Gelungene Konzepte aus dem Salzburger Kunstverein

Was können Ausstellungen Netflix entgegensetzen?

Was können Ausstellungshäuser Netflix und Kino entgegensetzen? Wie lässt sich die Ermüdung vermeiden, die sich bei videolastigen Ausstellungen schnell einstellt? Wir haben bei „Film as Muse“ im Salzburger Kunstverein – wo das Kuratorentrio Budak, Kealy und de Souza erstmals das ganze Künstlerhaus von oben bis unten bespielt – ein neues Modell entdeckt. Während wir dabei das Fürchten gelernt haben, sind zwei Spielfilmlängen vergangen wie im Flug.


„Film as Muse“ im Salzburger Kunstverein ist keine Ausstellung, die man sich an Halloween alleine und bei Einbruch der Dunkelheit ansehen sollte. Obwohl das Unheimliche offiziell nur eines der Ausstellungsthemen ist, gehören die entsprechenden Werke zu den einprägsamsten einer Ausstellung, die sich mit dem Einfluss des Kinos auf die bildende Kunst beschäftigt und dabei selbst vor allem Filme zeigt. „Haunting“ (2020), ein Zweikanalfilm, in dem John Menick genretypische Szenen von Filmen zusammenschneidet, in denen frischbezogene alte Häuser ihren neuen Bewohner*innen unheimlich werden, passt besonders gut in den Gründerzeitbau des Künstlerhauses von 1885. Ist es doch genauso alt und verwinkelt wie die Häuser in den Filmen und hat noch mehr versperrte Türen. Dass der Film auf einem Screen im Flur über dem Restauranteingang gezeigt wird, tut hier der Intensität keinen Abbruch und ich muss immer wieder den Kopfhörer ablegen, um mich zu vergewissern, dass nicht plötzlich jemand hinter mir steht.

Erstmals dehnt sich hier eine Ausstellung im ganzen Künstlerhaus aus. Korridore, Treppenhäuser, Winkel und Kammern, die auch wiederkehrende Besucher*innen noch nicht kennen, werden zugänglich. Unheimlich wird es auch, weil manche Werke nur zu bestimmten Zeiten hörbar sind und deshalb immer wieder Stimmen und seltsame Geräusche aus verschiedenen Ecken und Winkeln des Hauses dringen.

„Nur im Ausstellungshaus!“

Hugo Canoilas vierteiliges Werk „Under the Volcano ist gar auf zwei Stockwerke und im Treppenhaus verteilt. Jedes Puzzleteil adressiert dabei einen anderen Aspekt der Romanvorlage von Malcom Lowry, inklusive psychoanalytischer Tiefendimension. Dabei sitzt man entweder in einem Korridor am Boden, auf einer Bank in einem dunklen Raum oder hört das Werk im Vorübergehen. Anders als die meisten Werke der Ausstellung, ist Canoilas Beitrag zu „Film as Muse“ dabei eigentlich keine Hommage ans Kino: Mit seiner Inszenierung will Canoilas sein Bezugswerk, John Hustons Kinofilm von 1984, übertreffen. Denn dieser werde den psychologischen Tiefenschichten, literarischen Qualitäten und politischen Kommentaren der Romanvorlage nicht gerecht. Nicht nur Canoilas Selbstbewusstsein, sondern auch die Kombination von Film- und Raumerfahrung bei „Film as Muse“ könnten für das Ausstellungskino, das bislang den Streamingdiensten im Krieg um Aufmerksamkeit permanent unterliegt, wegweisend werden. Vielleicht ließe sich damit gar der Kampagne „Nur im Kino!“ ein selbstbewusstes „Nur im Ausstellungshaus!“ entgegensetzen?

Hugo Canoilas, Under the Volcano, 2008-2016, 5 Video Kanäle und zwei Audio-Kanäle, Stoff und Farbe, courtesy of the artist & Galerie Martin Janda, Wien. Ausstellungsansicht „Film as Muse“, Salzburger Kunstverein 2021, Foto: Andrew Phelps, © Salzburger Kunstverein.

