Galleria Doris Ghetta | SOPHIE HIRSCH

Ausstellungstext

Treffen seidene Spinnfäden auf Wasser, werden sie kürzer, dichter und stärker. Es wird vermutet, dass die Verdichtung der Fäden es ihnen ermöglicht, dem Gewicht der Morgentautropfen besser standzuhalten; vielleicht dient die Neustrukturierung des Netzes aber auch einem selbstheilenden Prozess zur Regeneration von Fäden, die durch Insektenfraß beschädigt wurden. Was auch immer die Erklärung sein mag, wir wissen mit Sicherheit, dass das Spinnennetz seine innere Struktur als Reaktion auf äußere Kräfte und Belastungen, denen es ausgesetzt ist, verändert und auf Reize aus der Umgebung reagiert.

Zu verstehen, wie sich die Struktur eines Objekts, einer Person, einer Architektur oder eines kulturellen Konstrukts verhält, ist eine zentrale Frage in Sophie Hirschs Recherche. Mit ihrer Einzelausstellung Regroup, Retrace, Unfollow in der Galleria Doris Ghetta geht sie mit einer neuen Serie von Skulpturen und Installationen, die sie für diesen Anlass geschaffen hat, in ihren Untersuchungen einen Schritt weiter.

Die Ausstellung entstand im Laufe des Jahres 2021 und beruht sich auf der Erkenntnis, dass die letzten Monate unsere gewohnten Gleichgewichte radikal verändert haben; die Systeme, die unser Leben bestimmten, haben erhebliche Veränderungen erfahren und können nicht mehr als stabil und unveränderlich, sondern vielmehr als unsicher, und im ständigen Umbruch wahrgenommen werden. Mit Regroup, Retrace, Unfollow wählt Sophie Hirsch eben diese Instabilität als Werkzeug zur Erforschung und zum Verständnis der Realität: kein Ungleichgewicht der Kräfte, das es zu korrigieren gilt, sondern eine neue Beziehung zwischen gegensätzlichen Spannungen, die in unsere Systeme integriert werden muss. Instabilität ist für die Künstlerin also eine Haltung- eine Art mit der Realität umzugehen.