Lentos Kunstmuseum Linz

Verdiente Würdigung für ermordete Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis

In der Zusammenschau ihres Lebenswerkes im Lentos wird der Künstlerin 78 Jahre nach ihrer Ermordung durch die Nationalsozialisten im Konzentrationslager Auschwitz der ihr gebührende Stellenwert in der Geschichte der Kunst und Kunstpädagogik zuteil.


Waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten einzelne Aspekte, wie die Rolle von Friedl Dicker-Brandeis als Wegbereiterin der modernen Kunstpädagogik, ihre Entwürfe für Möbel und Wohnungen im Umfeld von Adolf Loos oder ihre marxistischen Fotocollagen Thema einzelner Forschungsarbeiten, so gelingt es der Ausstellungskuratorin Brigitte Reutner-Doneus im großen Saal des Lentos einen facettenreichen Bogen über das Leben der mit 46 Jahren verstorbenen Künstlerin zu spannen.

Zu sehen ist nahezu ihr gesamtes Werk, das sich im Jüdischen Museum Prag, der Kunstsammlung der Universität für Angewandte Kunst Wien und bei dem Wiener Architekten Georg Schrom befindet. Er zeichnet auch für die Ausstellungsgestaltung verantwortlich und nimmt darin Bezug auf die Farbkonzepte der auch als „Raumgestalterin“ tätigen Künstlerin.
Friedl Dicker wurde 1898 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Sie besuchte die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt und die Textilklasse der Kunstgewerbeschule. Dort erhielt sie bei Franz Cižek erste wegweisende Impulse zur Reformpädagogik. Sie folgt Johannes Itten, dessen Privatschule sie in Wien besuchte, ans Bauhaus nach Weimar. Dort galt sie bei Walter Gropius und Paul Klee als eine der talentiertesten Schülerinnen. Mit ihrem Studienkollegen Franz Singer, mit dem sie auch eine Beziehung hatte, betrieb sie das Atelier Singer-Dicker. Gemeinsam statteten sie Wohnungen und Geschäftslokalen aus. Die Entwürfe erinnern an geometrische Formkompositionen und sind Zeitdokumente eines Lebensstils.  Aufgrund privater Spannungen schlossen sie das Atelier 1931.

Ausstellungsansicht, Friedl Dicker-Brandeis. Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin, 2022
Lentos Kunstmuseum Linz
Foto: Reinhard Haider

Im selben Jahr trat Friedl Dicker der kommunistischen Partei bei. Nach einer mehrmonatigen Haftstrafe, die aufgrund des Verdachtes des Fälschens von Pässen verhängt wurde, übersiedelte sie 1933 nach Prag. Dort beschäftigte sie sich mit der Psychoanalyse. Erst als 38-jährige nach der finanziellen Absicherung durch ihre Heirat mit Pavel Brandeis begann sie zu malen. Ihre Bilder zeigen ein Abbild der Welt um sie. Sie wendet sich dem Figurativen zu und malt Portraits, Landschaften und Stillleben.

Aufgrund der zunehmenden rassistischen Verfolgung übersiedelte sie nach Nordböhmen. 1942 erfolgte die Deportation ins Ghetto Theresienstadt. Dort unterrichtete sie als Lehrerin im Kinderheim L-410. Mit vielfältigen künstlerischen und pädagogischen Methoden regte sie die Kinder an, aus ihrem Erfahrungsschatz zu malen. Inmitten des perspektivenlosen Umfeldes im Ghetto, das von Verzweiflung und Entbehrung geprägt war, fand sie im Unterrichten so berichten es Weggefährtinnen in Filmdokumenten ihre Erfüllung. Im Oktober 1944 wird Friedl Dicker-Brandeis nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

Friedl Dicker-Brandeis, Eine negative und eine positive Form eines Kraftfeldes, 1941, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst, Wien

So sehr die Kinderzeichnungen aus Theresienstadt im letzten Raum der Ausstellung traurig und betroffen machen, so ist es ein großes Verdienst der Schau und des umfassenden Ausstellungskataloges über diese Betroffenheit hinaus den Blick auf eine herausragende Frau und starke Persönlichkeit zu lenken. Dass diese Würdigung im großen Saal des Lentos Kunstmuseums, das nur wenige Autominuten vom ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen entfernt ist, erfolgt, gibt Friedl Dicker-Brandeis und den Kindern, mit denen sie in Theresienstadt als Kunstpädagogin ihre letzte Lebensphase verbrachte, ein Stück ihrer Würde zurück.

Die Schau wird in modifizierter Form ab Oktober 2022 in der Zacheta - National Galerie of Art in Warschau zu sehen sein.

Lentos Kunstmuseum

Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz
Österreich

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