Zwischen Stein und Stille

Der Besuch des KOLUMBA Museums des Kölner Erzbistums ist a priori kein einfaches Unterfangen: Das Leitungsteam unter Stefan Kraus verzichtet auf die Vorstellung der Kunstwerke mittels Plaketten und appelliert an die Besucher:innen, die Exponate, wie jene der laufenden Jahresausstellung „Artist at Work“, in der beeindruckenden Architektur von Peter Zumthor ohne weitere Informationen individuell auf sich wirken zu lassen und sie zu hinterfragen.
SKULPTURALE SITZGELEGENHEIT
Die Aufgabenstellung klingt eingangs etwas esoterisch, als stünde sie unter dem Motto „erfühle die Kunst und Architektur“. Eine Vorgabe, die manche Besucher:innen bereits im ersten Saal erfüllen – indem sie sich an eine kaum wahrnehmbare, unscheinbar-reduzierte Wandskulptur in dezentem Pistaziengrün des Schweizer Künstlers René Zäch lehnen. Doch das Einswerden mit Kunstwerken hat seine Grenzen, wie der Saaldiener betont. Berühren ist verboten. Wie in jedem anderen Museum. Aber Kunstliebhabende können gerne die lichtgrauen Backstein-Wände mit dem sogenannten Kolumba-Stein streicheln oder die filigran wirkenden, aufwendig produzierten Handläufe in den Treppenhäusern fühlen, erklärt Leiter und Kurator Stefan Kraus, der seit dem Jahr 2008 dieses Amt ausübt.

René Zäch, Ohne Titel, 1988, Holz und Kunstharzlack, © Nachlass René Zäch, Foto und © Kolumba Köln
Klingt etwas schräg spirituell? Gehen wir fast 200 Jahre zurück in der Geschichte: 1853 wurde das Kölner Diözesanmuseum gegründet. Es beherbergt 2.000 Jahre abendländische Kultur – von der Antike bis zur zeitgenössischen Kunst. Im Jahr 1997 wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, um auf der Kriegsruine der spätgotischen Kirche St. Kolumba, der 1949/50 erbauten Kapelle „Madonna in den Trümmern“ und einer archäologischen Ausgrabung ein Museum zu errichten. Den Wettbewerb gewann der Schweizer Architekt Peter Zumthor, der unter anderem auch das Kunsthaus Bregenz entwarf, und nach einigen Verzögerungen wurde der Bau 2007 eröffnet.
Es entsteht ein Moment angenehmer Entschleunigung, in dem man sich als Besucher:in tatsächlich auf das Gezeigte und die Architektur einlässt.
Seit dem Jahr 2008 gibt es jährlich eine Ausstellung, die ganz eigenen Regeln folgt: Erstens wird sie lediglich mit Werken aus der Sammlung bestückt. Wie groß die Sammlung ist und über welches Ankaufsbudget sie verfügt (Stefan Kraus: „sehr klein“), unterliegt offenbar dem Beichtgeheimnis. Sie ist jedenfalls, inklusive den jährlichen Ankäufen, umfangreich genug, um spannende, über Jahrhunderte gehende Präsentationen zusammenstellen zu können.
Zweitens gibt es keine Ausstellungarchitektur. Die von Zumthor geschaffenen, überaus stimmigen Räume bleiben, wie sie designt wurden und sind damit essenzieller, integraler Teil der Ausstellungen.

Norbert Prangenberg, Figur, 1996, Ton, gebrannt und glasiert / an der Wand: Ohne Titel (Werkzeichnungen), o. J., Pastellkreide auf Transparent- und Kraftpapier, Foto: Kolumba © VG Bild-Kunst, Bonn
DIE HEILIGEN VIER KÖNIGE
Die heurige Jahresausstellung widmet sich dem Thema „Künstler bei der Arbeit“. Zu Beginn wird die Figurengruppe „Vier Gekrönte vom Epitaph des Nikolaus von Bueren“ (Köln, nach 1445), die Konrad Kuyn zugeschrieben wird, präsentiert. Sie verkörpert exemplarisch die vier Berufsgruppen, die beim Bau einer gotischen Kirche gebraucht werden. Der Architekt, der Bildhauer, der Polier und der Steinmetz tragen jeweils das für ihre Arbeit charakterisierende Werkzeug.
Gegenübergestellt sind sie der namensgebenden, achtteiligen Schwarz-Weiß-Fotoserie „Artist at Work“ von 1978/2014 des serbischen Künstlers Mladen Stilinović (1947–2016). Für den Steinmetz, Bildhauer, Polier und Werkmeister Kuyn war der Begriff Arbeit ganz klar definiert. Auf jeden Fall nicht im Sinn von Mladen Stilinović, der die künstlerische Arbeit darauf reduzierte, sich beim Schlafen zu fotografieren. Es war auch Stilinović, der für das originelle Manifest „Ohne Faulheit keine Kunst“ verantwortlich zeichnete.

Konrad Kuyn, Vier Gekrönte vom Epitaph des Nikolaus von Bueren Köln, nach 1445, Baumberger Sandstein mit freigelegter Originalfassung und Resten der Zweitfassung / Mladen Stilinović, Umjetnik radi/Artist at Work, 1978/2014, s/w Fotografien 8-teilig, © Branka Stipančić, Foto und © Kolumba, Köln
SICH TREIBEN LASSEN
Je mehr man die Dramaturgie der Schau verinnerlicht hat, desto seltener wird der Griff zum begleitenden Booklet. Das Kurator:innen-Team Stefan Kraus, Ulrike Surmann, Marc Steinmann und Barbara von Flüe erfüllt die Aufgabe, die sie sich gestellt haben, souverän. Man flaniert durch die Räume, genießt und entdeckt Positionen, Arrangements – ohne sofort nach Namen suchen zu wollen.
So entsteht ein Moment angenehmer Entschleunigung, in dem man sich als Besucher:in tatsächlich auf das Gezeigte und die Architektur einlässt. Insgesamt sind Werke aus neun Jahrhunderten ausgestellt. Sucht man nach Informationen, stößt man auf Namen wie John Cage, Alexej von Jawlensky, Hans Josephsohn, Jannis Kounellis, Susanne Kümpel, Richard Serra oder Paul Thek. Aber was sind schon Namen, ist man am Ende der Schau versucht zu sagen. Wie auch immer: Die Jahresausstellung „Artist at Work“ und Zumthors Architektur verführen zu einem anregenden Museumsbesuch.

Manos Tsangaris, Kugelbahn - Räumlich installative Komposition für eine Person im Zentrum, 1997, verschiedene Materialien / Frederic Kraul, Ain Labirint, 2017, Filzstift, Linoldruckfarbe und Tusche auf Papier, Foto: Kolumba, Köln © VG Bild-Kunst, Bonn
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln
Kolumbastraße 4, 50667 Köln
Deutschland