Was tut Krieg mit Kindern?

Noch bis Mai läuft im Kunsthaus Graz die sehenswerte Schau „Poetics of Power“. Sie will Machtmanifestationen aufdecken und tut dies mit namhaften Positionen. Mit dabei ist auch Erkan Özgen, eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen Videokunst. Eva Komarek traf ihn zum Gespräch.
PARNASS: Ihre Werke erzählen oft von Flucht, Krieg und Ohnmacht – Themen, die eine starke emotionale Wirkung haben. Wie entscheiden Sie, welche Geschichten Sie erzählen?
Erkan Özgen: In meiner künstlerischen Praxis spielen ethische Sensibilitäten eine entscheidende Rolle. Die Geschichten, die ich erzähle, basieren auf realen Erlebnissen. Mein Fokus liegt darauf, das Unsichtbare sichtbar zu machen und den Ungehörten eine Stimme zu geben. Meist arbeite ich mit Erzählungen, die ich selbst erlebt habe oder die mir anvertraut wurden – sei es auf persönlicher Ebene oder als Teil eines kollektiven Gedächtnisses. Die Auswahl der Themen erfolgt intuitiv: Ich folge den Geschichten, die mich am stärksten berühren und die erzählt werden müssen.
Welche Rolle spielt die Ästhetik in Ihren Filmen? Sind Schönheit und künstlerische Komposition für Sie ein Mittel, um schmerzhafte Themen erfahrbar zu machen?
Meine ästhetischen Ansätze zielen nicht allein auf Schönheit ab. Vielmehr entwickeln sich meine Werke zu einer Form der Wahrnehmung, zu einem emotionalen Resonanzraum, der die narrative Struktur stärkt. Ich strebe stets nach einer vielschichtigen Bedeutungsebene in meiner Kunst. Meine Arbeiten hinterfragen soziale, politische und ökologische Zusammenhänge.
Ich beschäftige mich oft mit harten und traumatischen Themen. Doch statt reine Schockeffekte zu erzeugen, ist es mir wichtig, eine emotionale Verbindung zum Publikum herzustellen. In diesem Sinne wird die ästhetische Komposition zu einem Mittel, das es den Betrachtern ermöglicht, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Ein schwieriges Thema verliert seine abschreckende Wirkung, wenn es so präsentiert wird, dass es zum Nachdenken anregt, ohne zu entfremden.

Dark in Dark, 2012 ©Erkan Özgen, Courtesy Galerie Zink
Ein schwieriges Thema verliert seine abschreckende Wirkung, wenn es so präsentiert wird, dass es zum Nachdenken anregt, ohne zu entfremden.
Glauben Sie, dass Kunst eine politische oder gesellschaftliche Veränderung bewirken kann? Oder ist sie mehr ein Medium der Reflexion als der direkten Veränderung?
Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Kunst unmittelbare Transformationen herbeiführt – doch sie schafft zweifellos Bewusstsein. Ein Kunstwerk kann Menschen zum Nachdenken anregen und sie dazu bringen, Dinge zu hinterfragen. Es kann einen Beitrag zu individuellen oder gesellschaftlichen Veränderungen leisten.
Mein Werk „Wonderland“, das die Auswirkungen von Krieg auf Kinder thematisiert, hat viele Menschen tief berührt. Solche Arbeiten haben das Potenzial, Perspektiven auf aktuelle politische Themen zu verschieben.

Erkan Özgen, Wonderland, 2016, Videoinstallation, © the artist, Courtesy Gall Zink
Letztlich liegt die wahre Kraft eines Werkes in der Geschichte, die es erzählt.
Sie arbeiten intensiv mit Video als Medium. Warum haben Sie sich für diese Ausdrucksform entschieden?
Das Medium Video besitzt eine kraftvolle Ausdruckssprache, da es Bewegung, Klang und Zeit vereint. Manche Themen lassen sich mit Malerei oder Skulptur nicht in derselben Intensität vermitteln. Video hingegen zieht die Betrachter:innen unmittelbar in die Erzählung hinein und ermöglicht eine direktere Erfahrung. Zudem ist der Prozess des Filmens für mich auch eine Form der Dokumentation. Ich kann in einem einzigen Moment einfangen, was ich sehe, höre und fühle.

