Wiener Festwochen: Markus Schinwald im Interview

Walter Seidl traf Markus Schinwald (*1973 Salzburg) zum Gespräch. Im Auftrag der Wiener Festwochen verwirklicht der von Thaddaeus Ropac vertretene, international erfolgreiche Künstler einen Totentanz – „Danse Macabre“.


Walter Seidl: Danse Macabre ist eine im 14. Jahrhundert in Frankreich aufgekommene bildliche Darstellung von allegorischen Szenen, in der der personifizierte Tod mit 24 Personen einen letzten Tanz vollzieht, was auch als Grundlage für dramatische Dichtungen diente. Die Referenzen hierzu bildet der Schwarze Tod beziehungsweise die Pest, eine der großen Pandemien der Geschichte. Was waren deine Überlegungen hinsichtlich der Parallelen zwischen dieser und der aktuellen Pandemie?

Markus Schinwald: Die Arbeit an dem Stück hat vor drei Jahren, also lange vor der aktuellen Situation begonnen. Ich war über die Parallele zur aktuellen Situation gar nicht glücklich. Mein Fokus lag eigentlich auf einer anderen Form der Krise, einer ohne externe Komponenten wie einer Naturkatastrophe oder eben das Virus. Mich hat besorgt, in welcher Geschwindigkeit sich die Gesellschaft fragmentiert, wie sehr sich Gemeinsamkeiten verflüssigen und wie selektiv sich die Gesellschaft solidarisch und empathisch zeigt. Ich habe die letzten Jahre in den USA gelebt und diese Entwicklung dort vielleicht noch deutlicher zu spüren bekommen als hier, aber natürlich ist das ein globales Problem. Ich wollte mit dem Stück eine Stimmung andeuten, die aber heute zu allgemein wäre, eine Stimmung, die wir jetzt sofort zuordnen würden. Mir ist klar, dass gerade ein Totentanz durch die Erfahrung, die wir in den letzten eineinhalb Jahren gemacht haben, gelesen wird. Es ist also ein anderes Stück geworden und ich habe dem pessimistischen Ton der Inszenierung eine kleine Drehung verpasst. Die Grundlage ist immer noch eine politische, aber das Stück hat jetzt eine andere Betonung, eine, die wahrscheinlich etwas leichter rüberkommt.

WS: Deine Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass du Körper und Räume in einer psychogeografischen Fragmentiertheit begreifst. Welche Ansätze sind für dich in der Umsetzung von darstellenden Produktionen wichtig und wie unterscheiden sich diese von deinen bildkünstlerischen Arbeiten? 

MS: Ich mache wenig Unterschied, wie ich die Dinge angehe, aber natürlich ist die einsame Arbeit an einem Bild eine ganz andere als mit vielen Menschen. So eine Art zu arbeiten fordert mich mental sicherlich mehr als die Studioarbeit, bei der die Grenzen zu meiner Umgebung klarer gezogen sind. Ich glaube, dass die Unterschiede eher in der Rezeption als in der Produktion zu finden sind. Es ist kein Zufall, dass wir das Interview für eine Kunstzeitschrift machen und nicht für eine Bühnen- oder Musikzeitung. Jedes Genre hat eine spezifische Geschichte und Konventionen, die nur bedingt kompatibel sind, und so bin ich mir sicher, dass auch Danse Macabre sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.

Markus Schinwald © Markus Schinwald

WS: Wie weit werden Szenen von dir choreografiert beziehungsweise wie sehr lässt du den Performer*innen freien Raum in der Umsetzung, da du seit Beginn in deinen Filmen mit Tänzer*innen und Performer*innen gearbeitet und diese Kooperationen kontinuierlich ausgebaut hast?

MS: Das ist ganz unterschiedlich, manchmal sind mir bestimmte Bewegungen sehr wichtig, oft kommen diese aber zu hundert Prozent von anderen. Ich arbeite nun seit über 20 Jahren mit Performer*innen und immer noch ist kein Choreograph aus mir geworden. Ich glaube dieser Zug ist abgefahren. Choreograph bin ich am ehesten wenn ich mit Räumen arbeite, mit Performer*innen agiere ich wahrscheinlich wie ein Architekt.

