Gallery Diary - Galerie Kandlhofer | Michael Kienzer
Der nahezu literarische Titel ist durchaus doppelbödig angelegt, poetisch, anregend und in seiner Vieldeutigkeit fordernd. Er stellt Bedeutungsverabredungen in Frage – und weist darin auf die Eigenart und Relevanz von Michael Kienzers Arbeiten.
Nun zeigt er eine erste Einzelpräsentation in der Galerie Kandlhofer. Sie hebt im ersten Raum mit einer großen massiven Skulptur aus Aluminium- und Stahlelementen von 2014 an, die an sein früheres Schaffen anknüpft um mit einem aktuellen, ebenso raumgreifenden Gegenstück am Ende des Parcours gleichsam eine Klammer zu bilden. Zwischen den beiden raumgreifenden Arbeiten entfaltet sich eine vielgestaltige Ausstellung aus jüngst entstandenen Werken. Groß wie ein Mensch ragt ein grüner Pfosten in die Höhe, als Plattform dient ihm eine Konstruktion aus weiteren Grenz- oder Zaunelementen. Eine plastische Collage, die eine Markierung setzt und wie ein Signal im Raum steht, das nicht nur formal in verschiedene Richtungen weist.
Der größte der Galerienräume wird mit der neuen Serie der großformatigen „Falter“ skulptural durchsetzt und koloristisch belebt. Jeweils drei schlichte, leicht deformierte, in unterschiedlichen Farbtönen lackierte Blechpaneele sind an den Kanten aneinandergefügt, sodass sie sich als einladende Raumkompartimente den BetrachterInnen gegenüber öffnen: Plastisch gewordene Malerei, die locker gestreut, Raum bildende architektonische Dimension offenbart.
Durch die punktuelle, kaum sichtbare Verbindung zwischen den einzelnen monochromen Farbflächen scheinen sich diese gegenseitig in fragiler Balance zu halten. So mischt sich in die Autonomie dieser stolzen Konstrukte das Moment einer zeitlichen Bedingtheit, Verletzlichkeit und Empfindsamkeit, intensiviert durch die leichten Knicke und Wölbungen der Oberflächen und den daraus resultierenden Nuancen von Licht-, Schatten- und Farbtönen. Die einzelnen „Falter“ führen einen Dialog, mit sich und mit der Architektur, und verführen die Besucher diesen Diskurs zu amplifizieren.
Ein skulpturales Gebilde an der Wand hingegen scheint nur auf sich selbst bezogen, versunken in sich und seine Windungen aus Blechen und bauschenden Metallgeweben. Es bricht die kantige Atmosphäre der „Falter“. Diverse Bahnen und Schlaufen schmiegen sich schmeichelnd an und ineinander und entwickeln ein sinnliches Spiel zwischen subtil differenzierten Glanz- und Farbwerten. Doch ausgefranste Kanten und Risse erzählen von einer Verletztheit, in abstrakter Schönheit verbirgt das Objekt seine verschlungene Geschichte. Frei im Raum türmen sich silbrig schimmernde Bausteine zur schmalen durchlässigen Skulptur „translation“. Es sind Aluminiumabgüsse von behauenen Schalungsziegeln, systemisch zu einer modularen Struktur übereinandergeschichtet.
Die Gestalt ist schlicht, die Erscheinung sinnlich, doch karg, die Arbeit figurativ anmutend, doch streng konzeptuell. In ihr sind mehrere skulpturale Konstanten gebündelt, von Michael Kienzer in seine Formsprache übersetzt: Die händische Bearbeitung der einzelnen Elemente ist extrem reduziert, die bildhauerische Logik zu radikalem Purismus getrieben. Durch das Gussverfahren ist das ursprüngliche Objet trouvé einer realen Steigerung des Materialwerts zugeführt wie ideell überhöht. Das Prinzip des Ready-made ist weitergedreht, zugespitzt im Spiel mit Materialität, Realität und Idealität. Als geometrische räumliche Setzung schließt die große Skulptur „Kreise“ aus industriell vorgefertigten Aluminiumelementen die Ausstellung ab. Klar und nüchtern, direkt und selbstbewusst ist ihr Auftritt. Mit einer vorgelagerten Schwelle greift sie sich Raum, hält so die Besucher vor diesem zurück – und sich selbst vom Leib. Souverän erhebt sie sich dahinter, starr und doch belebt, in rätselhaften Kreisen.
Einige Jahre hat Michael Kienzer keine Zeichnungen mehr gezeigt. Und doch stellen sie eine wesentliche Komponente in seinem Schaffen dar. Nun ist eine Fülle aus dem zeichnerischen Oeuvre den Plastiken gegenübergestellt. In verschiedenen Techniken sind sie spontan mit intuitiver, sehr reduzierter Strichführung entstanden. Bezüge zum skulpturalen Schaffen stellen sich ein, manche Zeichnung rückt in die Nähe eines Entwurfs oder lässt diesen erahnen. Die Korrespondenz der Zeichnungen zum bildhauerischen Werk ist präsent und essentiell, doch bleibt ihr Charakter autonom, elementar und abstrakt. Ausgewählte Assemblagen ergänzen als kleine plastische Arbeiten in Vitrinen die Vielgestalt dieser Ausstellung, mit welcher uns Michael Kienzer in einer Momentaufnahme Einblick in den Fluss seines gegenwärtigen Schaffens gewährt.
Michael Kienzer wurde 1962 in Steyr, Österreich, geboren. Kienzer lebt und arbeitet in Wien. Er absolvierte ein Studium der Bildhauerei an der Kunstschule Graz (1979) bei Prof. Josef Pillhofer, von 1979-82 Aufenthalt in Berlin, Mitarbeit am Kunst- und Kulturzentrum Kreuzberg, von 1987-1989 war Kienzer als Szenenbildner am Westfälischen Landestheater Castrop tätig und erhielt 1992 das Österreichische Staatsstipendium und 2011 das International Studio & Curatorial Program (ISCP) in New York.
Galerie Lisa Kandlhofer
Brucknerstraße 4, 1040 Wien
Österreich