Erkan Özgen, Living Pits, © the artist, Courtesy Galerie Zink
Gibt es technische oder medienbedingte Herausforderungen bei der Produktion Ihrer Werke?
Ja, insbesondere wenn ich in Krisengebieten oder unter schwierigen Bedingungen arbeite, begegne ich erheblichen technischen Herausforderungen. Die Drehbedingungen sind oft alles andere als ideal, manchmal stehen mir nur eine Kamera und minimalste Ausrüstung zur Verfügung. Doch genau diese Einschränkungen zwingen mich dazu, neue Wege in der Produktion zu finden. In der Videokunst sind technologische Ressourcen nicht immer im Überfluss vorhanden – doch letztlich liegt die wahre Kraft eines Werkes in der Geschichte, die es erzählt.
Die Videokunst ist im Kunstmarkt ohnehin eine Herausforderung. Wenn dann noch politische oder soziale Themen hinzukommen, wird es noch komplexer.
Wie sieht es mit dem finanziellen Aufwand für Videoproduktionen aus? Ist das nicht eine recht kostspielige Kunstproduktionsform?
Ja, die Videoproduktion ist zweifellos teurer als viele andere Kunstformen. Es gibt zahlreiche technische Komponenten – Kameras, Tonaufnahmen, Schnitt – die Kosten verursachen. Wenn Drehorte weit entfernt liegen, kommen zusätzliche Ausgaben hinzu. Allerdings ermöglichen technologische Fortschritte mittlerweile beeindruckende Werke mit vergleichsweise einfacher Ausrüstung. Am Ende zählt nicht nur die Technik, sondern vor allem, wie der Inhalt vermittelt wird.
Ihre Werke sind gesellschaftspolitisch geprägt. Wie beeinflusst diese inhaltliche Ausrichtung die Marktgängigkeit Ihrer Kunst?
Die Videokunst ist im Kunstmarkt ohnehin eine Herausforderung. Wenn dann noch politische oder soziale Themen hinzukommen, wird es noch komplexer. Dennoch wächst in den letzten Jahren das Interesse von Sammlern und Museen an diesem Medium. Aber ich richte meine Arbeit nicht nach kommerziellen Erwartungen aus – meine Motivation bleibt die Geschichte, die ich erzählen will.

Erkan Özgen, Living Pits, © the artist, Courtesy Galerie Zink
Video- und Medienkunst stellt besondere Herausforderungen in Bezug auf Sammlungen und Präsentation. Wie reagieren Sie darauf als Künstler?
Ja, die Ausstellung und Integration von Videokunst in Sammlungen bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich. Sie erfordert technische Ausstattung, und das Publikum muss bereit sein, sich für eine bestimmte Dauer mit dem Werk auseinanderzusetzen. Daher ist es essenziell, über Präsentationsformate nachzudenken. Galerien, Museen und Sammler beschäftigen sich zunehmend mit der Archivierung und Bewahrung von Videokunst, und es gibt in diesem Bereich bereits bedeutende Entwicklungen.
Das Medium Video hat eine besondere Materialität – oder vielmehr eine Immaterialität. Wie gehen Sie als Künstler damit um?
Videokunst unterscheidet sich grundlegend von traditionellen Kunstformen. Sie verkörpert Bewegung und Fluidität statt Stillstand. Das beeinflusst auch die Wahrnehmung durch das Publikum. Ein Gemälde kann man in einem Augenblick erfassen, während ein Video eine bestimmte Zeitspanne erfordert. Ich finde, gerade dieser Aspekt macht die Videokunst einzigartig und kraftvoll.
Sie haben international ausgestellt – gibt es Unterschiede in der Rezeption von Medienkunst zwischen verschiedenen Ländern oder Regionen?
Ja, es gibt auf jeden Fall Unterschiede. In manchen Ländern ist Medienkunst bereits fest etabliert, während sie in anderen noch als relativ neues Feld gilt. In Europa zum Beispiel hat Videokunst schon lange einen bedeutenden Platz in der zeitgenössischen Kunstszene, mit großen Museen und Biennalen, die viel in dieses Medium investieren. In Regionen wie dem Nahen Osten oder der Türkei hingegen wächst das Interesse an Videokunst erst seit kurzer Zeit. Solche kulturellen Unterschiede beeinflussen, wie Kunst wahrgenommen wird und welche Themen besonders viel Aufmerksamkeit erhalten.

Erkan Özgen, Harese, 2020 © the artist, Courtesy Galerie Zink
Universalmuseum Joanneum - Kunsthaus Graz
Lendkai 1, 8020 Graz
Österreich