Wie plant Wien Kunst im öffentlichen Raum?

Seit vergangenem Herbst ist Cornelia Offergeld künstlerische Leiterin von KÖR Wien. PARNASS traf sie zum Gespräch über Kunst im öffentlichen Raum – was braucht die Stadt?
Wenn man mit der Kunst in den öffentlichen Raum geht, arbeitet man mit und für die Gesellschaft.
PARNASS: Ehe Sie letztes Jahr zur künstlerischen Leiterin von KÖR Wien bestimmt wurden, waren Sie bereits für drei Jahre die kuratorische Leiterin – was ändert sich durch die neue Position?
Cornelia Offergeld: Es ändert sich jetzt gerade vieles. Bereits meine kuratorische Position war eine entscheidende Erweiterung, die nur dank höherer finanzieller Mittel möglich war. Dass KÖR in den letzten Jahren wachsen konnte, basiert auf dem Denken und Verständnis von Veronica Kaup-Hasler (Anm. Stadträtin für Kultur und Wissenschaft). Mittlerweile sind wir mit einer zusätzlichen Kuratorin und einer Stelle für Outreach und Vermittlung gut als Kunstinstitution aufgestellt. Das sind tolle Expert:innen. Wer für die Kunst im öffentlichen Raum arbeitet, braucht ein erweitertes Wissen, das nicht nur in alle Bereiche der Kunst, aber auch in Architektur und Stadtplanung wie auch in die Soziologie geht.
Seit 2024 sind wir zusammen mit der Kunsthalle, dem Foto Arsenal, dem zukünftigen Atelierhaus und dem Festival Foto Wien unter einem Dach. Die gemeinsame Organisation nennt sich „Stadt Wien Kunst GmbH“. Diese Trägerorganisation führt rechtliche, verwaltende und finanzielle Angelegenheiten zusammen. Diese administrative Klammer gibt uns strukturellen Halt und mehr Spielraum für inhaltliche Arbeit.

Cornelia Offergeld, Foto: Thomas Kreuz
P: Mit welchen Zielen haben Sie Ihre neuen Aufgaben angenommen?
CO: Die Kunst für den öffentlichen Raum einer Stadt verstehe ich als Teil eines lebendigen Systems. Dabei geht es immer darum, das Kleine und das Große zu verbinden, von der kleinen Intervention bis zum Verständnis der Stadt als Ganzes. Unsere Aufgabe ist es, zeitgenössische Kunst in allen ihren Facetten zu ermöglichen, dabei die lokale Kunstszene einzubinden und mit internationalen Positionen zu vernetzen.
Kooperationen sind dabei wesentlich. Vor allem mit Partner:innen wie den Wiener Linien oder der ÖBB können wir groß denken und Projekte umsetzen, die von uns alleine finanziell nicht realisierbar wären. Aktuell sind drei U-Bahn-Stationen im Bau, was tolle Möglichkeiten bietet. Natürlich versuchen wir dabei sehr genau darauf zu schauen, dass die ganze Stadt im Blickfeld gehalten wird. Gerade ist Christian Kosmas Mayer mit seiner Arbeit für den Bahnhof Meidling ein großer Wurf gelungen.

Christian Kosmas Mayer, Der verlorene Garten, © MK, Bildrecht
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, in der Vermittlung stärker zu werden. Das bedeutet auch, mehr Menschen einzubinden. Manchmal wird übersehen, was für eine gute Künstler:innenschaft wir in Wien haben. Die kann sich mehr als sehen lassen. Wir haben zwei wichtige Ausbildungsstätten, die Universität für angewandte Kunst und die Akademie der bildenden Künste: Mit diesen wollen wir kooperieren. Auch weil viele junge Künstler:innen nicht auf den öffentlichen Raum vorbereitet sind – daran müssen wir arbeiten.
P: Was meinen Sie damit, inwiefern sind Kunstschaffende nicht auf den öffentlichen Raum vorbereitet?
OC: Es geht darum, dass junge Kunstschaffende lernen, dass der öffentliche Raum nicht einfach ein nach außen gestülptes Museum ist. Die Kunst im öffentlichen Raum ist eine eigenständige Disziplin für Künstler:innen, die parallel, bzw. vernetzt denken. Arbeiten im öffentlichen Raum bedeutet immer Arbeit für und mit der Gemeinschaft. Wichtig ist das Verständnis, dass wir an der Schnittstelle von Kunst, Politik, politischem Denken und Gesellschaft arbeiten.

