Tomás Saraceno im Palazzo Strozzi, Florenz

Tomás Saraceno präsentierte in Florenz seine Kooperation mit dem Weingut Ornellaia. Ihr Erlöls kommt der Guggenheim Foundation zugute.

Die Sonne spielt im Werk von Tomás Saraceno seit jeher eine wichtige Rolle. Jetzt fördert der Künstler mit einer Kooperation ein Programm der Guggenheim Foundation, das Kunst für Sehbehinderte erfahrbar macht.


Sonnenenergie spielt im Werk von Tomás Saraceno schon lange eine wichtige Rolle. 2007 ließ der gebürtige Argentinier mit Atelier in Berlin im kolumbianischen Medellín sein Museo Aereo Solar in die Luft steigen, einen Ballon aus zusammengeklebten Plastiktüten, der nur durch die natürlich erwärmte Luft im Innern der Ballonhülle empor getragen wurde. 2015 rief Saraceno die Aeroscene-Stiftung ins Leben. Das Aerozän ist seine Vision eines Zeitalters, das ohne fossile Brennstoffe, ohne Helium und übrigens auch ohne Solarzellen (für die Silizium benötigt wird) auskommt und stattdessen auf die pure, nachhaltige Kraft der Sonnenwärme setzt.


Kooperation mit Ornellaia und der Guggenheim Foundation

Seine Idee ist unter dem Blickwinkel des Rohstoffverbrauchs noch radikaler, aber auch zugleich wohl unrealistischer als die des Solarflug-Pioniers Bertrand Piccard, der 2012 mit einem von Solarzellen angetriebenen Flugzeug um die Erde flog. Saracenos letzter Flugversuch war sogar durch eine Pilotin besetzt und fand vor rund vier Wochen, am 25. Januar 2020, in der argentinischen Salzwüste statt. Die bemannte Luftskulptur stellte mehrere Luftfahrtweltrekorde auf.

Der Ort war nicht zufällig gewählt. In den Salinas Grandes bereiten Bergbaukonzerne den Abbau von Lithium vor, jenem Rohstoff, der für die Batterien von E-Autos gebraucht wird. Für Saraceno ist auch dies ein Raubbau an der Natur. Außerdem verbraucht der Lithiumabbau große Mengen Wasser. Die dort lebende indigene Bevölkerung, der damit die Lebensgrundlage entzogen wird, beteiligte sich denn auch an dem Kunstprojekt in der Salzwüste. Von der Sonne als Treibstoff bis zur Sonne als Lebensspender ist es kein weiter Weg. Sonnenlicht ermöglicht jegliches Pflanzenwachstum auf der Erde und spielt auch im Weinanbau naturgemäß eine zentrale Rolle.

So kam es, dass der Künstler die Einladung des toskanischen Weinherstellers Ornellaia annahm, im Rahmen der jährlich ausgelobten Vendemmia d’Artista des Hauses die Weinflaschen eines Jahrgangs in Kunstwerke zu verwandeln. Der Jahrgang 2017 eignete sich besonders, weil er sehr von der Sonne geprägt war. Er erhielt daher den Beinamen „Solare“ (sonnig, strahlend).

Saraceno entwarf Etiketten mit den Phasen einer Sonnenfinsternis. Eine grell weiß und gelb leuchtende Korona umgibt den Mond, der sich zwischen Erde und Sonne geschoben hat. Der Künstler war anwesend, als die Ergebnisse jetzt im Florentiner Palazzo Strozzi vorgestellt wurden und Axel Heinz, der Direktor des Weinguts, beschrieb, vor welchen Herausforderungen ein Winzer im Zeichen des Klimawandels steht.

Tomás Saracenos Installation Thermodynamic Constellation im Innenhof des Florentiner Palazzo Strozzi. Drei ballonartige Sphären erinnern an Saracenos Experimente mit Montgolfieren, die nur mittels Solarenergie in große Höhen fliegen können. Für Saraceno sind sie Metaphern „einer neuen Ära der Solidarität zwischen Mensch und Umwelt“. Foto: HC

Tomás Saracenos Installation Thermodynamic Constellation im Innenhof des Florentiner Palazzo Strozzi. Drei ballonartige Sphären erinnern an Saracenos Experimente mit Montgolfieren, die nur mittels Solarenergie in große Höhen fliegen können. Für Saraceno sind sie Metaphern „einer neuen Ära der Solidarität zwischen Mensch und Umwelt“. Foto: HC


Ein Jahr der Extreme

2017 war ein „Jahr der Extreme“, erklärte der Önologe. Es begann mit einem milden Winter. Der Frühling wurde durch einen jähen Kälteeinbruch knapp über der Frostgrenze unterbrochen. Es folgte ein Sommer, der laut Heinz einer der trockensten und heißesten in der Geschichte der Toskana war. Glücklicherweise wechselten sich die sonnigen Sommertage mit sehr kühlen Nächten ab, „einer essentiellen Voraussetzung für die Entwicklung olfaktorischer Komplexität“. Sareceno spielt mit all diesen Faktoren, in einer Pressemitteilung des Weinguts heißt es, der Künstler blicke „auf die Verbindung von Sonne und Erde“ und „wecke Aufmerksamkeit für die wichtigste Energiequelle unseres Planeten“.


