In Kooperation mit Emalin, London (Various Others 2019)

Augustas Serapinas & Malte Zenses bei SPERLING

Various Others: Augustas Serapinas & Malte Zenses, Installationsansicht, SPERLING, München, 2019 courtesy SPERLING, München und Emalin, London; Photo: Sebastian Kissel

SPERLING

Regerplatz 9 , 81541 München
Deutschland

KünstlerInnen: Augustas Serapinas & Malte Zenses

Datum: 14. September – 26. Oktober 2019

Fotografie: Courtesy the artists and SPERLING & Emalin | Foto: Sebastian Kissel

Ausstellungstext:

Ein verwittertes Gewächshaus aus der Nähe von Vilnius wurde im September 2019 zu SPERLING nach München versetzt. Das brüchige Skelett und die darin platzierten Pflanzen stammen von einem verlassenen Grundstück. Nachdem die Bewohner das Haus verließen, wuchern heute Unkräuter über das Gelände. Es wurde vor einiger Zeit an Investoren verkauft und wildert jetzt bis zu seiner weiteren Nutzung vor sich hin.

Die Modifikation solcher vorgefundener Situationen kennzeichnet die Arbeit des litauischen Künstlers Augustas Serapinas. Seine vermeintlich simplen künstlerischen Gesten münden oft in sozialpolitisch aufgeladene Arbeiten, die gegenwärtigen Verhältnissen (z.B. der bevorstehenden Gentrifizierung von Vilnius) eine alternative Perspektive entgegensetzen.

In der Zusammenarbeit mit Malte Zenses für Various Others 2019 ergänzt Augustas Serapinas seine Intervention erstmals um ein selbst hergestelltes Objekt: Eine Glasscheibe in einem hölzernen Fensterrahmen hängt gemeinsam mit Zenses’ hinter Glas gerahmten Ölgemälden an den Wänden des Ausstellungsraums.

Serapinas’ Scheibe entstand aus der Übersetzung einer konzeptuellen Geste in ein technisches Verfahren. Das Fensterglas und die darin verewigten Pflanzen wurde - ebenso wie das Gewächshaus - einem verwahrlosten Gebäude entnommen und zusammen mit Pigmenten so lange im Brennofen erhitzt, bis sich ein Amalgam aus Farbe, Luftbläschen und Asche formte. Darin hinterließ die verbrannte Pflanze eine Spur ihrer selbst im Moment des eigenen Verschwindens.

Diesem paradoxen Prinzip von Bewahrung durch Zerstörung entspricht auch die Umsiedlung des Gewächshauses. Es ist eigentlich nutzlos und kaputt, wird aber dennoch mit großem logistischem Aufwand in die Galerie überführt, dort wieder aufgebaut und für gewisse Zeit in einer fremden Umgebung konserviert.

Serapinas greift so temporär in die Biografie lebendiger und lebloser Gegenstände ein. Er entnimmt einem Sachverhalt einzelne Partikel und fügt sie neu zusammen. Der Fensterrahmen, die Glasscheibe und das Unkraut verschmelzen zu Wandobjekten, welche nicht nur das Gewächshaus und die darin lebenden Pflanzen, sondern auch die gesellschaftliche Situation an deren Ursprungsort kommentieren: Hier wird ein Ringen zwischen Mensch und Natur dokumentiert, in dem eine Partie die andere dominiert.

Glas wird bei Augustas Serapinas im chemischen Prozess zum Archivträger von Spuren eines Zwischenstadiums. In den Arbeiten von Malte Zenses macht es die Unterscheidung vom Einen und Anderen überhaupt erst deutlich und wird selbst zum Element „dazwischen“. Zenses’ Gemälde-Paare mit den Titeln ‘Orgelblut 1 und 2’ (2019) und ‘Mit Karin im Golf 1 und 2’ (2019) sind semiotisch kaum von einander zu trennen. Eine anthropomorphe Form in rot scheint auf der einen Leinwand warnend die Arme zu heben und auf der anderen hinter einer Vegetation zu verschwinden. Ein dunkles brückenartiges Gebilde rahmt auf zwei weiteren Gemälden die Schalllöcher eines Streichinstruments. Es tritt auf einem deutlich hervor und verschwimmt auf einem anderen unter Farbschichten und einer Decke aus Milchglas. Verstreut sind feine schwarze Linien auf den Gemälden erkennbar, ohne jedoch einen Weg zur Entschlüsselung der Werkreihe zu weisen.

Die Systematik dieser Chiffren - sofern es eine gibt - entwickelt Malte Zenses aus Skizzen, Notizen und Spuren persönlicher Beobachtungen. Sie gibt sich den Betrachtern nicht eindeutig Preis, sondern entsteht im Zusammenspiel visueller Referenzen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Arbeiten werden verwischt und fügen sie schließlich als Ganzes zusammen.

Auf alle Gemälde wurde Ölfarbe in mehreren dünnen Schichten aufgetragen. Doch keine der Leinwände ist vollständig mit Farbe bedeckt. So entsteht der Eindruck, dass eine Farbschicht nach der anderen aufgetragen und jedes Bild Ebene für Ebene komponiert wurde. Die Gemälde changieren zwischen innen und außen, bzw. zwischen vorher und nachher: Vorsichtig sind die Buchstaben P, O, S und T, in jeweils einer der Arbeiten zu erkennen. Ob diese Buchstaben das Präfix „Post-“ oder das Wort „Stop“ formulieren könnten, bleibt der Spekulation überlassen.

Auf eben diese Uneindeutigkeit hebt die Rahmung zweier Gemälde ab. Hinter milchigem Glas sind sie aus der Ferne noch gut erkennbar, verschwinden jedoch bei näherer Betrachtung fast vollständig unter einem weißen Schleier. Diesen Effekt verstärken ihre ungerahmten Partner. Er katapultiert Zenses’ Werke von der zweidimensionalen Oberfläche in den dreidimensionalen Raum. Die Glasscheibe öffnet oder verschließt den Blick und kreiert, gleich einem Fenster, ein Innen und Außen.

Schreitet man an Zenses’ Gemälden vorüber, verflüchtigt und manifestiert sich ihr Motiv hinter der Scheibe je nach Blickwinkel. Das Gemälde verschwindet vor dem eigenen Auge. Die Fenster von Augustas Serapinas öffnen den Blick nicht nach draußen, sondern umschließen das, was sonst vor der Fensterbank im Gartenhaus wuchert.

In ihrer künstlerischen Zusammenarbeit entwickeln sich Malte Zenses und Augustas Serapinas gewissermaßen zu künstlerischen Alchemisten. Beide fügen in ihren Arbeiten einzelne Elemente neu zusammen. Unter Einsatz von Glas transformieren sie jeweils eine Wahrnehmungs-Situation in eine andere und liefern einander den Schlüssel zur Arbeit des anderen.

“Er würde jedoch lieber weiter experimentieren auf dem schmalen Grat, wenn Glas zwischen Materialität und Immaterialität schwankt, es zu verschwinden sucht, nichts als seine Eigenschaften zurücklassend. Nur eine solche Alchemie lohnt sie Mühe. Nur sie enthüllt die Mehrdeutigkeit in der Welt.” (Patricia Görg: Glas, eine Kunst, Die Andere Bibliothek, Berlin 2013)

Text von Marie Egger