Jean-Marie Appriou bei Eva Presenhuber, Zürich

Jean-Marie Appriou, The breath of the suns, 2018, Cast aluminum, 230 x 130 x 44 cm

Galerie Eva Presenhuber

Zahnradstrasse 21, 8005 Zürich
Schweiz

KünstlerIn: Jean-Marie Appriou

Titel: November

Datum: 20. November - 22. Dezember 2018

FotografieCourtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich/New York © Jean-Marie Appriou | Foto: Stefan Altenburger

Ausstellungstext:

Vielleicht ist Dualität zyklisch; bewegt sich eher sphärisch als linear – vollendet fortwährend ihre Laufbahn, dringt immer wieder in die kurze Herrschaft ihres Gegenteils ein, während die beiden sich gegenseitig immer wieder mit ihrer Endlichkeit bedrohen. In Zeiten, in denen dritte Stadien nahen – in der Morgen- und Abenddämmerung, im Frühling und Herbst –, windet sich die Erde, welkt und trägt Früchte.

Für seine erste Einzelausstellung mit der Galerie Eva Presenhuber lässt Jean-Marie Appriou uns diesen Moment des Jahreszeitenwechsels bedenken, in dem wir uns selbst bald befinden. Es ist November, eine Zeit des Übergangs: die letzten Tage der Ernte. Der plötzliche Tod ist ein willkommenes und notwendigerweise bevorstehendes Stadium, das die Rückkehr einläutet – zur Erde, zum Herd, zur Dunkelheit, in Innenräume.

Sonnenlicht berührt gegossenes Aluminium, während wir die Herbsttage durchlaufen. Sonnenblumen- und Kornfelder werden vom omnipräsenten Gesicht des Mondes begleitet, einer überirdischen Erinnerung an den unausweichlichen, zyklischen Wandel. Das Getreide wendet sich massenhaft dem abnehmenden Licht zu, eine Geste des ewigen Tanzes zwischen der Sonne, dem Mond und der Erde.

Wie die herzförmigen Sonnenblumenblätter die Rolle von Votivgaben spielen, weichen ihre Blütenblätter zurück, um der fraktal angeordneten Saat Raum zu geben. Ganz in der Nähe ahmen die Kornfelder eine andere Form natürlicher Synchronizität nach: das Periodensystem der Elemente. Die Pflanzen sind zur Summe ihrer Teile heruntergebrochen: Stängel, Blätter und Getreide. Schweigende menschliche Gesichter gehen zwischen ihnen umher, bereiten sich selbst darauf vor, Welten zu durchqueren, während das Gewicht des Ertrags ihren Niedergang einläutet.

Mit Zeit und Raum ist das Getreide von den Elementen zerdrückt worden. Es sind Charons Münzen, die er auf die Augen legt und damit den Marsch Richtung Ernte/Tod verdeutlicht. Das Licht ist genauso atemberaubend wie es vergänglich ist und die Münzen beginnen an Schutzbrillen zu erinnern, die apokalyptische Strahlen abwehren: eine Sonnenfinsternis oder eine nukleare Explosion. Eine unwahrscheinliche Teilung. Dunkelheit.

Die Nächte werden länger und wir kehren zurück in die Höhlen der tektonischen Zeit, der mystischen Zeit, der mythologischen Zeit, der romantischen Zeit. In Höhlen wird Zeit am Grad der Verkalkung gemessen: Langsames sammeln von Erfahrungen schafft Formen. Kalkstein besteht aus Skeletten von Meereslebewesen, die sich in Millionen von Jahren durch tektonische Bewegung zu sich weiterentwickelnden Stalagmiten und Stalaktiten geformt haben.

Außerhalb der Höhlen säumen unheilvolle Zypressen den Raum. Apprious Arbeiten beziehen sich oft auf den Symbolismus, in diesem Fall auf Arnold Böcklins Toteninsel. Zypressen tragen das Gewicht des Raums zwischen Leben und Tod, Himmel und Erde. Ihre Silhouetten sind ebenso anmutig wie gespenstisch.

Dem Tag folgt die Nacht und der Nacht der Tag. Um die Ausstellung zu verlassen, muss das Publikum durch den Zyklus gehen, den Appriou beschwört und uns damit an die Vergänglichkeit von Existenzstufen erinnert: Sogar der Tod wird wieder in Leben verwandelt – und in Licht.