Wo KI-Kunst 2025 wirklich steht

Eine umfangreiche Überblicksausstellung versammelt vierzig seit 2016 produzierte künstlerische Auseinandersetzungen mit „der Welt wie sie durch KI erscheint“.
„Die Ausstellung bietet mit Beiträgen insgesamt 43 Kunstschaffender, ergänzt um über 100 Dokumente und Objekte zu historischen und kulturellen Ursprüngen, präsentiert in „Zeitkapseln“, einen facettenreichen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen zeitgenössischer Kunst und Künstlicher Intelligenz (KI). Kuratiert von dem Medienwissenschaftler Antonio Somaini (*1968), beleuchtet die Schau die Entwicklung von der „analytischen“ zur „generativen“ KI und stellt dabei die Frage, wie Maschinen die Welt sehen und gestalten. Ein herausragendes Werk ist „Calculating Empires: A Genealogy of Technology and Power Since 1500“(2023) von Kate Crawford (*1974) und Vladan Joler (*1977). Die mehrere Saalwände bedeckende Kartografie visualisiert in Gestalt von Schaltbildern globale Machtstrukturen, die hinter der Entwicklung von KI-Systemen stehen. „Mechanical Kurds“ (2025) von Hito Steyerl (*1966) thematisiert menschliche Ausbeutung, insbesondere die Rolle von kurdischen „Clickworkern“, und zeigt, wie KI-Spiegel und Verstärker gesellschaftlicher Vorurteile sein kann. „The Organ“, 2018 von Christian Marclay (*1955) in Kooperation mit SnapChat erstellt, kombiniert KI-generierte Klänge und Bilder mit menschlicher Improvisation an einer im Ausstellungsraum aufgestellten elektronischen Orgel. Die Komplexität und Ambivalenz der KI in der Kunst wird gut vermittelt und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation angeregt, wodurch sowohl kreative Potenziale begreifbar werden, als auch ethische und politische Herausforderungen der Zukunft der Mensch-Maschine-Interaktion.“
Diesen (überarbeiteten) Text generierte ChatGPT am 24.4.2025 auf die Bitte hin, eine kritische Besprechung der Ausstellung zu liefern.
KI denkt nicht. KI kalkuliert.
Weil er nur wiedergeben kann, was schon im Netz geschrieben steht, fehlt dem Rechenmeister etwas: der sinnliche Eindruck des faktischen Besuchs vor Ort. Zwar wiederholt ChatGPT, was irgendwo geschrieben wurde. Zum Beispiel, dass „die Komplexität der Werke für einige Besuchende überwältigend“ sei. Dass sich der Gang in die „Welt nach KI“ anfühlt, wie das Flanieren durch ein großes dunkles Mausoleum der Menschheitsdämmerung, wird ignoriert.
„Wir errichten unsere eigenen Pyramiden“ sagte Gregory Chatonsky (*1971) während dem Presserundgang durch die Ausstellung und stand dabei in seiner einen ganzen Saal füllenden Installation „La Quatrième mémoire“ (2025), die wie in einem Grab auf einer seltsam unbewohnten Erde. Maschinell wird er darin mit Bildern und Videos in zahlreichen virtuellen Versionen entworfen, wie eine in Quantenformat übergeschnappte Narzissmus-Maschine in Kafkas „Strafkolonie“. Wie dessen sich verselbständigende Schreib-Maschine liebt mit der KI der Mensch sich selbst zu Tode – und gebiert Schimären, denen Menschen nur noch als fasziniertes Publikum dienen. Das verlangt neue, kritische Kompetenzen, über das bloß Dargestellte hinaus unvorhergesehene Verbindungen herzustellen, Schlüsse zu ziehen, erfordert die Fähigkeit zum Inkommensurablen.

Trevor Paglen, Vampire (Corpus: Monsters of Capitalism) Adversarially Evolved Hallucination, 2017, Dye sublimation print, 60 x 48 in., © Trevor Paglen
Wo bleibt dein Assoziationsvermögen, KI?
Oder auch ein aus einem längeren Kritiker-Leben gespeistes Assoziationsvermögen: So finde ich im Festivalprogramm von „Vienna Digital Cultures 2025“ (5.-18.2.2025) einige Namen, die auch in Paris auftreten: Kate Crawford, Vladan Joler, Arvida Byström, Joey Holder. Die findet auch der Bot. Nicht aber Clemens von Wedemeyer, der ebenfalls bei beiden Veranstaltungen dabei ist. Den 1974 geborenen Deutschen kenne ich von Anfang der 2000er Jahre. Da hat er einige Zeit aktiv mit der Pariser Galerie Jocelyn Wolff zusammengearbeitet und sich damals in Videos den Parallelen zwischen europäischen Metropolis-Utopien und der architektonischen Realität im heutigen China gewidmet. Im Jeu de Paume präsentiert er mit „Neural Network – Social Geometry“ (2024) einige Cyanotypien, die den Zusammenhang von Rechen- und sozialen Prozessen eher zurückhaltend-konzeptuell reflektieren.
Was Text-Synthesizer wie ChatGPT ausgeben, findet im Universum digital verbreiteter Schrift statt. Ein von einem Menschen und ein von einer Maschine erzeugter Text sehen ähnlich aus. Doch selbst wenn der Mensch sich einem strengen, quasi anti-kreativen Produktionsprotokoll unterwirft, wie es der kanadische Dichter, Medienkünstler und Forscher David Jhave Johnston zwischen 2017 und 2018 tat – also vor der öffentlichen Verfügbarkeit von KI: er bringt seine körperliche und psychische Verfassung in die Schrift-Stücke ein, die er generiert. Jeden Morgen erstellte Jhave zwei Stunden lang aus im Internet gefundenen Texten durch copy/paste „Text-Skulpturen“. Den Vorgang zeichnete er per Screen-Video auf, zeigt nun diese „ReRites“ zusammen mit den selbst publizierten Büchern der Gedichte in der Ausstellung. Es wäre ein Irrtum zu glauben, auch das ist Ergebnis der als „generatives Schreiben“ im Jeu de Paume gezeigten Werke, Schrift sei bloß ein Zeichencode, der einen immateriell-geistigen Inhalt immer gleich reproduziere. Schrift verkörpert, um den Philosophen Jacques Derrida zu zitieren, die „différance“. Das heißt, sie macht in ihrer Gestalt einen unhörbaren Rest erfahrbar, der ihr entgeht.

