Wolfgang Paalen: Surreales Weltenwandeln

Le genie de l’espèce, 1938/2017, Assemblage aus Tierknochen, Samt, Messing in Holzkasten, 31 × 41,8 × 8 cm, Edition der Wolfgang Paalen Gesellschaft, Exemplar 2/8, Privatsammlung, Berlin | Foto: Jens Ziehe, Berlin © Succession Wolfgang Paalen et Eva Sulzer

Wolfgang Paalen führte ein Leben zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Das Belvedere widmet dem Künstler mit „Wolfgang Paalen (1905-59). Der österreichische Surrealist in Paris und Mexiko“ eine in diesem Umfang erstmalige museale Einzelausstellung, die den künstlerischen und geografischen Weltenwandel in seinem Œuvre beleuchtet.


„Wolfgang Paalen war ein Weltbürger mit österreichischen Wurzeln.“, beschreibt Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig Paalen im Pressetext. Zum 60. Mal jährt sich sein Todestag, vor 26 Jahren fand die erste Retrospektive im „20er“ Haus statt, die den Grundstein zur wissenschaftlichen Aufarbeitung seines Schaffens legte. Das Belvedere – selbst im Besitz zweier Werke Paalens – wagt sich nun an den lange übersehenen Künstler heran, komplettiert die von Andreas Neufert und Franz Smola kuratierte Ausstellung durch internationale museale und private Leihgaben. Auch der mehrspurige Weg des Künstlers, als Sammler, Literat und Herausgeber der Avantgarde Kunstzeitschrift DYN, führt über Landesgrenzen hinweg und wird in der Ausstellung multimedial aufgearbeitet. Wien, Paris, London, Britisch-Kolumbien und nach Einladung Frida Kahlos schließlich auch Mexiko.

43 Gemälde, 23 Graphiken, 9 Skulpturen sowie zahlreiche Fotografien des einzigen österreichischen Mitglieds der Pariser Surrealisten werden präsentiert – ein Querschnitt seines Gesamtwerks, das sich nicht auf surrealistische Arbeiten begrenzt, sondern ebenso kubistische, wie erste Ansätze in abstrakte Kunstgefilde erkennen lässt. Die Bedeutung für die österreichische Kunst, liegt laut Neufert „in Paalens spezifischer ‚Denke‘, seinem ungebrochenen Bezug auf die Geniezeit um 1800, einem gewissen Anachronismus aus ‚vorindustriellem‘ und monarchisch geprägtem Lebensstil mit dem Hochhalten eines betont aristokratischen Wertebewusstseins, [...] bei einer gleichzeitig weit vorausschauenden Modernität.“

Wolfgang Paalen war ein Weltbürger mit österreichischen Wurzeln.

Stella Rollig, Direktorin des Belvedere

 

Wolfgang Paalen, um/ca. 1940 | Foto: Eva Sulzer, Privatarchiv Andreas Neufert (Copyright Succession Sulzer, The Wolfgang Paalen Society e.V.)

Wolfgang Paalen, um/ca. 1940 | Foto: Eva Sulzer, Privatarchiv Andreas Neufert (Copyright Succession Sulzer, The Wolfgang Paalen Society e.V.)

In variierender Aufarbeitung, finden sich Paalens Sujets wiederholt in seinem Schaffensprozess. Er experimentiert, sammelt und verbildlicht seine Inspiration, die er im Totemismus, der Energie des Kosmos und in matriarchalen Strukturen verortet. Alternierend zwischen zurückhaltenden und starken Farbwelten, wandelt Paalen sprunghaft zwischen zeichnerischer Linienführung, grobem Farbauftrag, einheitlichen Farbflächen, dynamischem Pinselduktus und losen Farbwirbeln, über die er künstlerisch kosmische Felder erschließt. Indigene Sammlerstücke, Objektkunst und Arbeiten der Bildhauerei – der Besucher betritt eine Welt gestalterischer Vielfalt, die Paalens Werk weiten Entfaltungsraum bietet.

Es sind figürliche Fantasien, die Paalen in der surrealistischen Objektkunst auslebt, ironische Anmerkungen an die Realität.

Katharina Müller

 

Espace libre, 1941 Öl auf Leinwand 114 × 145 cm Gordon Onslow Ford Collection, Lucid Art Foundation | Foto: Belvedere, Wien, Johannes Stoll © Succession Wolfgang Paalen et Eva Sulzer

Espace libre, 1941 Öl auf Leinwand 114 × 145 cm Gordon Onslow Ford Collection, Lucid Art Foundation | Foto: Belvedere, Wien, Johannes Stoll © Succession Wolfgang Paalen et Eva Sulzer

„Der Fokus liegt auf den, für die kunstgeschichtliche und Avantgarde-spezifische Entwicklung wichtigen und einflussreichen 1930er und 40er Jahren“, erzählt Neufert. Eine Zeitspanne, in die auch die von Paalen erstmals 1936 präsentierte Kunst der Fumage fällt, der in der Ausstellung besondere Bedeutung zukommt. Kunstvoll bannt er Kerzenrauch auf die Leinwand und zähmt dessen Unberechenbarkeit in schattenhafte Formen. In Verbindung mit Ölfarbe erschafft Paalen beinahe lebendig anmutende surreale Szenerien. Rußige Linien entspringen aus künstlerischen Zwischenwelten, lodern wie in „Taches solaires“ um maskenartige totemistische Wesen. Der Betrachter begleitet ihn auf eine sonderbare Sinnsuche und taucht in eine Wahrnehmung ein, deren Verständnis nicht das ultimative Ziel, sondern letztendlich nur ein Versuch sein kann.

Es sind figürliche Fantasien, die Paalen in der surrealistischen Objektkunst auslebt, ironische Anmerkungen an die Realität. Ein mit Naturschwämmen beklebter Schirm steht im Belvedere nun auf einem Podest, anstatt wie ursprünglich, bei der „Exposition internationale du Surréalisme“ 1938 in Paris, von der Decke zu schweben. Eine Pistole aus Tierknochen vereint die Themen Mittel und Zweck kritisch in einem Kunstobjekt „L´heure exacte II (Relojes videntes)“, eine mit Federn und Glasaugen verzierte Uhr, fixiert den Beobachter. Letztlich hinterlässt Paalen ein Werk, das einen Betrachter benötigt, der assoziiert – der das Sichtbare hinterfragt.

Unteres Belvedere, Orangerie

Rennweg 6, 1030 Wien
Österreich

Wolfgang Paalen (1905–59)

bis 19. Jänner 2020

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