»Unfolded Matters« bei Georg Kargl Fine Arts, Wien 

Unfolded Matters, installation view, 2019, courtesy Georg Kargl Fine Arts, Photo © Matthias Bildstein

Georg Kargl Fine Arts

Schleifmühlgasse 5, 1040 Wien
Österreich

KünstlerIn: Olivia Coeln, Mark Dion, Marcel van Eeden, Peter Fend, Jennifer Gelardo I Barbara Hainz, Jitka Hanzlová, Sanna Kannisto, David Maljkovic, Agnieszka Polska, Robert Smithson, Hannes Zebedin

Titel: UNFOLDED MATTERS. Nature as Culture, Culture as Nature

Datum: 28. Juni 2019 – 31. August 2019

Fotografie: All images courtesy Georg Kargl Fine Arts | Foto © Matthias Bildstein

Ausstellungstext:

 

Da, wo alle Dinge menschlich sind, ist das Menschliche ein ganz anderes Ding.

Eduardo Viveiros de Castro

„I don’t want your hope. I don’t want you to be hopeful. I want you to panic. I want you to feel the fear I feel every day. And then I want you to act.“, sagt die Klima-Aktivistin Greta Thunberg in Davos, Januar 2019 in einem Interview für die Zeitung The Guardian1 . Die Berufung des 16- jährigen Mädchens geht der kanonischen Idee der Kindheit oder Jugendlichkeit als Instanz der Hoffnung entgegen. Die strenge Forderung auf dringende Aktion schiebt die klassische Frage „Was tun?“ in die Kategorie des Vergangenen, des Obsoleten. Die Zeit für die Diskussion über „Was gemacht werden sollte“ ist abgelaufen. Wir Menschen haben alleine schon zu viel getan, während wir ignoriert haben, dass andere Subjekte auch die Kapazität des Agierens haben und dass sie auch agieren, während wir „gegen-agieren“.

Der erste körperliche Effekt von Panik ist Lähmung; Nicht-Agieren wäre dann die Vorbedingung des Agierens, um zu hören, welche Aktionen andere Agenten uns vorzuschlagen haben. MitDenken als Bedingung für ein Mit-Werden – aber wie, wenn unser epistemologisches Verständnis seit dem 18. Jahrhundert die Natur von der Kultur trennt und dadurch die Einbildungskraft eines gemeinsamen Denkens und Werdens (im Vorhinein) blockiert? Und schon wieder geraten wir in die Sackgasse der rhetorisch – und nicht-konstruktiven Diskussion über das „wie“. Die Ausstellung Unfolded Matters – Nature as Culture, Culture as Nature, greift auf diese klassische Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zurück und stellt sie einer anderen Epistemologie entgegen, um Fragen der künstlerischen Annährung zu beiden Begriffen zu erörtern. Der westlichen Idee des „menschlichen Exzeptionalismus2 – welche die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur durch eigene Termini definiert – wird ein anderes, nicht-westliches Konzept von Natur und Kultur gegenübergestellt: jenes, des amerindianischen Perspektivismus,welcher, durch die Annahme des Personifizierens von allem Seienden, zur Auflösung dieser Unterscheidung tendiert. Die Konsequenz dieser Umkehrung ist die artübergreifende Ausdehnung des Attributs „Menschlichkeit“, wobei die Differenz zwischen Mensch und Nicht-Mensch in jeder Art von Seienden zu finden ist.3

Diese symmetrische Konfrontation der westlichen und nichtwestlichen Weltbilder ist das Spannungsfeld, in dem sich die Ausstellung Unfolded Matters entfaltet. Diese Konfrontation bildet den Ausgangspunkt für eine non-lineare Verhandlung der vielfältigen künstlerischen Positionierungen und das Beleuchten der Durchlässigkeit der Grenze zwischen Differenz und Ähnlichkeit und das changierende Vibrieren der „variablen Ontologien“4 von Kunstwerken.

Pflanzen werden in Mark Dions Nursery personifiziert – die Kombination von Pflanzen und Kinder-Ausstattung verweist auf den menschlichen Ethos der Pflege und der Disziplinierung, genauso wie auf das Paradox von Wachstum und Adaptation. Währenddessen betrachtet das Subjekt von Agnieszka Polskas poetischem Werk Your Intestines den Zusammenbruch von Körper, Ökonomie und Kultur. Vergänglichkeit wird auch bei dem Werk von Jennifer Gelardo thematisiert, in dem sie die Funktion des Reispapiers soweit verschiebt, sodaß seine Fragilität der einmaligen Performativität eines Ephemeres ähnelt. Widerstände des Lebendigen und des Konstruierten drücken sich in dem Spannungsfeld zwischen Dach und Pflanze bei David Maljkovics Untitled, 2012 aus.

Barbara Hainz thematisiert die Performativität des Materials im Kontext seiner Präsentation in Raum: Die Beständigkeit von Wachs variiert je nach der räumlichen Anpassung des Materials – Adaptabilität kann Stärke und auch Risiko sein.

