Unsere Tipps abseits der Biennale
Die Biennale zieht alle zwei Jahre Kunstliebhaber:innen aus aller Welt nach Venedig. Doch auch abseits dieser großen Ausstellung hat Venedig noch viel mehr zu bieten. Abseits der Biennale gibt es zahlreiche versteckte Schätze und spannende Ausstellungen, die auf keinen Fall verpasst werden sollten. PARNASS hat Ihnen eine Liste mit Tipps zusammengestellt, um Ihren Aufenthalt in Venedig noch kunstvoller zu gestalten.
Pierre Huyghe
Punta della Dogana
Es ist dunkel, sehr dunkel. Beim Eintreten in Pierre Huyghes Ausstellung in der Punta della Dogana muss sich das menschliche Auge erstmal an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Aus der leeren Dunkelheit erscheint als Erstes eine Frauengestalt, ihre Gesichtszüge sind verdeckt und ihre Motorik passt auf irritierende Weise nicht zu einer erwachsenen Person. „Liminal“, das der Ausstellung titelgebende Werk, zeigt die Verkörperung einer nicht-menschlichen Intelligenz. Huyghes neue filmische Werke sind KI-gesteuert, überall in der Ausstellung sind Sensoren zu finden, die Informationen im Raum sammeln und in die laufende Präsentation integrieren, zum Beispiel über die Bewegungen der Besucher. So sind die Entwicklung und die Gesten der weiblichen Körperhülle auf der Videoleinwand abhängig von den sich stets ändernden Umgebungsfaktoren.
Die Ausstellung präsentiert zahlreiche Schwellenzustände, die unsere Wahrnehmung der Realität aus einer anderen Perspektive als der menschlichen infrage stellen. In diesem Fall ist nicht nur die Werkauswahl aus der Pinault Collection hochkarätig, sondern auch die technisch erstklassige Präsentation.
bis 24. November 2024
Julie Mehretu
Palazzo Grassi
Der Palazzo Grassi scheint gerade recht zu sein für Julie Mehretus Bildwelten. Direkt an Venedigs Canale Grade gelegen, beeindruckt er mit seiner über zwei Stockwerke reichenden Halle und den vielen architektonischen Durchblicken. Der Eigentümer des Palazzo, Francois Pinault, hat bereits vor 20 Jahren Arbeiten der in New York lebenden Künstlerin erworben.
Julie Mehretus Bildwelten aus den letzten 25 Jahren gehen unter die Haut. Da hängen riesige Leinwände, deren Ästhetik beeindruckt, deren Inhalt man aber erst bei genauem Hinsehen verstehen kann. Einige übereinander gearbeitete Schichten werden erkennbar, ausgehend von Architektur, von Planzeichnungen, von Orten mit Bezügen wie Demonstrationen oder Umweltkatastrophen. Inhaltlich beschäftigt sich Julie Mehretu unter anderem mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, dem Arabischen Frühling, dem Irak- und Syrienkrieg.
bis 6. Jänner 2025
Christoph Büchel – Monte Pietà
Fondazione Prada
Ca' Corner della Regina
Der Schweizer Künstler Christoph Büchel ist zurück in Venedig und verwandelt die Fondazione Prada in ein bankrottes Pfandhaus. Dieser Mix aus Bank und Pfandhaus bildet einen der Referenzrahmen für Büchels Installation, ein anderer ist die Finanz- und Wirtschaftsgeschichte Venedigs, aber auch das moderne schuldenbasierte Finanzsystem, denen er einen Spiegel vorhält, und wohl auch der Kommerzialisierung des Kunstsystems. Dass dies in der Fondazione Prada geschieht, den Ausstellungsräumlichkeiten einer Marke, die als Luxus-Label in den Goldenen Quartieren der Metropolen zu Hause ist, ist nicht ohne Ironie. Der Palazzo wurde von Büchel zum „House of Diamonds: Queen of Pawns“, umgewidmet, in dem von Kleidung bis Hausrat, von Elektroschrott bis zum Kunstwerk, ja bis zum Gebäude selbst scheinbar alles abverkauft werden soll.
bis 24. November 2024
Eduard Angeli – Silentium
Fondazione Vedova
Die Fondazione Vedova zeigt eine Einzelausstellung des österreichischen Malers Eduard Angeli. „Silentium“ wurde von Philip Rylands kuratiert, dem langjährigen Direktor der Peggy Guggenheim Collection Venice und Direktor des Museums Four Arts in Palm Beach. Die Schau zeigt Werke der letzten 20 Jahren, die bis auf eines, das Fort Alexander in der Nähe von St. Petersburg zeigt, Venedig zum Inhalt haben. Es sind keine Veduten der Stadt, sondern sie zeigen das „Venezia minore“, wie Angeli es nennt: die rationalistischen Gebäude aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die man am Lido findet, Häuser auf Malamocco, Badehütten, Leuchttürme und Industriebauten. Doch ist es kaum möglich, die Orte zu benennen, denn Angeli nimmt sich von der Realität nur das heraus, was seine Aufmerksamkeit erregt und letztlich den Impuls für die Bildkomposition gibt.
