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Lucia Elena Průša bei Pina, Wien

Lucia Elena Průša, ZAHN–AUGE–FUSS–Kindheit–Teenager–Baby–Senior–Junior–Dame–Herr–KNIE–BRUST–ARSCH–ARSCHLOCH–DARM–UTERUS–Mutter–Vater–Haare, 2018, Ausstellungsansicht, Pina, Wien

Pina

Große Neugasse 44, 1040 Wien
Österreich

KünstlerIn: Lucia Elena Průša

Titel: ZAHN–AUGE–FUSS–Kindheit–Teenager–Baby–Senior–Junior–Dame–Herr–KNIE–BRUST–ARSCH–ARSCHLOCH–DARM–UTERUS–Mutter–Vater–Haare

Datum: 29. Juni - 20. August 2018 

Fotografie: Courtesy die Künstlerin und Pina | Foto: Raphael Reichl

Ausstellungstext:

 

Elliptische Aufmerksamkeitsspannen

 

Vielleicht hat es jede zyklische Bewegung so an sich, dass sie im Grunde doppelt existiert. Dass jeder Zyklus mit einem Zy- klus der Aufmerksamkeit verbunden ist. Sprechen wir einmal über den Mond, den Inbegriff des Zyklischen überhaupt: Von Nacht zu Nacht verändert sich seine Gestalt, wie sie sich uns auf der Erde zeigt, kaum merklich. Jeden Monat im gleichen stoischen Takt. Gleichmäßig nimmt er zu oder ab. Der Mond- zyklus: Eine perfekte Kreisbewegung. Doch so nehmen wir, die Mondbeobachter, dieses Auf und Ab nicht wahr. Für uns ist es eine Bewegung hin auf ein „Voll“ und auf die „Finsternis“. Meist fällt uns der Mond überhaupt nur auf, wenn es Vollmond ist oder Neumond, wenn er also kreisrund am Himmel steht oder wortwörtlich durch Abwesenheit glänzt. Und in den Tagen, die vor diesen Ereignissen liegen, kommt es uns vor, als würde sich die Bewegung beschleunigen: Dann sind es „nur noch“ zwei Tage, „nur noch“ ein Tag bis zur Vollmond- nacht. Obwohl sich am Zyklus selbst nichts ändert, ändert sich etwas für uns. Dieser zweite Zyklus unserer Wahrnehmung sieht aus, als hätte ihm jemand in die Speichen getreten, als hätte er eine Acht, er eiert – als Ellipse liegt er über seinem handfesten, grundrunden älteren Bruder.

Auch eine Ellipse ist ein Kreis, wenn man unter einem Kreis eine Linie versteht, die keinen Anfang hat und kein Ende, sondern immer wieder von Neuem die gleiche Bewegung vollzieht. Doch die Ellipse besitzt, im Gegensatz zu dem kreis- runden Kreis, zwei einander gegenüberliegende Pole. Sie ist ein gestauchter, ein in die Länge gezogener Kreis: Die Ellipse ist ein Kreis, bei dem man durchaus von einem Anfang und einem Ende reden kann, weil es zwei Punkte gibt, die sofort ins Auge springen. Diese zwei Pole sind „salient“, ein Wort, das im Englischen und Französischen viel gebräuchlicher ist als im Deutschen und einfach meint, das etwas von seiner Natur her herausgehoben und daher eben auch bemerkens- wert ist. Würden wir einen Zyklus, der keine Salienz aufweist, der sich uns also nicht als Ellipse zeigt, überhaupt zur Kennt- nis nehmen? Würden wir überhaupt verstehen, dass etwas mit einer bestimmten Frequenz wiederkehrt, wenn wir keine solchen Anhaltspunkte hätten?

Man muss lediglich noch festlegen, welcher der beiden Pole den Anfang und welcher das Ende darstellen soll. Eine Frage, die bei einem Zyklus gar nicht besonders schwer wiegt. Der weibliche Zyklus, das hat man so festgelegt, beginnt am ersten Tag der Monatsblutung – kein anderer Tag bietet sich so gut zum Anfangen an, auch wenn die Bewegung, die eine Eizelle durchläuft, an diesem Tag eigentlich eher dem Ende entgegen geht.

Text von Birthe Mühlhoff