In ihrer fotografischen Serie schafft Olivia Coeln eine Taxonomie der natürlichen Form. Das Nebeneinanderstellen von Ausschnitten verschiedener Naturelemente vermischt Ähnlichkeiten und Differenzen verschiedener Spezies und verweist auf eine allgemeine Verwandtschaft der Formen.

Jitka Hanzlova thematisiert in ihrer fotografischen Serie die Beziehung zwischen der Bezeichnung und dem Bezeichneten. Wissenschaftliche Benennungen sind Untertitel für die im Porträtstil abgebildeten Pflanzen und Insekten. Die im Bild personifizierten Wesen sind Protagonisten von Bildern mit dem verallgemeinerten und vagen Titel Untitled. Die in wissenschaftlicher Sprache spezifizierten Untertitel weisen auf eine Benennung von außen, welche die Subjektivität jedes(r) einzelnen Akteurs und Akteurin unter spezifische Verallgemeinerung verpackt.

Auch Sanna Kannisto greift auf wissenschaftliche Namen für die Titel ihrer Fotos zurück. Nur geht es hier nicht um das Porträtieren, sondern um eine Inszenierung: Pflanzen und Tiere sind aus ihren ursprünglichen Kontexten entfernt und warden in bühnenartigen „Field Studios“ untersucht, inszeniert und fotografiert. Die Konfrontation zwischen Wissenschaft und Inzenierung hebt die Fremdheit eines ökologischen Systems hervor.

Marcel Van Eeden Tryptic Untitled, 2013, parallelisiert Bild und Text und hinterfragt so die westliche Idealisierung der Linearität. Das Bild einer nichtlinearen Landschaft zusammen mit einem Textstreifen destabilisiert (formal und inhaltlich) die Beziehung zwischen Bild und Legende, zwischen Hintergrund und Vordergrund.

In seiner investigativen Dokumentation untersucht Hannes Zebedin den versteckten Widerstand der Natur und die Natur als geeigneten Ort für geheimen politischen Widerstand.

In einer Serie von Zeichnungen experimentiert Peter Fend neue graphische Repräsentationen der Makro –und Mikro Welten: Weltkarten werden verzerrt und neue, molekulare und atomare Beziehungen neu konfiguriert.

Das auf Fliesen gedruckte Werk von Marc Dion ist eine kritische und ironische Erzählung über die Ungleichheit des kolonialistischen Marktes. Das Weiterleben der grausamen Unverhältnismäßigkeit in der Relation Ausbeuter/Ausgebeuteter wird verstärkt durch die an der Wand hängenden, anderen Bilder, welche die faktischen und imaginären, politischen und natürlichen Katastrophen des Anthropozäns referrenzieren. In diesem Kontext bilden die früheren Zeichnungen von Robert Smithson eine zeitliche Achse der Fabulation: die gezeigten, anthropomorphischen Kreaturen führen uns zugleich in die Welt des Imaginären und in jene Zeit großer Entdeckungen und in eine erahnbare, zukünftige, unbestimmte, post-humanistische Ära.

Es gibt keine Kultur außerhalb der Natur und kein Kunstwerk außerhalb der Kultur. Dieser Zirkelschluss impliziert wiederum die kreative Potentialität der Natur und definiert das Kunstwerk als eine lebende Entität. Eine Entität, die, wie alle lebendigen oder nicht-lebendigen Wesen im Perspektivismus, das Attribut der „Menschlichkeit“ beinhaltet. Wie lassen sich westliche Kunstwerke nicht nur aus der westlichen Perspektive, sondern auch von einem anderen Standpunkt aus betrachten? Und welche Implikationen bringt dieser perspektivische Wechsel bei dem Dialog zwischen BetrachterInnen und Kunst? Unfolded Matters gibt Anstoß zum Experimentieren mit variablen Ontologien, die uns zu anderen Arten des Denkens führen könnten: ein mit-Denken, das sich von der epistemologischen Objektivierung von Kunstwerken distanziert und, anhand der Anerkennung von ontologischer Variabilität, zu einer reziproken Subjektivierung beim Dialog mit den Kunstwerken tendiert.


1 Verfügbar in: https://www.theguardian.com/environment/2019/jan/25/our-house-is-on-fire-greta-thunberg16- urges-leaders-to-act-on-climate . Zugriff am 20.06.2019.

2 Der Ausdruck “menschliche Exzeptionalismus” ist von Donna Haraway ausgeliehen. Donna J. Haraway, Unruhig bleiben, Die Verwandschaft der Arten im Chthuluzän, Übers. Karin Harrasser, Campus verlag Frankfurt/New York, 2018, S. 24.

3 Eduardo Viveiros de Castro, Kannibalische Metaphysiken, Elemente einer post-strukturalen Anthropologie, Übers. Theresa Mentrup, Merve Verlag Leipizig, 2019, S. 64.

4 Eduardo Viveiros de Castro, eben da, S. 70.