Ann Cathrin November Høibo bei DREI, Köln

 Ann Cathrin November Høibo, The Truest Sentence, 2019, Ausstellungsansicht, DREI, Köln

DREI

Arndtstrasse 4, 50676 Köln
Deutschland

KünstlerIn: Ann Cathrin November Høibo

Titel: The Truest Sentence

Datum: 6. Juli 2019 – 24. August 2019

Fotografie: All images courtesy of Drei, Cologne | All images by © Simon Vogel

Ausstellungstext:

Einzelne Sonnen, die ein Sternbild bilden, haben sehr wenig miteinander zu tun. Getrennt von einer enormen Distanz haben sie weder eine physische oder gravitätische Beziehung noch bestimmte Ähnlichkeiten. Sie sind in der Galaxie verstreut, gestrandet und voneinander isoliert. Die Linien, die wir zwischen ihnen ziehen, sind nur gedachte, gestrichelte, lose Verbindungen. Sie verbinden Unverwandtes zu einem sehr weit hergeholten Zusammenschluss. Die Sternbilder sind dabei äußerst arbiträr und fragil. Wechselt man etwa bei Lichtgeschwindigkeit die Perspektive, zerfallen sie ganz schnell. Dabei ist gerade die Unabhängigkeit und Isolation der Sonnen dafür, dass sie von hier aus als Bilder und wie ewige Körper erscheinen. So ist ihre Fragilität und Zufälligkeit ihre Schönheit. Der große Bär ist somit keine zweidimensionale Illusion sondern eine wahre, perfekte Metapher der relativen Verbundenheit, Position und Größe der Sonnen.

In der Netzwerkanalyse wird die Wirkung loser Beziehungen unter Menschen unter dem sprichwörtlich gewordenen Stichwort „The Strength of Weak Ties“ diskutiert. Der Soziologe Mark Granovetter bezeichnet in seinem Aufsatz von 1973 hiermit Beziehungen jenseits von starken, etwa familiären oder freundschaftlichen, Bindungen. Lose, „schwache Verbindungen“, so die These, fungieren als soziale Brücken. Durch kontextübergreifenden Austausch von Informationen und Ressourcen sind sie nicht nur ökonomisch wichtig, sie sind beim Einzelnen viel eher Anlass für einschneidende biografische Ereignisse. Der Aufsatz ist nicht nur einer der meist zitierten soziologischen Texte überhaupt und Quelle für Selbsthilfebücher und Marketingratgeber. Er entstand zu einer Zeit, in der man sich fragte, ob sich vielleicht alle Menschen über nur wenige Ecken kennen könnten, in der lose Verbindungen nicht als Defizit von Beziehungen, sondern als grundlegend für zunehmend heterogene Gesellschaften, Zusammenschlüsse von Fremdheit, erfahren wurde.

Leichtes Tüll, rohe Kokosfasern verankert mit Quartzsteinen, Wolle, Holz, Gummisandalen, getrocknete Blumen in Plastik. Die einzelnen, unverwandten Elemente der Ausstellung sind eine lose Verbindung von organischem Material, anorganischen Gütern, von Schwere und Zartheit, Importwaren und Handarbeit. Die Webarbeiten und Objekte teilen eine pointierte Stofflichkeit, stehen sich aber ansonsten wie Fremde gegenüber – wie verlorene Fäden, gelöst von Kontexten, Herkunft, Körpern und Berührung, in regloser Konstellation. Die Installation zeigt Webarbeit als lose räumliche Praxis und bildet offene Metaphern für Weisen der Verbundenheit.

 

Text: Baptist Ohrtmann