Cäcilia Brown bei Gabriele Senn Galerie, Wien

Cäcilia Brown, Der Altmieter, 2018, Stahl, Dachbalken, 86 x 259 x 48 cm

Gabriele Senn Galerie

Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien
Österreich

KünstlerIn: Cäcilia Brown

TitelEs gibt Ecken aus denen kommt man nicht mehr raus

Datum: 19. Oktober - 22. Dezember 2018

Fotografie: Courtesy Gabriele Senn Galerie, Wien | Foto: Iris Ranzinger

Ausstellungstext:

Dachbalken aus Abrisshäusern sind das Ausgangsmaterial für Cäcilia Browns Ausstellung in der Gabriele Senn Galerie. Die Wiener Stadtregierung reagierte im Sommer mit einer vorgezogenen Novelle der Bauordnung auf die bereits seit geraumer Zeit andauernde Abrisswelle, der jährlich rund 150 historische Bauten zum Opfer fielen. Seit Juli dieses Jahres müssen für Abrisse von Gründerzeitbauten Genehmigungen eingeholt werden, was in den letzten Monaten vor Ende dieser Regelung nochmals zu einer stärkeren Abrisstätigkeit führte. Häufig sind auch nur die Dachböden betroffen, die für den Ausbau von Luxuswohnungen –Brown nennt sie „Wohlstandsdeckel“– abgerissen werden. Die maximale Ausnutzung von Stadtraum setzt sich, nachdem am Boden inzwischen fast lückenlos bebaut wird, nun auch in der Vertikalen fort und lässt Leerräume allmählich verschwinden.

Diese sozioökonomischen Aspekte formuliert Brown in ihrer Arbeit nicht in einer explizit politischen (wenn auch politisch motivierten), sondern in einer skulpturalen Sprache, die Eigenschaften und Eigenheiten des aus den zerstörten Häusern geborgenen Materials –das hier gewissermaßen wie Archivmaterial behandelt wird– beschreibt und hervorhebt. So wird etwa die Sitzfläche einer groben Kopie des Contract Chairs von Karl Schwanzer ersetzt durch einen massiven, mit Taubendreck verkrusteten Balken, dessen extreme Länge das verhältnismäßig recht zierliche Möbelstück offensichtlich überfordert.

„Wer auf der Unnachgiebigkeit der Stoffe besteht, lässt nicht zu, dass ihre Objektivationen sich anbiedern.“ schrieb der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp im Katalog der Ausstellung Holz = Kunst-Stoff (Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 1976).

Die Gefahr, bei der Herkunft und Hintergrundgeschichte des Materials einer gewissen Ruinenromantik zu verfallen ist groß, doch Brown umschifft dies in ihren Arbeiten, indem sie dem Material seine Autonomie belässt und nur minimale Eingriffe vornimmt. Im Wesentlichen beschränken diese sich auf die Kombination von Fragmenten durch anlehnen, auflegen oder stützen, und den Verzicht auf Verschrauben und dauerhaftes Fixieren. Reste von Verzapfungen, Farbflecken und andere Gebrauchsspuren bleiben als Teil der Textur erhalten und nur hin und wieder wird durch das Aufbringen von Wachs ein Detail verstärkt.

Es sind teils „unhaltbare“ Verbindungen, wenn z.B. ein altes Fenster oder eine Tür mit Beton und Wachs ausgegossen wird. Beton als modernes, omnipräsentes Baumaterial steht in den Skulpturen auch für die brachiale Übernahme und Überformung traditioneller architektonischer Konstruktionsweisen. Beim Wachs hingegen interessiert die Künstlerin vor allem dessen Fragilität und Vergänglichkeit – und es ist brennbar, wie die Dachbalken, die häufig in den noch verbliebenen Öfen der Altbauten enden.

Auch ohne eine explizit politische Aussage zu treffen, vermitteln Browns Skulpturen über ihre atmosphärische Dichte und die Weigerung, eine Form zu vollenden und endgültig zu fixieren, einen Hinweis auf die Fragilität des gesellschaftlichen Gefüges: die frischen Schnittstellen in den über hundertjährigen Balkenfragmenten transportieren sie in die glatte postmoderne Gegenwart.

- Bettina Klein