Dafür müsste natürlich die künstlerische Beschäftigung mit Kino mitziehen, die meiner Erfahrung nach regelmäßig hinter dem zurückbleibt, was gutes Kino selbst leistet, denn gute Konzepte wiegen schlechteren Erzählungen und weniger Emotionen nicht immer auf, zumal die Werke wichtiger Filmemacher*innen nicht automatisch oberflächlicher sind als die bildender Künstler*innen. Insofern muss man es dem Kuratorenteam Adam Budak, Séamus Kealy und Bernado José de Souza hoch anrechnen, dass blutleere dekonstruktive Gesten wie die Joseph Beuys‘, der für sein Werk „Das Schweigen“, 1973 die Filmspulen des gleichnamigen Films von Ingmar Bergman verzinkt und damit tautologisch zum Schweigen bringt, hier selten sind. Wie „Ekel“, 2020, der Beitrag von Monica Bonvicini, für den sie Szenen des gleichnamigen Films von ihrem iPad Screen abfotografiert und sich dabei teilweise darin spiegelt, bietet Beuys immerhin eine mediale Abwechslung in einer filmlastigen Ausstellung. Relevanter ist dennoch Oisin Byrnes Beschäftigung mit „Ekel“ in seinem Filmwerk „Bouncer“, 2021, in dem er die wissenschaftliche Ekelforschung künstlerisch aufbereitet und dabei die soziale Komponente einer nur scheinbar unmittelbaren Empfindung unterstreicht.

Joseph Beuys, Das Schweigen, 1973, fünf Filmspulen des gleichnamigen Films von Ingmar Bergmann 1962, verzinkt in Box. Auflage 50 + 10 H.C., Signatur: „Beuys“, Nummerierung und Titel in Metallplaketten auf den Spulen eingeprägt. Literatur: Schellmann 80, Edition René Block, Berlin und New York, je Spule 4 cm, Durchmesser 38 cm, courtesy Sammlung Th. Konzett, Wien. Ausstellungsansicht „Film as Muse“, Salzburger Kunstverein 2021, Foto: Andrew Phelps, © Salzburger Kunstverein.

Ähnlich diskursiv verfährt Johan Grimonprez in „Every Day Words Disappear / Michael Hardt on the Politics of Love“, 2016, wo er Ausschnitte eines Interviews mit dem Literaturwissenschaftler Michael Hardt mit Jean-Luc Godards Science-Fiction Film „Alphaville“, 1965, kombiniert, in dem bestimmte Worte und die entsprechenden Gefühlsäußerungen nach und nach verboten werden. Hardt erklärt, dass Wörter wie „Demokratie“ zu sehr missbraucht wurden, um noch produktiv zu sein und schlägt vor, eine neue politische Theorie auf den Begriff der Liebe aufzubauen. Beindruckend ist auch, dass bei all diesen Filmen trotzdem keine „Filmfatigue“ entsteht, wie ich sie bei anderen Videoausstellungen erlebt habe. Das ist nicht zuletzt der räumlichen Verortung und Inszenierung geschuldet: Die Mehrzahl der Filme werden nicht in dunklen Raum mit Leinwand gezeigt; die Sitzgelegenheiten variieren vom Kissen unter einer Treppe über Plastikstühle bis hin zu klassischen Bänken oder Barhockern; Sound kommt manchmal aus gerichteten Lautsprechern, manchmal aus Kopfhörern oder ist im ganzen Raum zu hören. Mir ist so bis zum Schluss die Freude an der Entdeckung geblieben und ehe ich mich versah waren zwei Spielfilmlängen um. Ein Modell, das es nur im Ausstellungshaus gibt und das Schule machen sollte.

Johan Grimonperez, Every Day Words Disappear | Michael Hardt on the Politics of Love, 2016, digital, Farbe & s/w, stereo, 15 min, englisch/französisch, courtesy of the artist. Ausstellungsansicht „Film as Muse“, Salzburger Kunstverein 2021, Foto: Andrew Phelps, © Salzburger Kunstverein.

Salzburger Kunstverein

Künstlerhaus, Hellbrunner Straße 3, 5020 Salzburg
Österreich

Film as Muse

bis 05.12.2021

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