Körbe, Schläuche, Verknüpfungen

Susanne Thiemanns geflochtene Welt

Susanne Thiemann, Kunstpavillon, Seerosenpreis 2024, Foto: Thomas Elsner

Die Münchner Künstlerin Susanne Thiemann entwickelt ihre prägnanten Objekte auf Basis einer der ältesten Handwerkstechniken der Welt – der Kunst des Webens und Flechtens. Wir haben die Künstlerin in München besucht.


 

Wir treffen Susanne Thiemann in ihrem Müncher Atelier, unweit des Kunstareals. Hier befindet sich ihre Korbmacherei, in der sowohl Körbe als auch eine Reihe von Thonet-Stühlen übereinandergestapelt sind. Ihre langjährige Mitarbeiterin Uschi Weindl restauriert gerade für einer der Stühle einen Sitz mit Wiener Geflecht. Die Werkstatt eröffnete die Künstlerin 1987, ein Jahr nach ihrer Meisterprüfung. Doch schon nach wenigen Jahren wurde die Korbmacherei auch zum Atelier.

Viele Jahre arbeitete sie parallel als Korbmacherin und als Künstlerin – und das sehr erfolgreich. Nun beginnt ein neuer Abschnitt: Der Werkstattbetrieb wird verkleinert und Susanne Thiemann übersiedelt endgültig ihr Atelier in das Kreativquartier in München, wo sie schon seit zweieinhalb Jahren einen Raum für ihre Arbeiten nutzt. Ein größerer Raum, der auch neue Möglichkeiten eröffnet.

Susanne Thiemann, Pull_Over_Chairs, 2011, Auböckstühle mit Geflecht, Foto: Moritz Partenheimer

Susanne Thiemann, Pull_Over_Chairs, 2011, Auböckstühle mit Geflecht, Foto: Moritz Partenheimer

 

Arbeiten mit Techniken aus der angewandten Kunst und mit textilen Materialien sind heute selbstverständlicher Teil der zeitgenössischen Kunstpraxis. Doch das war nicht immer State of the Art, es wurde erst in den letzten Jahrzehnten wieder neu entdeckt. Künstlerinnen wie Annette Messager, Rosemarie Trockel und Susanne Thiemann führten virtuos den Gemeinplatz weiblicher Kunstproduktion ad absurdum und setzten diesem mit ihren textilen Objekten anschaulich überzeugende künstlerische Entwürfe entgegen.

Es ist eine meditative Arbeit“, so Susanne Thiemann, „die Handgriffe sind präzise ausgeführt und ich folge beim Arbeiten dem Fluss und den Möglichkeiten des Materials.

Susanne Thiemann

Susanne Thiemann arbeitet mit widerständigen Materialien. Ihre ersten Objekte waren aus Peddigrohr, durch Zufall kam sie an ein riesiges Konvolut an Lagerbeständen von dünnen Kunststoffschläuchen bei einem Händler für Industriegummi – so viel, dass sie bis heute damit arbeitet. In den 1950er-Jahren bis hinein in die 1970er wurden damit Stühle verspannt oder geflochten – zum Teil in wilden Farben. „Der Reiz des Materials lag einerseits in seiner Biegsamkeit, die sich perfekt für meine Technik eignet, aber mich haben auch die typischen Farben der 1970er-Jahre, Rosa, Himmelblau, Schwarz angesprochen, die Assoziationen an meine Jugend hervorriefen“, so Thiemann. Eine Jugend, die geprägt war von der Hippie-Ära – Susanne Thiemann war ein Teil davon.

