BRAINSCAPE – Eine Ausstellung im Haus der Moderne Brünn

Alfons Schilling in Brünn

Wenn unten zu oben, rechts zu links und nah zu fern wird, steht die Welt auf einmal Kopf. Das Haus der Moderne in Brünn startete in das neue Jahr 2024 mit der Eröffnung von drei Ausstellungen. Im Fokus stehen der in Brünn geborene Videokünstler Woody Vasulka und die isländische Videokünstlerin Steina Vasulka. Gemeinsam mit Alfons Schilling verbindet sie eine enge Freundschaft. Ein gelegener Anlass, ihre Zusammenarbeit näher zu beleuchten.


Alfons Schilling ist 1934 in der Schweiz geboren. Anfangs am Wiener Aktionismus beteiligt, löste er sich von diesem mit seinem Umzug nach Paris und später in die USA. Wenn auch nicht ganz, denn mit seiner Aufforderung nach einer körperlichen Betätigung und aktiven Wahrnehmung des Sehvorgangs, blieb der Geist des Wiener Aktionismus im Kern seines Schaffens weiterhin bestehen. In New York hingegen, beeinflussten die Begegnungen mit Künstlerkolleg:innen sein Leben. So auch jene mit dem Ehepaar Vasulka.

Woody und Steina Vasulka lernten sich zuvor als Studierende in Prag kennen und emigrierten, wie so viele Ende der 1960er-Jahre aus der ehemaligen Tschechoslowakei, in die USA. Dort angekommen, erwartete sie Alfons Schilling bereits in seinem Studio. Woody als studierter Filmemacher und Steina als Geigerin schufen während ihrer Zeit in New York ganz unverhofft ein Archiv an Filmmaterial, das die damalige Kunstszene der 1960er- und 1970er-Jahre vor Ort dokumentierte. Ihr eigentlicher Umgang mit Filmmaterial bezog sich jedoch auf dessen analoge Manipulation in Bild und Ton. Das Format Film erforschten sie gemeinsam und schlossen sich damit dem Beginn der Videokunst an. Schließlich etablierten sie mit der Gründung der kulturellen Einrichtung „The Kitchen“ einen Raum für die Videokunst, als eine Kunst der neuen Medien, die mit und für viele andere zugänglich gemacht wurde. Alfons Schillings künstlerische Auseinandersetzung mit Sehprozessen gliederte sich dabei gut in das Geschehen ein, was zu gemeinsamen Projekten mit den Vasulkas führte.

SCHILLINGS INVERSIVE SEHMASCHINEN

Obwohl sie für Schilling nie genug war, so ist die Leinwand auch nie zur Gänze aus seinem Werk verschwunden. Bereits seine „spin paintings“ brachten einen gewissen Schwung in den Prozess der Malerei. Bei diesen ging es ihm vor allem noch um die Tiefenwirkung der Bilder. Ab Mitte der 1960er-Jahre, als er in Paris und dann in den USA lebte, galt sein Interesse jedoch zunehmend der Erforschung von Raum und Bewegung im Bild. Ein Zeitpunkt, an dem die Brünner Ausstellung „Brainscape“ ansetzt und die Holografie, Stereoskopie und Linsenrasterfotografie hervorhebt.

In Zuge dessen werden auch seine sogenannten „Sehmaschinen“, die zur direkten Hinterfragung des Sehvorgangs dienen, vorgestellt. Sie variieren in Dimension und Ausführung. Die vom Künstler selbst gebauten Apparaturen können wenige Zentimeter groß oder einige Meter lang sein. Ihre Anwendung erfolgt, indem sie auf den Kopf aufgesetzt werden. Das Bild, das sie dann vermitteln ist eine andere Wahrnehmung der Umwelt. Die Perspektiven verschieben sich und schon scheint die Welt mehr als nur Kopf über zu stehen. Die angewendete Inversionsoptik schafft nicht nur was unten ist nach oben, sondern was rechts ist nach links und was nah ist wird fern.

