Isa Rosenberger

… das weite Land, woher sie kommt, Tänzerin: Loulou Omer, Foto: Reinhard Mayr, © Isa Rosenberger 2019

Kunsthalle Exnergasse

Währinger Straße 59, 1090 Wien
Österreich

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Dienstag bis Freitag 13 - 18 Uhr
 

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Eröffnung: 2. Juli 2019, 19 Uhr


… DAS WEITE LAND, WOHER SIE KOMMT

Hinter dem Knaben aber schreitet lautlos die Nacht einher und breitet den schwarzen Mantel der Vergessenheit über das weite Land, woher er kommt.

Maxim Gorki, Musik der Großstadt

Der zentrale Aspekt von Isa Rosenbergers künstlerischer Praxis ist die Kontextualisierung historischer Ereignisse in unserer Gegenwart, das Nach-Erzählen von Geschichte, das gängige Narrative, wie sie unser Geschichtsbild prägen, erweitert oder in Frage stellt. Häufig richtet sie den Blick auf alternative Lesarten von Geschichte oder vergessene Geschichte(n). (Georgia Holz)

Im Jahr 1934 war auf der Bühne des Volksheim Ottakring in Wien Gertrud Kraus’* Tanzspiel „Die Stadt wartet“** zu sehen, das auf Maxim Gorkis Märchen „Musik der Großstadt“ basierte. Kraus’ Choreografie reflektierte sowohl den Weg eines Jugendlichen in die große Stadt als auch seine Ängste und seine Faszination gegenüber dem Leben in der Metropole. Gertrud Kraus selbst tanzte den Jugendlichen.

„Gesellschaftspolitisch interessiert und durch ihre jüdische Herkunft zunehmend unter Druck, entwickelte sie als eine der wenigen Exponentinnen des Ausdruckstanzes (...) Choreografien, die politisches Engagement zeigten

Andrea Amort***

Es existiert – nach jetzigem Stand – allerdings kein einziges Foto der Aufführung von „Die Stadt wartet“ im Volksheim Ottakring. Das Projekt versteht sich als ein Versuch einer Annäherung an diese Leerstelle und historische Lücke. Rosenberger kooperiert mit der Künstlerin und Tänzerin Loulou Omer, deren Mutter Zipora Lerman eine Schülerin von Gertrud Kraus in Tel Aviv war.

Das Volksheim Ottakring (heute VHS Ottakring) wurde 1901 gegründet und war vor allem in der Zwischenkriegszeit von großer kultureller und politischer Bedeutung.**** Volkshochschulen waren wichtige Orte für alternative Bildungs- und Wissensvermittlung und spielten bei der Popularisierung von Avantgarde-Kunst und Kultur – das Motto lautete nicht umsonst: „Das Wissen für alle“ – jenseits der bürgerlichen Salons eine zentrale Rolle. Die heutige Volkshochschule (VHS) Ottakring ist mit ihrem breiten Angebot an Kursen und Programmen weiterhin ein Zentrum für die Weiterbildung von Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen und sozialen Hintergründen.

Ausgehend von Kraus’ Tanzspiel „Die Stadt wartet“ untersucht Isa Rosenbergers Projekt, wie die weitgehend vergessene sozialreformerische Geschichte der VHS Ottakring und die damit verknüpfte Geschichte des (politisch engagierten) Ausdruckstanzes in Österreich unter den Vorzeichen der heutigen Zeit ins Gedächtnis gerufen, aktualisiert und kontextualisiert werden können. Ganz im Sinn der interdisziplinären Arbeitsweise von Gertrud Kraus wird Tanz hier als besonderer poetischer Raum verstanden, in dem sich Kunstformen, Zeiten und Bilder vermischen und neue Bezüge und Querverweise herstellen lassen.

Außerdem leitete Rosenberger an der VHS Ottakring einen Workshop mit Jugendlichen, in dem sie Kraus’ Zugänge zur Anwendung bringt. Neben dem Workshop belegen auch Rosenbergers eingehende Recherchen über Gertrud Kraus in Wien und Tel Aviv eine Spurensuche nach geografischen Bewegungen und der Migration von Gedankengut, über Länder hinweg und entlang gegenläufiger Routen: die Migration des Ausdruckstanzes von Österreich bzw. Mitteleuropa nach Israel oder auch die Migrationsrouten der Schüler_innen im Workshop u.a. vom Nahen Osten nach Österreich.

Die Ausstellung orientiert sich visuell an der Idee der „Bühne“ als Brennpunkt des Politischen und des Sozialen. Das Ausstellungsdisplay zeigt eine Abfolge von „Bühnen“, auf denen die verschiedenen Komponenten des Projekts ins Spiel gebracht werden: Fotos, Videos, Archivmaterialien, Workshopergebnisse, Skizzen und Performances.


*Gertrud Kraus (1901 Wien – 1977 Tel Aviv) war eine der zentralen Figuren des Ausdruckstanzes – eine überwiegend weiblich besetzte Kunstform – in Wien, wo sie ab 1924 eine erfolgreiche Karriere als Solotänzerin und Choreografin verfolgte. 1935 emigrierte Kraus nach Tel Aviv. Dort gründete sie 1950/51 das Israel Ballet Theatre und war später die erste Leiterin der Abteilung Tanz an der Rubin Academy of Music & Dance in Jerusalem.

**Die Arbeit besteht aus neun, von Marcel Rubin komponierten Musikstücken: 1. Der Knabe auf dem Weg in die Stadt / 2. Chor der leidenden Stadt / 3. Dämmerung / 4. Erleuchtung / 5. Amüsement / 6. Die unvollendete Stadt / 7. Der Traum vom Glück / 8. Der Knabe unter den Menschen / 9. Erwartung. Mit verbindenden Worten von Elias Canetti. Die Uraufführung fand 1933 in Wien statt.

***Zitiert nach Andrea Amort (Hg.): Alles tanzt. Kosmos der Wiener Tanzmoderne, Hatje Cantz Verlag, Berlin 2019, S. 338 f.

****Wichtige Protagonist_innen der Wiener Moderne wie Ernst Mach, Adolf Loos, Joseph Hoffmann, Rosa Mayreder, Marianne Hainisch, Elise Richter, Lise Meitner, Eugenie Schwarzwald, Otto Neurath, Alfred Adler, Robert Musil, Hermann Broch, Jean Amery, aber auch Tänzerinnen wie Gertrud Bodenwieser, Rosalia Chladek und Gertrud Kraus hielten Vorträge, gaben Kurse oder tanzten und spielten auf der Bühne der VHS Ottakring. Die Bühne, auf der Gertrud Kraus tanzte, existiert heute noch.

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