Sonja Gangl. I borrowed optimism from the past

Sonja Gangl, Supra-Linien #09, 2019 Graphitpigment und Acryl auf Leinen, 190 x 122 cm, Courtesy die Künstlerin

Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien

Burgring 2, 8010 Graz
Österreich

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Öffnungszeiten:
täglich außer Montag: 10 – 18 Uhr
Donnerstag: 10 – 20 Uhr

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Eröffnung: 31. Januar 2020, 18 Uhr


Sonja Gangls Werke fordern mit ihren konzeptuellen Inhalten und Methoden ihre Betrachter_innen dazu auf, genau hinzusehen, um die Ecke zu denken und Grenzen zu durchbrechen. Bekannt ist die österreichische Künstlerin vor allem für ihre herausragend naturalistischen Zeichnungen und die nachhaltige Hinterfragung dieses Mediums. Mit ihrer Einzelausstellung „I borrowed optimism from the past“ im Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien in Graz schlägt Gangl nun ein neues Kapitel in ihrem künstlerischen Schaffen auf und wendet sich mit einer umfassenden Neuproduktion der Abstraktion zu.

Das künstlerische Werk von Sonja Gangl zeugt von einer intensiven Auseinandersetzung mit unserer mediatisierten, politisierten Lebenswirklichkeit. Die Künstlerin macht unsere Welt zu ihrem Motiv und lässt dabei keine ihrer vielen Facetten außer Acht: Poesie und Illusion spielen in ihren beinah schon naturalistisch ausgeformten Bildsujets eine ebenso große Rolle wie deren nüchterne Rationalität. Traum und Realität wie Präzision und Zufall verbinden sich in der Bildwelt Gangls zu beeindruckenden Kompositionen. Seit vielen Jahren arbeitet sich die Künstlerin an den Materialien Grafit- und Buntstift ab. Dabei entstehen erstaunlich detailreiche und handwerklich meisterhafte Zeichnungen, die durch die traditionelle Technik oft einen starken Kontrast zu ihren zeitgenössischen Motiven aufweisen. Immer wieder spielt Gangl konzeptuell mit dem zeichnerischen Medium an sich und dem Gegensatz von Geschichte und Gegenwart, transformiert die Zeichnung mithilfe technischer Möglichkeiten der heutigen Zeit ins Jetzt oder setzt sie in Bezug zu den Genres Malerei, Fotografie und Film.

Im Zentrum der Ausstellung „I borrowed optimism from the past“ steht der großformatige Werkzyklus „Supra-Linien“ (2019/20), mit dem die Künstlerin erstmals den Schritt aus der figurativen Darstellung ins Feld der Abstraktion vollzieht. Im Schlaglicht der Show stehen zeichnerische Grundformen wie Linie und Punkt. Die großformatigen Gemälde zeigen grafitfarbene Schraffuren unterschiedlicher Stärken auf weißem Grund. Ihre Komposition erscheint zunächst zufällig. Bei näherer Betrachtung verkehrt sich dieser Eindruck jedoch in sein Gegenteil: Die gemalten Motive der Serie gehen auf Blei- und Farbstiftzeichnungen zurück, welche die Künstlerin während ihrer Arbeit an früheren naturalistischen Bildsujets anfertigte, um das Zeichenmedium im Sinne des Ausprobierens der Stärke und Qualitäten der verwendeten Stifte zu präparieren – die von ihr so benannten Supra-Linien. Als künstlerisches Konzept überführt Gangl hier die Zeichnung in einem Transformationsprozess in das Medium der Malerei und eröffnet damit eine Art Zoom in die Struktur des Materials.

Zugleich lehnen sich die „Supra-Linien“ an das kunsthistorische Vorbild des Abstrakten Expressionismus der späten 1940er bis frühen 1960er Jahre an und übertragen dessen politische Botschaft in die Gegenwart. Schon der Titel der Ausstellung verweist auf eben diesen Gleichschritt mit den künstlerischen Ahnen, die den Folgen des 2. Weltkrieges und dem Exil in Übersee mit einer Konzentration auf monumentale Formate, einem starken Freiheitsdrang und einem emotional geleiteten Schaffensakt begegneten. Gangl borgt sich nicht nur den Optimismus der nordamerikanischen Kunstrichtung aus, sondern auch die Bildformate von Künstler_innen wie zum Beispiel Lee Krasner, Robert Motherwell oder Mark Rothko. Jedes ihrer Gemälde steht so in direkter Referenz zu einem kunsthistorischen Meisterwerk und stellt immer wieder aufs Neue die Frage nach dem Zustand der Mitte des 20. Jahrhunderts erstrittenen Errungenschaften im künstlerischen, aber auch im gesellschaftlichen Feld. Die „Supra-Linien“ stehen damit für eine Hinwendung zu Gefühl, Spontanität und dem unablässigen Vergrößern von Freiheitsräumen, sind aber ebenso als Plädoyer gegen die Einschränkung dieser bedeutenden Werte zu lesen.

