Von Henri Matisse bis Louise Bourgeois

Robert Delaunay, Tour Eiffel, 1926, Öl auf Leinwand, 170 x 104 cm | Musee d'Art Moderne de la ville de Paris | Foto: Eric Emo/Parisienne de Photographie | Courtesy Kunsthalle Würth

Kunsthalle Würth

Lange Straße 35, 74523 Schwäbisch Hall
Deutschland

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täglich 10 – 18 Uhr

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Das Musée d'Art moderne de la Ville de Paris zu Gast in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall


Als Weltmetropole der Kunst zieht Paris die internationale Kunstszene in ihren Bann. Und so setzt die Ausstellung dieser erstklassigen Pariser Sammlung, die von der frühen Moderne bis zur Gegenwart reicht, bereits um 1900, rund um den am damaligen Stadtrand gelegenen Hügel Montmarte ein. „Das dörfliche Viertel ähnelt einem riesigen Atelier voller ärmlicher Bohémiens“, heißt es über den verrufenen Bezirk. Pablo Picasso mietet sich ins Atelierhaus Bateau-Lavoir ein und zeigt dort seine elenden Akrobaten, Kees Van Dongen schillernde Frauenakte und Georges Rouault Prostituierte, Clowns und Straßenhändler. Maurice Utrillo, ein echtes Kind des Montmartre, liefert virtuose Schilderungen seines Viertels und Marie Laurencin, die Muse von Apollinaire, setzt verträumte Frauen in Szene.

Zur selben Zeit entdecken Henri Matisse, Malergenie und Antipode Picassos, André Derain, Maurice de Vlaminck und Raoul Dufy die Farbe als autonome Sprache. Sie verleihen ihren Leinwänden eine derartige Ausdruckskraft, dass sie 1905 als „wilde Bestien“ (fauves) bezeichnet werden. Zwei Jahre später werden erneut die Sehgewohnheiten der Pariser Bourgeoisie erschüttert, diesmal von den Kubisten. Von Cézanne und der primitiven Kunst angeregt, beginnen Picasso und Georges Braque die geschlossene Form der Bildgegenstände zu zerlegen und sie simultan aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen.

Diese neue Formensprache gipfelt bei Robert Delaunay, František Kupka und Fernand Léger schließlich in abstrakten durchrhythmisierten Kompositionen. Sie feiern das elektrische Licht der Großstadt und ihren Esprit moderne mit dem Eiffelturm als ikonischem Wahrzeichen. Eigentlicher Bildinhalt ist nun aber die Farbe selbst.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlagert sich der Schwerpunkt der Künstlerszene nach Montparnasse. Dieses Viertel südlich der Seine zieht zahlreiche Maler und Bildhauer aus anderen Ländern an, welche später als „Ecole de Paris“ bezeichnet werden: u. a. den Italiener Amedeo Modigliani, die Russen Marc Chagall, Ossip Zadkine und Chaim Soutine sowie den Polen Moïse Kisling.

Zeitgleich fordern die Surrealisten rund um André Breton die radikale Freiheit des Geistes und die Bedeutung des Unbewussten als Quelle der künstlerischen Eingebung ein. Nicht länger nur dem Rationalen, sondern auch dem Zufall soll endlich Raum gegeben werden, um Kunst zu erzeugen. Marcel Duchamp, einer der Pioniere der Institutionskritik, legt sein gesamtes Œuvre nochmals auf, so klein, dass es bequem in eine Schachtel passt. Seine Ablehnung jeglicher Konventionen, die auch Francis Picabia kultivierte, hat maßgeblich die Entwicklung der modernen Kunst beeinflusst.

Was dann folgt, die faschistische Verfolgung von Künstlern und Kunst der Moderne, macht auch vor Paris nicht halt. Doch auch unter schwierigsten Bedingungen schreiben die KünstlerInnen ihre Geschichte fort. Nach den dunklen Jahren der Besetzung wird das Viertel von Saint-Germain-des-Prés zum Symbol des befreiten Paris. Ein mythischer Ort, an dem künstlerische und literarische Strömungen in einer explosiven Atmosphäre zusammentreffen. Kunstgalerien vermehren sich. Mit Jean Fautrier u. a. tritt eine jüngere Generation an, um Un Art Autre, eine existenzialistische, deformiert-kreatürliche andere Kunst zu etablieren. Die offenliegenden Wunden der frühen Nachkriegszeit sind ihr Thema. Für ein großes Publikum bringt der junge Bernard Buffet die Stimmung der Zeit auf den Punkt und wird damit zum Shooting-Star. Rund um die Galerie Denise René halten KünstlerInnen wie Aurélie Nemours oder François Morellet der geometrischen Abstraktion die Treue. Doch als der Kunstkritiker Pierre Restany 1960 fordert, die Lücke zwischen Kunst und Leben endlich glaubhaft zu schließen, wird das zur Geburtsstunde der Neuen Realisten (Nouveaux Réalistes). Zu ihnen zählen KünstlerInnen wie Yves Klein, Arman, César, Daniel Spoerri, Niki de Saint Phalle, Martial Raysse, Jean Tinguely oder Jacques Villeglé. Der Alltag ist ihr Materiallager, Massenkonsum und Werbung ihre Inspirationsquelle. Daniel Buren lässt seine Bilder, die er aus gestreiften Marktmarkisenstoffen ableitet, wie Demonstrationsplakate durch die Straßen tragen, damit die Kunst ihrem Publikum entgegengehen kann. Mit der monumentalen Spinne reist eine der berühmtesten Skulpturen von Louise Bourgeois von der Seine an den Kocher. 1911 in Paris geboren, lebte sie zwar seit 1939 in New York, den schöpferischen Impuls ihrer aus Erinnerungen gespeisten Arbeiten fand sie indes stets in ihrer Kindheit. Auch die Gegenwartskunst ist mit starken Positionen, etwa mit urbanen Situationen der international vielbeachteten Fotografin Valérie Jouve vertreten. Sie untermauern, dass das Musée d'Art moderne de la Ville de Paris zweifellos auch zu den führenden Häusern zeitgenössischer Kunst gehört.

Die mit 200 Leihgaben bislang umfänglichste Präsentation der Pariser Sammlung außerhalb der eigenen vier Wände entfaltet einen aufschlussreichen Gang durch die Kunstgeschichte der Moderne aus Pariser Sicht. Sie spiegelt zugleich die Identität des Musée d’Art moderne wieder, dessen Sammlung sich auch durch große Schenkungen von Sammlern, Künstlern und Galeristen entwickelt hat. Zur Kooperation der beiden Institutionen erscheint ein reich bebilderter Katalog im Swiridoff Verlag.

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