Leben in Art Brut | Werke aus der Sammlung Hannah Rieger

Laila Bachtiar, Krokodil Laila auf

Bildraum Bodensee

Bodensee, Seestraße 5, 2. St., Eingang Posthof, 6900 Bregenz
Österreich

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Di, Do: 13-18 Uhr
Fr, Sa: 11-16 Uhr

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Eröffnung: Samstag, 14. Juli 2018, 19.30 Uhr

Die Sammlung Hannah Rieger zählt mit rund fünfhundert Werken zu den großen, spezialisierten Art Brut-Sammlungen in Österreich. Bildraum Bodensee dokumentiert im Rahmen der Sonderausstellung LEBEN IN ART BRUT die Sammelleidenschaft von Hannah Rieger und zeigt anhand achtzig ausgewählter Arbeiten die unvergleichliche Originalität, die dieser Kunstform eigen ist. Neben einer Werkpräsentation österreichischer KünstlerInnen versammelt die Schau dreiundzwanzig internationale Positionen.

Der französische Künstler und Weinhändler Jean Dubuffet, der 1947 den Begriff ‚Art Brut’ prägte, notierte: „Die Kunst legt sich nicht in gemachte Betten; sie ergreift die Flucht, sobald ihr Name ausgesprochen wird, denn sie liebt das Inkognito. Am besten geht es ihr, wenn sie vergessen hat, wie sie heißt“. Dubuffets Kommentar berührt den zentralen Punkt des Konzeptes von Art Brut: Eine Kunst, die radikal die Grenzen eines akademischen Kunstbegriffes aufbricht und frei von kultureller Konditionierung oder sozialer Konformität wirkt. Art Brut geht dabei über eine ausschließliche Konzentration auf Arbeiten aus psychiatrischen Anstalten hinaus und umfasst heute auch Werke von Personen mit Behinderungen, von gesellschaftlichen Außenseitern und marginalisierten Menschen aller Art.

Art Brut-KünstlerInnen kreieren auf autodidaktische Weise, in Stille, Geheimhaltung von innen und folgen ihren jeweiligen "individuellen Mythologien" (Harald Szeemann). Dem Engagement von Persönlichkeiten wie Hannah Rieger ist es zu verdanken, dass ihr Schaffen zunehmend aus dem Verborgenen tritt und in den letzten Jahren auch weltweit Anerkennung erfährt. Ein besonderes Anliegen der Sammlerin ist, die Aufmerksamkeit verstärkt auf weibliche Positionen zu lenken. Die Ausstellung im Bildraum Bodensee präsentiert unter anderem Arbeiten von zwei der wenigen Künstlerinnen aus Gugging: Karoline Rosskopfs (*1911, Todeszeitpunkt unbekannt) Bleistiftzeichnungen entstanden als Testzeichnungen in der Ära des Psychiaters und Initiators des Gugging-Modells Leo Navratil. Spezielles Augenmerk liegt auf einer umfassenden Werkauswahl von Laila Bachtiar (*1971), die sich mit aufwändigen Bleistift- oder Farbstiftzeichnungen als bekannteste Gegenwartskünstlerin des Art Brut-Centers Gugging etabliert hat. Gezeigt werden außerdem Werke der mediumistischen - d.h. von einem Geist geführten - Künstlerinnen Margarethe Held (1894-1981, Deutschland) und Madge Gill (1882-1961, Vereinigtes Königreich). Die Schau verdeutlicht mit ihrem Schwerpunkt auf Art Brut von Künstlerinnen deren internationale Relevanz und ihre historische sowie zeitgenössische Dimension. Die chinesische Künstlerin Guo Fengyi (1942–2010), die sich mit der spirituellen Körperlichkeit auseinandersetzt und die tschechische Anna Zemánkovà (1908-1986) mit ihrem visionären botanischen Universum haben es 2013 in den Hauptpavillon der Venedig-Biennale geschafft.

Zu den repräsentierten internationalen Größen zählen Carlo Zinelli (1916 -1974), die Amerikanerin Pearl Blauvelt (1893–1987) und die aus Uruguay stammende Magali Herrera (1914-1992), die in ihren Arbeiten Räume und Strukturen symbolisch erobern und in einen privaten Tempel mit neuen Bedeutungen verwandeln. Dubuffets Protegée Aloïse Corbaz (1886 -1964), die mit kräftigen Farben Leidenschaft und Weiblichkeit zum Ausdruck bringt, verewigt Momente der Liebessehnsucht. Diametral entgegengesetzt wirken die überdeutlichen zumeist männlichen Akte des oberösterreichischen Künstlers Josef Hofer (*1945), der besonders von Arnulf Rainer gefördert wird, sowie die farbenkräftigen sexualisierten Frauendarstellungen Johann Hausers (1926 - 1994). Hofer, Hauser und Oswald Tschirtner (1920-2007), der ruhige Meister der dezenten Linie, der mit äußerster Reduktion seine Kopffüßler über den weißen Bildgrund wandern lässt, zählen zu den bekanntesten Vertretern der heimischen Art Brut.

Die französische Künstlerin Jill Gallieni (*1948) thematisiert in ihren Gebets-Schriften, die an Sainte-Rita, die Schutzpatronin der Verzweifelten adressiert sind, Personen, Situationen und sich selbst. Vor allem durch Briefe an seine "liebe Mutti" öffnet der deutsche Künstler Harald Stoffers (*1961) seine mentalen Räume: Intime Aufzeichnungen, Geheimschriften, Codes, durch die er mit sich selbst und seiner Umgebung, aber auch mit Dingen jenseits unserer Welt kommuniziert.

Ideen unserer Welt werden zu neuen Systemen zusammengestellt, Mythen gesät, oder, wie im Werk der erst kürzlich wiederentdeckten Wiener mediumistischen Künstlerin Nina Karasek (1883-1933), Prophezeiungen festgehalten und Heilsgeschichten verkündet.

LEBEN IN ART BRUT gibt einen umfassenden, generationenübergreifenden Einblick in bereits etablierte sowie aufstrebende künstlerische Positionen. Die Ausstellung im Bildraum Bodensee unterstreicht den leidenschaftlichen Glauben von Hannah Rieger an ein Kunstparadigma, das emanzipatorisch ist, jenseits des Mainstreams seine Stärke findet und sich in erster Line für die Sichtbarmachung seiner SchöpferInnen einsetzt. Art Brut ist niemals Kunst um der Kunst willen - es ist innerer Ausdruck und oft lebenslange Berufung.

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