bis 24. November 2024
Karine N'guyen Van Tham und Parul Thacker – Per non perdere il filo
Palazzo Vendramin Grimani
Die Fondazione dell’Albero d'Oro im Palazzo Vendramin Grimani zeigt eine sehenswerte Ausstellung, kuratiert von der renommierten Ausstellungsmacherin Daniela Ferretti. Die Objekte der französisch-vietnamesischen Künstlerin Karine N'guyen Van Tham und der indischen Künstlerin Parul Thacker fügen sich mit großer Sensibilität und Prägnanz in die historischen Räume des venezianischen Palastes ein. Karine N'guyen Van Tham verbindet orientalische Stoffe mit Naturmaterialien zu Objekten, die an Kopfbedeckungen fahrender Geschichtenerzähler vergangener Zeiten erinnern. Ihre zarten, poetischen Werke bilden einen Kontrast zu den ausdrucksstarken und spirituellen Werken von Parul Thacker, die tief in der Kultur ihres Herkunftslandes verwurzelt sind.
bis 24. November 2024
FROM UKRAINE: DARE TO DREAM
Palazzo Contarini Polignac
Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine 2022 beschäftigt sich die Victor Pinchuk Foundation damit welche Rolle Kunst angesichts des Konflikts spielen kann. In Venedig wird nun in einem von oben bis unten bespielten Palazzo eine wundervolle Zusammenstellung von 22 Stimmen der Kunst gezeigt. David Claerbout lässt einen friedlichen Garten in explosivem Licht aufgehen, Nikita Kadan zeigt in der Gemäldeserie „Silhouette“, wie von russischen Soldaten beschädigte Monumente als stumme Zeugen mit angeschlagenem Antlitz im öffentlichen Raum verharren, und Otobong Nkanga befragt mit textilen Webarbeiten die zahllosen Aspekte, die der Mensch in die (Kriegs-)Landschaften einschreibt. Unfassbar berührend ist die mehrteilige Videoarbeit „You Shouldn’t Have to See This“ von Yarema Malashchuk und Roman Khimei. Sie filmten schlafende Kinder, die nach Russland deportiert wurden und später in die Ukraine zurückkehrten.
bis 1. August 2024
Jaume Plensa
Chiesa di San Gallo
In seiner Intervention in der Chiesa di San Gallo spielt der spanische Künstler Jaume Plensa (*1955) mit den Prinzipien der Dualität und reflektiert dabei die Widersprüchlichkeiten der komplexen Gegenwart. So bezieht seine gleichnamige Ausstellung Inspiration vom doppelgesichtigen römischen Gott Janus, der Gottheit von Anfang und Ende. Mittels sehenswerter neuer Werke aus Alabaster und Glas inszeniert Plensa in einer Kirche aus dem 15. Jahrhundert einen meditativen Ort – einen Ruhepol mitten im Chaos unserer Zeit.
bis 30. September 2024
Tone Fink – Fünferbandegestühl
Tone Finks „Fünferbandegestühl“ ist in einem der Skulpturenparks zu sehen, die man am Weg zu den Giardinis besuchen kann: eine Sitzskulptur aus farbig gefasstem Beton, die spielerisch benutzbar ist und je nachdem wie man sich hinsetzt, verschiedene Ausblicke in die Umgebung ermöglicht.
bis 24. November 2024
Eva Jospin
Museo Fortuny
Neben der Dauerausstellung wird das Museo Fortuny auch für zeitgenössische Interventionen genutzt. Im aktuellen Biennale-Jahr ist Pariser Eva Jospin (*1975) zu Gast. In ihrer begehbare Installation „Galleria“ – treffen Natur und Hochkultur aufeinander. Aus zahllosen Kartonstücken sowie Holz und anderen Materialien baute ein Astgeflecht nach, das man durchschreitet, um in dessen Inneren sodann eine Renaissance-Architektur vorzufinden, in der kleinere Naturstudien ausgestellt sind. Unendlich viele Verweise und Details stecken in dieser Installation, die in der Ausstellung mit dem Titel „Selva“ um weitere Arbeiten ergänzt wird. Alle zusammen führen die Beschäftigung Jospins mit der Kulturgeschichte Italiens und der hauseigenen Sammlung Fortuny zusammen.
bis 24. November 2024