Anna Virnich bei DREI, Köln

Kunstszene
Künstler
Parts Glazed #3, 2018, Glazed ceramic, beeswax essential oils, oil, stainless steel wall fixing, Dyptich: top: 7 × 28 × 25 cm, bottom: 6 × 26 × 24,5 cm

DREI

Arndtstrasse 4, 50676 Köln
Deutschland

KünstlerIn: Anna Virnich

Titel: Warm Milky Acid, Silver Slip

Datum: 18. November 2018 - 19. Januar 2019

Fotografie: All images courtesy of DREI, Köln

Ausstellungstext:

Ein Geruch ist eine leicht eklige und anstößige Erinnerung daran, dass wir auf der Welt sind. Daran, dass alles aus einer geteilten Materie besteht. Eine Atmosphäre fällt nicht auf, bevor sie gestört wird oder sich verändert. Sie macht sich bemerkbar, sie vibriert und teilt sich mit, Luft bewegt sich, sendet Signale, Materie verändert sich, Ein-und Ausgänge verbinden sich, Stoffwechsel passieren und Stoffe machen die Runde. Geruch markiert ein ständiges Übergangsstadium. Er ist eine unheimliche Intimität mit den Dingen. In ihm offenbart sich die Außenwelt als Inneres. Geruch ist fühlendes Atmen, ein gemeinsamer, quasi-sprachlicher Austausch der Welt.

Dabei ist Geruch nicht sprachlich. Es gibt weder wissenschaftlich noch alltagssprachlich einheitliche und objektive Grundbegriffe. Geruch ist Kommunikation aber nur schwer kommunizierbar, innerlich und prä-semantisch. Er hat eher hedonistische als diskursive Funktionen. Man kann nicht ironisch riechen, dabei ist Geruch pure Ablenkung und Stellvertretung und zeigt Bedeutung nur im Verweis auf etwas anderes. Geruch speist sich allein aus erinnerter Erfahrung und manifestiert sich in imaginierten Bildern. Einen Geruch zu erinnern heißt, ein Bild von dem Geruch zu erinnern. Empfindungen und Erinnerungsbilder sind eher angeheftet und verbunden, stehen sozusagen immer daneben, wie auf einem Moodboard. In diesem Sinne ist ein Bild die Qualität eines Geruchs, wie ein Geruch die Qualität eines Objekts ist. Es ist die Erscheinung eines Objekts neben sich, eine unsichtbare Bildwerdung.

Ein Parfüm etwa ist ein Nebeneinander von Anmutungsqualitäten - eine unteilbare Mischung ist aus visuellen und olfaktorischen, aus warenförmigen und esoterischen Versprechen, aus erhoffter Körperlichkeit, Stil, Attitüden, Werbebildern, Produktdesign, alten Träumen, zukünftigen Erinnerungen, weichen Fakten. Und ebenso wie ein Moodboard, kann man ein Bild weniger als Tiefe, denn als panoramische Fläche verstehen, als Landebahn und Aufzeichnungsgerät sozialer Resonanz. Und eine Ausstellung ist ein Anmutungshaufen der Welt zu einer gegebenen Zeit.

In „Warm Milky Acid, Silver Slip“ tauchen neben verschiedenen Textilcollagen eine Reihe von Keramikskulpturen auf, die als Träger bestimmter Duftstoffe die Ausstellung aromatisch umhüllen. Die gezeigten Arbeiten bilden dabei einerseits eine gemeinsame Umgebung, ein Zusammenspiel von textilen und körperlichen, von luftigen und dichten Qualitäten. Stoff an Stoff, Bild an Objekt an Raum webt sich dabei eine sanft beunruhigende und zudringliche Zusammensetzungen, die das Immersive und Aversive zusammenbringen. Andererseits sind die Arbeiten gegenseitig formgebend und körperliche Gegenüber, sie sind materielle und imaginierte Bildeindrücke. Sie zeigen die Durchdringung von Bildern und sozialer Haut.

- Baptist Ohrtmann