The Treachery of Object Recognition, 2019 © Trevor Paglen, Courtesy of the Artist, Metro Pictures, New York, Altman Siegel, San Francisco
KI kann nicht hinaus, aus der Matrix. Sie verfängt sich darin.
Was die KI übersieht
Im Fall digitaler Text-Reproduktion wäre dieser Rest das, was der Bot, der nur ausrechnet, was zusammenpasst, übersieht. Zum Beispiel, dass die Rekonstruktionen antiker Statuen, wie sie der österreichische Künstler Egor Kraft (*1986) mit seinen „Content Aware Studies“ (2019) unter Benutzung von Generative Adversarial Networks (GANs) erzeugt, in der Ausstellung den Eindruck verstärken, sich durch die Ruinen (oder den Ruin) der Menschheit zu bewegen.
Oder, dass Hito Steyerls Film zur Ausbeutung von Kurden in türkischen Flüchtlingslagern dunkler wirkt als ihre oft satirisch zugespitzten Werke. Eine sensible Nuance, wenn man weiß, dass Steyerls Freundin Andrea Wolf 1998 als PKK-Kämpferin in der Türkei ermordet wurde. Und erinnert, was Steyerl bei der Präsentation dieses Projektes auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik im Schweizer Fribourg im September 2024 berichtete: Bei der Arbeit mit KI-Video-Generatoren habe sie bemerkt, dass diese zwar menschliche Körper verformen, zerquetschen, auflösen, jedoch technisches Material, Waffen, Autos intakt lassen.
Schützt KI ihresgleichen, die Maschinen? Ein kleiner „Terminator“-Schauer begleitet den Gang durch die Pariser Ausstellung.

Egor Kraft, Content Aware Studies, 2019 © Egor Kraft
Alles nur ein Spiel?
Eines ist danach klar: KI kann nicht hinaus, aus der Matrix. Sie verfängt sich darin, wie Julien Prévieux (*1974) mit „Poem Poem Poem Poem Poem“ (2025) vorführt. Die Arbeit nutzt einen ChatGPT-Hack, mit dem Forscher den Chatbot durch endlose Wiederholung des Wortes „poem“ dazu brachten, Texte zu enthüllen, mit denen er trainiert worden war. In der Ausstellung zu hören sind diese Fragmente aus Werbung, Impressum, Speisekarten, der Bibel, privaten E-Mails. Die „Ready-made“-Gedicht-Komposition macht deutlich: KI denkt nicht. KI kalkuliert. Und zwar nur in dem für sie ausgerechneten Welt-Bild. Dass dieses seit der Renaissance in Gestalt der geometralen Zentralperspektive sich ästhetisch als rationalistisch-dominante Weltanschauung behauptet – auch darauf weist die Ausstellung hin.
Was bedeutet das? Zunächst nichts Neues: die Welt, wie wir sie (er)kennen, ist vor allem durch Sprache und Bilder verhandelbar. Was sich jenseits abspielt, bleibt verschlossen. KI-Technologie industrialisiert nun diesen Schrift-Bild-Raum als Code. Das fügt der Welt nicht mehr Alterität hinzu, sondern mehr Immergleiches. Auch Quentin Bajac, Direktor des Hauses, ließ für das Katalog-Vorwort Text generieren. Das berichtet er, jenen zitierend, im Vorwort – ein Monolog. „Monolog“ nannte der romantische Dichter Novalis eine Textsammlung zur Schrift. Und erkannte bereits 1788, „daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei – Sie spielen nur mit sich selbst“.

Trevor Paglen “De Beauvoir” (Even the Dead Are Not Safe), Eigenface (Colorized) 2019, © Musée national d’Art moderne/Centre de création industrielle. Don du Virginia M. Zabriskie Fund, Amis du Centre Pompidou, 2024
Jeu de Paume
1 place de la Concorde, 75008 Paris
Frankreich