandro Botticelli, Madonna of the Magnificat, © Christie’s Images Limited 2022, Foto © 2022 Visko Hatfield

Der Gesamterlös ging auf Allens Anweisung hin an philanthropische Zwecke.

Sebastian C. Strenger

Christie's erhielt die Auktionsakquisition gegenüber Widersacher Sotheby´s, indem das Auktionshaus den gesamten Verkauf garantierte. Der vereinbarte Mindestpreis für das gesamte Konvolut überzeugte den Nachlass Allen, zumal Christie's das Risiko ausglich, indem es für viele der Lose Mindestgebote von Dritten einholte. Sammler also, die sich im Voraus auf einen Kaufpreis mit Christie´s einigten und damit sicherstellten, dass sie das Werk kaufen konnten, wenn der Preis die Garantie nicht überstieg. Letztlich wurden alle Lose zugeschlagen.

Der Gesamterlös ging auf Allens Anweisung hin an philanthropische Zwecke. Sein Nachlass hatte zuvor die Begünstigten nicht bekannt gegeben, möglicherweise, um potenzielle Käufer nicht zu verprellen, die mit den wohltätigen Zielen nicht einverstanden gewesen wären.

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