Palais de Tokyo

Ubuntu – „Ich bin, denn wir sind“

Auch Paris rockt dekolonial. Doch statt wie heuer allerorten zur Expedition auf den schwarzen Kontinent zeitgenössischer Kunst einzuladen, will Marie-Ann Yemsi mit „Ubuntu, un rêve lucide neue Formen des Wissens, Denkens, Träumens erschließen. Unser Pariser Autor sprach mit der Kuratorin.


PARNASS: Was bedeutet „Ubuntu“?

Marie-Ann Yemsi: Der Begriff aus den Bantu-Sprachen ist schwierig übersetzbar …

P: ähnlich wie das deutsche Wort „Heimat?

MAY: Ja, vielleicht. Fassen wir ihn als „Menschlichkeit in Gegenseitigkeit, dann geht es um den Einzelnen in der Gemeinschaft. Als Weltverhältnis der Menschen prägt Ubuntu alltägliches, künstlerisches, politisches Handeln. Das wissen wir seit Nelson Mandela oder schon seit Martin Luther Kings „I have a dream. Deshalb spreche ich vom „luziden Traum“ – in ihm liegt eine heilende Kraft, Gegenpol zum zerstörerischen Wahnsinn im Realen. Mir geht es aber ums Allgemeinmenschliche, nicht um kontinentale Identitäten.

P: Mitten im anhaltenden Afrika-Fieber nehmen Sie Herkunft nicht als Bezugspunkt. Wieso?

MAY: Es geht mir immer um zeitgenössische Kunst. Zuerst und vor allen Dingen. Die 19 eingeladenen Kunstschaffenden, darunter Nolan Oswald Dennis, Frances Goodman, Richard Kennedy, Grada Kilomba oder Turiya Magadlela, leben auf je eigene Weise Ubuntu als Schaffensprinzip, Resonanzfigur oder Fragehorizont. Statt nach der Herkunft sollte man lieber fragen, wieso ein so wichtiges Denkmodell zur Solidarität zwischen allen Lebewesen hier noch immer unbekannt ist – der französische Universalismus ist „color blind“!

Richard Kennedy, Prophetess 3, 2020, sculpture, Acrystal et acrylique, 45 x 33 x 26 cm, Courtesy de l’artiste & Peres Projects (Berlin), Crédit photo : Matthias Kolb

P: Was machen Sie mit Ihrer Ausstellung anders?

MAY: Wir hängen nicht einfach Werke an die Wände. Wir öffnen einen gastlichen Raum der Begegnung, zur Auseinandersetzung mit diesen sehr weißen Wänden der Kunst-Institutionen. Deshalb habe ich im Zentrum 200 Quadratmeter für Kudzanai Chiurais „Library of Things We Forgot to Remember“ frei gemacht. Er sammelt Dokumente, Plakate, Schallplatten aus 50 Jahren musikalischer und politischer Bewegung seit den Unabhängigkeiten. Dazu hat er die Kunstkritikerin und Poetin Khanya Mashabela eingeladen, die 140 Alben, zahlreiche Plakate und andere Dokumente, unter anderem aus der LGBTQ+-Bewegung, ausgewählt hat. Während Veranstaltungen kann das Publikum aktiv abtauchen in eine gemeinsame Geschichte – zur Rekonstruktion, nicht zur Anklage.

Weiter lesen Sie das Interview im PARNASS 04/2021.

Grada Kilomba, Illusions Vol. III, Antigone, 2019, photogramme, Courtesy de l’artiste, Maxim Gorki Theater (Berlin) & Goodman Gallery (Le Cap, Johannesburg, Londres)

PALAIS DE TOKYO

13, avenue du Président Wilson, 75 116 Paris
Frankreich

Ubuntu, a lucid dream

bis 20.2.2022

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