Alfons Schilling in his studio, © ARCHIVE & ESTATE Alfons Schilling, Vienna

Schilling erforscht mit seiner Kunst das Zusammenspiel von Auge und Verstand, indem er das natürliche Sehen anzweifelt und sich künstlicher Erweiterungen des Auges bedient. Die Ausstellung zeigt großformatige Fotografien und Videoaufnahmen des Künstlers in Aktion mit seinen Sehmaschinen, die in der Landschaft zum Einsatz kommen. Dabei erhalten die Besucher:innen überwiegend nur einen Blick von außen auf das Geschehen. Die erzeugten Bilder der Sehmaschinen, sowie anderer Apparaturen werden in der Ausstellung oft der eigenen Fantasie überlassen, wodurch nur zu erahnen ist, wie all die verdrehten Welten aussehen können.

Es gibt im Haus der Kunst in Brünn aber auch die Gelegenheit Schillings Aufforderung nach der Auseinandersetzung mit dem eigenen Visuellen nachzugehen. Das Stichwort heißt Stereofotografie. Zu sehen sind zwei Leinwände mit schwarzem Muster auf weißem Hintergrund und eine Apparatur, die zwei Linsen zum Durchschauen beinhaltet. Steht man dem gegenüber, bleibt nichts anderes, als sich auf das Experiment einzulassen. Denn ohne durch die Linsen durchzuschauen, bleibt das eigentliche Kunstwerk verborgen. Der Blick durch die Linsen lässt auf einmal dreidimensionale Objekte aus dem Bild hervorragen. Objekte, die nicht im Raum und doch zu sehen sind. Heutzutage ist das kein unbekannter Effekt mehr, aber um die 50 Jahre zurück, war die Wirkung wohl beeindruckender als in unserer gegenwärtigen digitalen Umwelt, in der wir tagtäglich mit immateriellen Erscheinungen auf unseren Smartphones konfrontiert sind.

ELECTRONIC SPACE MANIFEST 

Der Titel „Brainscape“ beschreibt für Alfons Schilling jenes Verhältnis zwischen Auge und Verstand und somit dem Gesehenen und der Wahrnehmung, das er über die Faktoren Raum und Zeit zu hinterfragen versucht. Dabei beschäftigt er sich mit unterschiedlichen Formen von dreidimensionalen Bildern. Neben Stereoskopien und Sehmaschinen sind in der Ausstellung sogenannte Linsenrasterfotografien zu finden. Gezeigt werden Aufnahmen, die er bei der Chicago Demonstration im Jahr 1968 gemacht hat. Bei dieser Technik werden mehrere Motive übereinandergelegt. Sobald man an den Bildern vorbei geht, ändert sich von jedem Blickwinkel aus das Gesehene. Als würde das Bild in Bewegung versetzt werden. Gemeinsam mit den Stereoskopien und Sehmaschinen können diese Arbeiten durchaus als Annäherung an das, was wir gegenwärtig als Erweiterte Realität (XR) verstehen und der die virtuelle Realität angehört, betrachtet werden.

1973 verfassten Alfons Schilling und Woody Vasulka das „Electronic Space Manifest“.

Video Headset, 1973 / 2019, drawing, print, © ARCHIVE & ESTATE Alfons Schilling, Vienna

Darin beschreiben sie eine binokulare Videobrille, die die Betrachter:innen in eine dreidimensionale Umgebung einschließen soll. Die Realisation war damals zwar noch nicht umsetzbar, die von Schilling angefertigten Skizzen, die auch in der Ausstellung zu sehen sind, kommen dem was wir heutzutage als VR-Brille kennen jedoch sehr nahe. Es zeigt, wie weit fortgeschritten die Digitalisierung in den 1970er- Jahren, wenn auch von einer massenmedialen Anwendung noch weit entfernt, schon war. Damals wie heute ist es ein Kontext, in dem sich stets verändernde Seh- und Wahrnehmungsstrukturen einen wesentlichen Beitrag leisten. Alfons Schilling, sowie Steina und Woody Vasulka bieten somit einen ersten Ausblick von damals auf die Zukunft, in der wir uns heute befinden.

Alfons Schilling
Brainscape

bis 4. 2. 2024

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