Susanne Thiemann, Hang On, 2023, Kunststoffgeflecht, Holz, Stahl, Expander, 300 x 68 x 65 cm, Foto: Thomas Elsner

Susanne Thiemann, Hang On, 2023, Kunststoffgeflecht, Holz, Stahl, Expander, 300 x 68 x 65 cm, Foto: Thomas Elsner

 

In Kiel geboren, wuchs sie in einer kunstaffinen Familie auf. Ihr Vater war Direktor am Dortmunder Museum am Ostwall, in einer Zeit von Fluxus und Happening. Der Urgroßvater war Reeder und die Schifffahrt lag Susanne Thiemann wohl im Blut. So ganz nebenbei erzählt sie im Atelier, sie habe in ihren „rebellischen Jahren“ einige Zeit auf Segelschiffen in der Ostsee verbracht. Anklänge an das Meer lassen sich auch heute noch in einigen ihrer Skulpturen finden, wie Larissa Beham in einem Text über die Künstlerin schreibt. Ihre frühen Objekte sind hochaufgerichtete, geschlossene Stelen, die stehen oder von der Decke hängen, mehr abstrakt als figurativ.  

Thiemann entwickelte rasch eine ganz eigene Formensprache. Die Grundform ihrer Objekte ist ein tragendes Skelett aus Draht, Schaumstoff und einer Unterkonstruktion aus Holz. Durch das Setzen der Holzpaneele entstehen Ausbuchtung und Einschnürungen. Zuweilen entfernt sie diese Unterkonstruktion wieder, sodass die Form zusammensackt. So entsteht der Eindruck von Weichheit, Beweglichkeit und in gewisser Hinsicht vor allem – auch wenn sich ihre Skulpturen im Raum behaupten – von Fragilität.

Diese Objekten spiegeln die Leichtigkeit und Lebensfreude der Hippie-Ära, aber auch die Schattenseiten dieser Zeit, die letztlich bei vielen zu existenziellen Problemen führten. Sicher sind viele der Erinnerungen, Gedanken und Gefühle dieser Zeit auf abstrakte Weise in die Objekte eingeflossen.

Susanne Thiemann

 

Susanne Thieman im Atelier, Foto: Achim Schäfer

Susanne Thieman im Atelier, Foto: Achim Schäfer

 

2008 erhielt Susanne Thiemann ein Stipendium für das ISCP, das International Studio & Curatorial Programm in New York. Sie war mehrmals Gast im Salon von Louise Bourgeois und 2010 und 2014 erneut Stipendiatin am ISCP. Die Kunstszene New York war in vielerlei Hinsicht Anregung und Offenbarung zugleich für sie. Ihre geschlossenen Skulpturen öffneten sich. Die Schnüre, die zunächst das Gerüst für den Korpus waren, fließen nun frei in den Raum. Neue Materialien, etwa geschredderte Autoreifen, kamen hinzu und sie verband die Skulpturen mit Möbeln und Lampenschirmen zu mehrteiligen Installationen. Längere Aufenthalte in Namibia und Südafrika prägten vor allem ihre neuen Arbeiten im Atelier. Dort suchte Susanne Thiemann auch  den Kontakt zu den regionalen Korbflechterinnen, deren Lebensumstände zum Teil erschütternd waren, deren Arbeiten sie jedoch inspirierten. Ihre Skulpturen wurden noch abstrakter, radikaler und auch die Farben änderten sich.

Bei all dem blieb sie ihrem Handwerk des Flechtens immer treu. Susanne Thiemann ist selbstbewusst angekommen in ihrer Arbeit: ein faszinierendes und gelungenes Zusammenspiel von industriellen Materialien und traditionellen Handwerkstechniken, das bis heute ihr künstlerisches Schaffen prägt. Soeben gewann sie den Seerosenpreis 2024 der Landeshauptstadt München, eine seit den 1960er-Jahren bestehende Auszeichnung für in München tätige Künstler, verbunden mit einer Ausstellung im Münchner Kunstpavillon.

 

Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie weiter in der aktuellen Ausgabe 03/2024.

Susanne Thiemann, Blackbird, 2017, Kunststoffgeflecht, Stahl, Plexiglas, 200 x 60 x 60 cm, Foto: Achim Schäfer

Susanne Thiemann, Blackbird, 2017, Kunststoffgeflecht, Stahl, Plexiglas, 200 x 60 x 60 cm, Foto: Achim Schäfer

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