Die Künstlerkollektion besteht aus 110 Doppelmagnums (3 Liter), 10 Imperial-Flaschen (6 Liter) und 1 Unikat im Salmanazar-Format (9-Liter-Flasche). An der Salmanazar mit dem Titel Pneuma 4.21X105 ist eine schwebende Sphäre befestigt, die an Saracenos Fliegende Gärten erinnert und Sinnbild seiner Utopie einer fliegenden Biosphäre ist. Die 100 Doppelmagnums werden Weinsammlern in der ganzen Welt angeboten, während die Salmanazar und die 6-Liter-Imperials in einer von Sotheby‘s durchgeführten Online-Auktion versteigert werden. Tomás Saraceno wird die Online-Auktion am 30. April im Rahmen einer Veranstaltung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York eröffnen. Die Versteigerung endet am 15. Mai 2020. Die Erlöse gehen an die Solomon R. Guggenheim Foundation zur Unterstützung des Programms Mind‘s Eye (Das geistige Auge), welches Blinden und Sehbehinderten Kunst nahebringt. Die Auktion 2019 mit einem Werk von Shirin Neshat brachte einen Erlös von immerhin 312 000 Dollar, der ebenfalls der Guggenheim Foundation zu Gute kam. Wie die Künstler vor ihm, hinterlässt Tomás Saraceno auch auf dem Gutsareal von Ornellaia an der Küste der Toskana eine Installation.


 

Parallel zur Präsentation der 12. Künstleredition des Weinguts eröffnete im Palazzo Strozzi eine große Werkschau Tomás Saracenos. Sie gibt einen umfassenden Überblick über sein Schaffen, von aerosolaren Ballons („Thermodynamic Constellation“), die ohne den Antrieb fossiler Brennstoffe im Innenhof des Palastes schweben bis hin zu Fliegenden Gärten aus handgeblasenen Glassphären und Pflanzen.

In einem Saal hängen an schwebenden Ballons Stifte, deren Patronen mit Tinte gefüllt sind, die wiederum aus dem Kohlenstoff gewonnen wurde, der die Luft von Mumbai erfüllt, einer der am meisten verschmutzten Städte der Welt. Der kreisende Stift hinterlässt auf einem Blatt Papier seine Kritzel. Saraceno nennt die Ergebnisse Aerographien oder Aeroglyphen. Abgedunkelte Räume sind Vitrinen mit Spinneninstallationen gewidmet („Webs of At-tent(s)ion“). Der Künstler beruft sich auf Forscher, die entdeckten, dass Spinnweben Computersimulationen eines kosmischen Netzwerks ähneln und damit universelle Aussagekraft besitzen. Es ist erstaunlich, welche gigantischen, komplexen und dreidimensionalen Gebilde achtbeinige Künstlerinnen wie die Nephila Senegalensis und die Nephila Inaugurata hervorbringen. Welchem geheimen Bauplan folgen die Konstruktionen dieser genialen Schöpferinnen?

Stets gibt der Künstler an, wann die Spinnweben entstanden und wie lange die jeweilige Spinne für ihre Kreation brauchte. Wohl kaum ein Betrachter kann sich der Bewunderung für diese filigranen Schöpfungen entziehen, die ihm außerhalb illuminierter Vitrinen in den eigenen vier Wänden wohl eher unbehaglich wären. Wer eine Flasche des Ornellaia 2017 öffnet, denkt vielleicht einmal mehr darüber nach, wie Sonne, Regen, Wind und Böden den rubinroten Tropfen geprägt haben – und dass wir uns alle in einem fein gesponnen Netz des ökologischen Gleichgewichts bewegen.

Tomás Saracenos „Fliegende Gärten“ im Palazzo Strozzi. Pflanzen haben für den Künstler kosmischen Charakter, da sie den Sauerstoff hervorbringen, der das Leben in der Atmosphäre möglich macht. In Vitrinen sind kunstvoll gewobene Spinnennetze zu bestaunen. Diese Kunstwerke der Natur gleichen, so Saraceno, Computersimulationen des kosmischen Netzwerks. Astronomen vermuten, dass das Universum von einem Netz aus Atomen und Gasen durchzogen ist, dessen „Fäden“ Milliarden von Lichtjahre lang sein können.

Tomás Saracenos „Fliegende Gärten“ im Palazzo Strozzi. Pflanzen haben für den Künstler kosmischen Charakter, da sie den Sauerstoff hervorbringen, der das Leben in der Atmosphäre möglich macht.  In Vitrinen sind kunstvoll gewobene Spinnennetze zu bestaunen. Diese Kunstwerke der Natur gleichen, so Saraceno, Computersimulationen des kosmischen Netzwerks. Astronomen vermuten, dass das Universum von einem Netz aus Atomen und Gasen durchzogen ist, dessen „Fäden“ Milliarden von Lichtjahre lang sein können.

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