Anna Meyer, Schneckenhaus warnt Flugschnecke, © Anna Meyer
Alles, was in den öffentlichen Raum gelangt, ist auch eine öffentliche Aussage.
P: Arbeiten im öffentlichen Raum bedeutet oft auch sehr emotionale Auseinandersetzungen. Wie gehen Sie mit dieser Energie um?
OC: Ich habe mich schon lange davon entfernt, Energien als negativ oder positiv zu bewerten. Kunst im öffentlichen Raum oder öffentliche Kunst, wie der Begriff in Amerika längst eingeführt wurde, dient manchmal als Blitzableiter. Hier finden Projektionen statt. Dinge, die man im öffentlichen Raum nicht kennt, rufen starke Emotionen hervor, die oft nichts mit der Sache selbst zu tun haben. Das ist ein sehr spannendes Phänomen. Sehr oft wird das Negative stark aufgebauscht, während das Positive untergeht. Alles, was in den öffentlichen Raum gelangt, ist auch eine öffentliche Aussage.
P: Wie wollen Sie künftig besser vermitteln?
OC: Kommunikation und Vernetzung sind unsere wichtigsten Instrumente für kuratorische Arbeit im öffentlichen Raum. Kuration im Bereich der Vermittlung geht heute neue Wege, indem eigene künstlerische Projekte entwickelt werden, die zur Partizipation einladen. Dann gibt es ganz pragmatische Dinge: flächendeckende Beschilderungen, ein neues Corporate Design, eine neue Website. Die Menschen müssen sagen: "Ah ein neues Kunstprojekt, das wird für uns gemacht, das macht unsere Stadt aus."
Außerdem arbeiten wir an neuen Formaten. Wir wollen stärker mit Künstler:innen in Bildungseinrichtungen arbeiten, auch im Bereich der Erinnerungskultur. Ein Beispiel ist ein Projekt an einer Schule, in der noch eine Tafel zu Ehren des antisemitischen Bürgermeisters Karl Lueger hängt. Wir haben mit Spezialisten aus dem Bereich der Geschichtspädagogik gearbeitet, die Workshops über ein ganzes Schuljahr hinweg entwickelt haben und mit den Schüler:innen die Tafel kontextualisiert haben.
P: Was konnten Sie von den ersten Projekten mit Schüler:innen mitnehmen?
OC: Pädagog:innen haben uns gelehrt, dass man junge Leute immer in der Gegenwart abholen muss. Um Geschichte zu verstehen, müssen sich die Fragestellungen aus dem Heute ergeben – zum Beispiel, wenn es darum geht, was historischer Antisemitismus war, beginnt man bei antisemitischem Verhalten heute. Auch abseits der Schulen versuchen wir öffentliche Gesprächsformate zu entwickeln, in denen Menschen zu Wort kommen können. Hier lassen wir Künstler:innen Ideen einbringen. So hat etwa die Künstlerin Susanne Rogenhofer letzten Herbst öffentliche Diskussionen zwischen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen vor den Nationalratswahlen initiiert.

Susi Rogenhofer, Kunst-Polit-Mobil: Lektionen über politische Verführung, © Susi Rogenhofer
Wenn Ängste permanent geschürt werden, projizieren die Menschen diese auf das vermeintlich „Fremde“. Und dann hilft die feinste Poesie nichts, die wir im Übrigen so dringend brauchen.
P: Wie positioniert sich KÖR Wien im Städtevergleich – national und international?
CO: KÖR Wien gibt es als Institution seit 2004 in unterschiedlichen Rechtsformen. Aber in Wahrheit hat die Kunst im öffentlichen Raum eine viel längere Tradition, die in den kommunalen Wohnbau des „Roten Wien“ der 1920er-Jahre zurückreicht. Nicht nur soziale Fürsorge, sondern auch Bildung und Kunst für alle war damals ein Thema. Das sind Werte, die uns im internationalen historischen Vergleich auszeichnen, die aber auch für die Gegenwart Maßstäbe setzten sollten.
Besonders an KÖR Wien ist heute, dass wir sowohl für die frei im öffentlichen Raum platzierte oder sich dort bewegende Kunst zuständig sind, wie auch für die Kunst am Bau oder künstlerische Arbeiten im Bereich der Erinnerungskultur. Das ist nicht überall so. München oder Zürich machen es anders. In Wien hat es aber sicher auch mit eben dieser Tradition zu tun. Ich halte es für einen guten Weg für die Stadt.

GELATIN, WirWasser, © MK, Bildrecht
P: Was wünschen Sie sich vom Publikum?
OC: Vom Publikum wünsche ich mir Offenheit, Neugierde – ein Publikum, dass die Kunst in Wien als ihren gemeinschaftlichen Schatz ansieht, stolz darauf ist. Etwas, dass ganz selbstverständlich zu ihrem Alltag gehört. Das ist aber nicht immer einfach, wenn die Bildung den Menschen nicht beibringt, wie wichtig Kunst für die Gesellschaft ist. Und wenn Ängste permanent geschürt werden, projizieren die Menschen diese auf das vermeintlich „Fremde“, das sie nicht versteht, weil das Grundgefühl schon vorhanden ist. Und dann hilft die feinste Poesie nichts, die wir im Übrigen so dringend brauchen. Es ist unsere Aufgabe, auf das Publikum zuzugehen.
P: Was geben Sie jemandem mit, der bei Ihnen um eine Förderung ansuchen möchte?
OC: Wir versuchen, die Einreichenden so gut wie möglich bei dem Prozess zu unterstützen, auch wenn es um geeignete Standorte geht. Die Hürden sind nicht immer die künstlerischen Ideen, sondern die Machbarkeit im Hinblick auf bauliche Vorgaben und Sicherheitsfragen. Die muss man immer im Blick haben. Hierzu bieten wir Beratungen an und arbeiten eng mit Fördereinreichenden zusammen und. Denn für Installationen im öffentlichen Raum installieren will, braucht es einen komplexen Genehmigungsprozess. Eine Sache sollte auf jeden Fall den Künstler:innen klar sein: Wenn man mit der Kunst in den öffentlichen Raum geht, arbeitet man mit und für die Gesellschaft.
P: Wie blicken Sie auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich?
OC: Diese aktuellen politischen Entwicklungen können die Kulturschaffenden nur beunruhigen, so wie alle Menschen, die fassungslos mit ansehen, wie an so vielen Plätzen in der Welt die freie Gesellschaft abgeschafft werden soll. Die Kunst im öffentlichen Raum ist noch näher an politischen Entwicklungen dran, als die Kunst in Museen, also in verhältnismäßig geschützten Räumen, weil sie unmittelbar im Alltag, wie ein Spiegel für die Gesellschaft, steht. So ist sie immer auch ein Gradmesser für deren Offenheit, für Freiheit und Demokratie. Was die Entwicklungen aber auch zeigen, ist, dass wir Kunst mehr denn je brauchen.

Hybrid Dessous, Wiener Bade Linie, © Sarah Tasha Hauber