Jüdisches Museum Wien

Von Meinungen und Missverständnissen

Das Jüdische Museum Wien hinterfragt Klischees und Vorurteile über Jüdinnen und Juden. Im Vordergrund steht der selten verhandelte philosemitische Blick der Mehrheitsgesellschaft.


Was haben eine Handtasche von Chanel, Andy Warhols Einstein-Porträt und Beyoncés Hosenanzug von der Stange gemeinsam? Es ist wahrlich eine wilde Zusammenstellung, die nicht sofort auf ihr Sujet schließen lässt. Was nach einer ausgeprägten Sammlerwut klingt, ist eigentlich eine detailliert und fein kuratierte Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, die erste unter der Leitung der neuen Direktorin Barbara Staudinger. Mit „100 Missverständnissen über und unter Juden“ beschäftigt man sich hier. In insgesamt sieben Kapiteln werden Klischees und Stereotypen über das Judentum in einem zeitgenössischen wie historischen Kontext verhandelt.

Man sollte wohl nicht humorbefreit sein, um sich in den Ausstellungsräumen im ersten Stock zurechtzufinden, Parodie und Zynismus sind hier bewusst in den Vordergrund gerückt. Um Missverständnisse aufzuspüren, zu hinterfragen oder auch nur zu begegnen, bedient man sich einem Narrativ, das bisher selten näher beleuchtet wurde: dem Philosemitismus. Die Romantisierung und manchmal sogar Glorifizierung des Judentums stehen im Fokus, denn: Es seien häufig auch positiv konnotierte Vorurteile, die Jüdinnen und Juden immer noch auferlegt werden, heißt es im Begleittext. Chefkurator Hannes Sulzenbacher und sein Team begegnen diesen künstlerisch sowie historisch: „Hi Jewboy“, grüßt eingangs eine blaue Figur im DIN-Format einen gelben Davidstern, „Hi“ antwortet der Davidstern knapp, denn er wurde bereits mit Zuschreibungen überhäuft.

Jedes ausgestellte Objekt steht programmatisch für ein Vorurteil, ein Missverständnis. Einstein, Kafka, Freud und Buber aus Warhols Serie „Ten Portraits Jews of the Twentieth Century“ verbildlichen das seit dem 19. Jahrhundert kursierende Gerücht des „schlauen Juden“, die goldene Chanel-Handtasche mit den aufgeklebten Lippenstiften von Rhonda Lieberman und Cary Leibowitz nimmt die Erzählung der „Jewish Princess“ aus den USA auf die Schippe. Und eine Replik des hellblauen Hosenanzugs, den Beyoncé 2014 bei ihrem Besuch im Anne-Frank-Haus getragen hat, thematisiert die Dezenz und Demut, mit der man dem Holocaust wohl gedenken solle – und die damit einhergehende Selbstdarstellung, die vor allem Prominente nutzen und am Rücken der Erinnerungskultur austragen.

Cary Leibowitz, Do These Pants Make Look Me Jewish?, 2001 © Cary Leibowitz; Photo Courtesy The Artist New Directions

Man scherzt also nicht nur, sondern übt auch vielschichtige Kritik: „Anti-antisemitische“ Institutionen, wie Staudinger sie nennt, etwa jüdische Museen, seien ebenso für die Verklärung und Romantisierung des Judentums verantwortlich wie die amerikanische Popkultur oder historische Erzählungen. Auch die eigene Museumsarbeit wird in der Ausstellung ins Kreuzverhör genommen und kritisch hinterfragt. Der Anspruch ist aber nicht, Klischees aufzulösen oder gar zu reproduzieren, sondern viel mehr, eine wertfreie Auseinandersetzung zu ermöglichen. 

Ausstellungsansicht © Ouriel Morgensztern

Ausstellungsansicht © Ouriel Morgensztern

Ausstellungsansicht © Ouriel Morgensztern

Ausstellungsansicht © Ouriel Morgensztern

Ausstellungsansicht © Ouriel Morgensztern

Arye Wachsmuth und Sophie Lillie, „Endsieger sind dennoch wir“, Lichtinstallation, 2021 © Foto: Arye Wachsmuth Aus der Rauminstallation Im Schatten der Verdrängung, Arye Wachsmuth und Sophie Lillie, 2021 im Rahmen der Ausstellung Dispossession im Künstlerhaus, 2021

Jüdisches Museum Wien

Dorotheergasse 11, 1010 Wien
Österreich

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