Julien Ceccaldi im Kölnischen Kunstverein

Julien Ceccaldi, Outft Change, 2018, Pencil on canvas and acrylic paint on plexiglas, 36 x 48 inches, Courtesy House of Gaga, Mexico City

Kölnischer Kunstverein

Hahnenstraße 6, 50667 Köln
Deutschland

KünstlerIn: Julien Ceccaldi

Titel: Solito

Datum: 8. September - 11. November 2018

Fotografie: Courtesy der Künstler und Kölnischer Kunstverein | Foto: Simon Vogel


Pressetext:

In der ersten umfassenden Ausstellung Solito von Julien Ceccaldi, die in einer zweimonatigen Vorbereitung vor Ort im Kölnischen Kunstverein produziert wurde, entspinnt sich ein Märchen um die gleichnamige Hauptfigur – einem lüsternen, jungenhaften 30-jährigen Mann, der es unerträglich findet, noch Jungfrau zu sein und gewillt ist, sich jedem hinzugeben. Der Plot ist inspiriert von bekannten Erzählungen, so beispielsweise von „Die Schöne und das Biest”, „Blaubart“ oder „Nussknacker und Mausekönig“, in denen sich die Protagonistinnen am Ende in den hässlichen Mann verlieben und sich Sexualität durch Macht und Gewalt manifestiert. Das Einzige wiederum, was Solito von der unansehnlichen, schnell beendeten Liebe bleibt, ist ein kurzes Souvenir des Glücks, das schnell verblasst.
Das Elend wird in dem von Ceccaldi im Rahmen der Ausstellung publizierten Comicbuch noch umso augenscheinlicher geschildert. Was als ein Traum über sein eigenes unfähiges Handeln interpretiert werden kann, geht die titelgebende Figur Solito darin so weit, sich mit dem Tod selbst einzulassen. Er folgt Oscar, einem Soldaten, der, aus einer mystischen Welt kommend, nicht viel mehr ist als „ein Kadaver, eine leere Schale, auf den sich seine Fantasien stürzen“ (J. Ceccaldi). Solito wird seltsam ambivalent dargestellt: Verzweifelt auf der Suche nach Partnerschaft und Geborgenheit, agiert er zugleich masochistisch, in dem er seine wahre Bestimmung, nämlich für immer zurückgewiesen zu werden, selbst orchestriert. Er spielt mit dem Tod wie man mit Puppen spielen würde, und träumt von ewiglich andauernden Kaffeekränzchen in Gesellschaft von Skeletten, während er sich zur gleichen Zeit unterbewusst wünscht, dass sie sich gegen ihn wenden. Indem er ihr Vertrauen missbraucht, wird er am Ende unweigerlich in die reale Welt auf einen Bürgersteig zurückgeworfen – ein Verweis auf die Geschichte “Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern” von Hans-Christian Andersen, einer der wohl prominentesten Märchenschreiber.

Als direkte Vorlage für Solitos Charakterzüge dienen Ceccaldi denn auch intime Details über dessen Leben, nach denen bekannt ist, dass Andersen keinerlei sexuelle Beziehungen zu Frauen oder zu Männern unterhielt und sich stattdessen nach jeder Begegnung intensiver Selbstbefriedigung hingab. Beschrieben als kindlich und liebestoll, galt er innerhalb der Kopenhagener Elite des 19. Jahrhunderts als Außenseiter und Alleingänger, so dass er am Ende seiner Tage alleine und einsam starb. Seine Original-Märchen waren pervers und morbide; seine leidenden Heldinnen starben oft eines qualvollen Todes. Spätere Adaptionen seiner eher tragischen Geschichten, die meist ohne Happy End ausgingen, wurden später umgeschrieben.

Weitere ästhetische sowie konzeptuelle Bezüge lassen sich vor allem in der Animationserie „Die Revolution des Mädchens Utena” (1997) von Kunihiko Ikuhara und den Manga „The Rose of Versailles” (1972) oder „Oniisama E” (1975) von Riyoko Ikeda finden, in denen Symbole des Märchens, Androgynität und unausweichliche Schicksale mit modernen Kontexten und zeitgenössischen thematischen Auseinandersetzungen kombiniert werden. Die Ausstellung übernimmt von diesen Werken auch den freizügigen Umgang, Mythen von verschiedenen Orten und über verschiedene Epochen hinweg, vom Mittelalter, zum 19. Jahrhundert, bis in unsere Zeit, miteinander zu verweben.

Diese Ausgangspunkte bilden den referentiellen Rahmen für die im Comic Solito etablierten Figuren und ihr Umfeld, die innerhalb und außerhalb der Ausstellungsräume auf verschiedene Oberflächen transferiert sind: als animierte Videoloops, Skulpturen, digitale Zeichnungen oder als Malereien auf Plastik. Anders als noch auf den Buchseiten folgen die Werke in der Ausstellung keiner konstanten linearen Narration mehr. Inspiriert von der Cel-Art, einer Technik, die für Animationsfilme genutzt wurde, um Hintergründe von den Vordergründen losgelöst zu zeichnen, entstehen Bilder unterschiedlicher Stimmungen durch Überlagerungen, Verschiebungen oder Trompe-l’œil-Effekte. Sie zirkulieren um die Figur Solito herum, der sich die Besucher in der Ausstellungshalle mit ihrer eigenen Körperhaftigkeit annähern. In einer Art kaleidoskopischer Fragmentierung, in der sich dieselbe Figur, oder Aspekte derselben in kleinen Variationen wiederholen – ähnlich wie sich auch Identität aus vielen Einzelteilen zusammensetzt -, ist sie imstande Gefühle von Eitelkeit, Leid und Beengtheit, aber auch Momente emanzipatorischer Befreiung hervorzurufen.