WS: Was waren deine Überlegungen während der Umsetzung der inhaltlichen Fragestellungen zu Danse Macabre in eine raumspezifische und performative Situation? Welchen Einfluss nahm dabei die Zusammenarbeit mit Matthew Chamberlain?

MS: Bei den historischen Totentänzen war die Basler Version von 1440 für mich sehr wichtig. Neben der Todesfigur und dem Tanzmotiv ist die Ständereihe ja das dritte zentrale Element im Totentanz. Der Basler Totentanz nivelliert die unterschiedlichen sozialen Schichten, indem er den Bettler neben die Kaiserin stellt und den Bischof neben den Musiker. Der Bildaufbau ist fast wie ein Comicstrip organisiert und diese hierarchische Verflachung spielt auch bei mir eine wichtige Rolle. Die Zusammenarbeit mit Matthew Chamberlain war sehr organisch. Wir sind auf viele Missverständnisse gestossen, die sich aber als sehr produktiv erwiesen haben. Wir sind gut befreundet, aber er ist fast 20 Jahre jünger als ich und hat andere Assoziationen zum Tanz. Während er an Algorithmen denkt, hab’s ich mit der Phänomenologie.

Markus Schinwald, Danse-Macabre, 2020 © Bildrecht

WS: Welche Unterschiede ergeben sich für dich in der Konzeption eines Bühnenraums im Vergleich zu jenem in Ausstellungen, wo du ebenso auf den Einsatz von architektonischen Versatzstücken fokussierst? 

MS: Ich folge weder bei meinen Ausstellungs- noch bei den Bühnengestaltungen einem bestimmten Rezept und versuche den Entwurf auf die jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen. Natürlich gibt’s bestimmte Muster und Elemente, die sich wiederholen. Manchmal fällt mir auch einfach nichts besseres ein.

WS: Besteht bei deinen performativen Produktionen in der Auswahl und Konzeption der Kostüme ein Unterschied zu deinen Filmen, da Kleidung immer auf die physiognomischen Beschränkungen des Körpers angewiesen ist, die du mit Extensionen und Körpersurrogaten erweiterst.

Markus Schinwald, Danse-Macabre, 2020 © Bildrecht

Das Publikum wird sich in einer invertierten Arena-Situation finden ... eine 360° Bühne, bei der die Zuseher*innen sich erst ihr eigenes Stück bauen müssen.

Markus Schinwald

MS: Ich würde sagen, methodisch hat sich nichts geändert, ästhetisch aber schon. Meine Arbeit hat mit Erinnerungskultur zu tun und basiert meist auf einer Art der Konversion oder Übersetzung historischer Motive. Bei den Übermalungen waren es Portraits aus dem 19. Jahrhundert, die durch kleine Eingriffe ein zweites Leben bekommen haben, und bei den „Extensions“ sind es oft barocke Originale, die über den Umweg der Abstraktion im Jetzt ankommen. Für Danse Macabre bin ich zwischen zwei sehr konträren Koordinaten gesprungen – der Frührenaissance auf der einen, TickTock auf der anderen. Die Kostüme haben Elemente von beiden.

WS: Wie wichtig ist für dich in situativen Momenten die Einbindung des Publikums? 2009 hattest du im Kunsthaus Bregenz etwa eine Sitcom produziert.    

MS: Das Publikum wird sich in einer invertierten Arena-Situation finden, es gibt keine frontale Bühnensituation, die schmale Bühne liegt wie eine Schleife um das Auditorium. Es handelt sich um eine 360° Bühne, bei der die Zuseher*innen sich erst ihr eigenes Stück bauen müssen. Zu einer Szene hindrehen heisst hier aber auch, sich von der anderen wegdrehen, und so wird möglicherweise niemand genau das gleiche Stück gesehen haben.


Künstlerisches Team: Konzept, Regie, Bühne Markus Schinwald Mit Musik von Matthew Chamberlain interpretiert von PHACE musikalische Einstudierung Lars Mlekusch Mit Oleg Soulimenko, Evandro Pedroni, Jack Hauser, Linda Samaraweerová, Alice Schneider, Julia Müllner, Philippe Riéra, Imani Rameses, Elisabeth Tambwe

Unterstützung: Die Vorstellungen in Wien werden unterstützt von Dorotheum – Präsentierender Partner von Danse Macabre und U.S. Embassy

Wiener Festwochen

Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien
Österreich

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