In ihrer subtilen Vorgangsweise einer detaillierten zeichnerischen Nahaufnahme, die das ursächliche Werk nicht mehr erkennen lässt und sich vielmehr der De-Chiffrierung ihrer Details und den daraus ableitbaren künstlerischen „Supra-Strukturen“ zuwendet, hinterfragt Gangl auch die im wesentlichen bis heute nachwirkenden inhärenten Machtstrukturen und schieren Erfolge des Abstrakten Expressionismus. Diese wird gemeinhin als die wirkmächtigste Kunstströmung der Nachkriegszeit und assoziiert mit der Etablierung der sich zeitgleich als geopolitischer Hegemon konstituierenden USA gesehen, auch da ihre abstrahierte Machart und Haltung gegen die sozial-kritische, figurative und darin vermeintlich rückschrittliche Kunst der UDSSR und die zu überwindende Kunst des „alten“ und darin vergangenen kulturellen Werteverständnisse Europas interpretiert werden kann. Diese nahezu realpolitischen Auswirkungen des Abstrakten Expressionismus wird gerne mit einem Bild einer medial schlagkräftigen Gruppe von weißen, männlichen, fortschrittlichen Malergenies im Kampf für die – einzig? – gute Sache verbunden.Das Ausstellungsprojekt „I borrowed optimism from the past“ wird im Nachklang des Würdigungspreises für Bildende Kunst des Landes Steiermark ausgerichtet. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung wird alle drei Jahre einmalig an eine Künstlerin oder einen Künstler als Anerkennung eines ausgezeichneten künstlerischen Gesamtschaffens vergeben. Im Jahr 2018 ging diese Würdigung an Gangl, deren Œuvre von der Jury als herausragende zeichnerische Position der Gegenwart betont wurde. Im Rahmen der Ausstellung entsteht ein Katalog, der die Werkserie „Supra-Linien“ näher inhaltlich aufarbeitet sowie Werks- und Ausstellungsansichten beinhaltet. Zudem veröffentlicht das Online-Magazin des Hauses, das KM–Journal, neben weiterführenden Beiträgen ein Video-Interview mit der Künstlerin.

Sonja Gangl (*1965 Graz, lebt in Wien) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Markus Prachensky und an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Ernst Caramelle. Sie ist seit 2003 Mitglied der Wiener Secession. Ihre Ausstellung „Dancing with the End“ (2013/14) war die erste Einzelpräsentation, die das Albertina Museum in Wien einer weiblichen Künstlerin widmete. Gangls Arbeit war darüber hinaus in zahlreichen Institutionen zu sehen und ist über die Grenzen Österreichs bekannt. Unter anderem zeigte sie Einzelausstellungen im Studio der Neuen Galerie Graz (1998), im Kunstverein Wolfsburg (1999, 2000), am Museum Moderner Kunst Kärnten (2016) und mehrfach im Atelier Contemporary in Graz (2009, 2014, 2019) und der Galerie Krobath in Wien (2015, 2018). 2010 vertrat Gangl Österreich auf der Biennale „Women & Art 2010“ im Sharjah Art Museum in den Vereinten Arabischen Emiraten. Im Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien stellte die Künstlerin bereits 2014 im Rahmen der Gruppenshow „Wörter als Türen – in Sprache, Kunst, Film“ aus. Neben dem Würdigungspreis für Bildende Kunst des Landes Steiermark (2018) ist Sonja Gangl unter anderem mit dem Kunstförderungspreis für bildende Kunst der Stadt Wien (1992), dem Kunstförderungspreis der Stadt Graz (2002), dem Förderungspreis des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst (2004), dem BAUHOLDING-STRABAG Art AWARD (2005), dem Kunstpreis der Stadt Graz (2008) und dem Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst (2016) ausgezeichnet worden. Kuratorin: Jana Franze

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