Susanne Gaensheimer im Interview

Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Andreas Endermann, 2020, © Kunstsammlung NRW

Standortbestimmung eines Museums im 21. Jahrhundert. Sie hat das verflixte siebte Jahr souverän gemeistert – trotz unerfreulicher Weltlage: Seit 2017 leitet die Kunsthistorikerin und Kuratorin Susanne Gaensheimer die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und die Museen K20/K21. Ihr Vertrag wurde vor kurzem um weitere sieben Jahre verlängert. Im Gespräch mit PARNASS erläutert sie Spannungsfeld und Programmatik der Museen sowie die Sammlungspolitik und skizziert die zukünftige Ausrichtung.


Wir wollen etwas anbieten, mit dem sich viele identifizieren können. Mein Ziel ist, den elitären Charakter unseres Museums aufzubrechen.

Susanne Gaensheimer

P: Gab es 1960, am Beginn der Gründungsgeschichte, Überlegungen, welche Art von Museum die Kunstsammlung NRW werden sollte?

SG: Man wollte ein Museum of Modern Art für Nordrhein-Westfalen. Werner Schmalenbach ist der Grundstock der Sammlung zu verdanken. Er hat hochkarätige Werke der klassischen Moderne und der westlichen Nachkriegsmoderne erworben. Damals war das Narrativ der Moderne ein rein Westliches. Die Zeit hat sich jedoch verändert.

P: Was ist Ihnen aufgefallen, als Sie die Leitung übernommen haben?

SG: Mir ist schnell klar geworden, dass vieles auch fehlt. Besonders Werke von Künstlerinnen dieser Jahre wurden nicht gesammelt.

P: Welche Schritte haben Sie gesetzt, um den Schwerpunkt anders zu gewichten?

SG:  Das erste wichtige Werkzeug war für mich, dass ich mit der damaligen Kulturministerin einen festen Ankaufsetat ausgehandelt habe: zwei Millionen Euro pro Jahr. Der Etat wird bis heute fortgeschrieben. Auf dieser Basis konnten wir strategisch aufbauen. Mit intensiver Recherche, da wir Werke finden mussten, die eine Qualität haben, die dem hohen Standard des Museums entspricht. Wir haben systematisch angefangen und suchen auch nach Positionen der Moderne, die nicht aus dem Westen kommen, um sowohl das Narrativ wie auch den Horizont zu erweitern.

P: Der Ankauf von Künstlerinnen der vergangenen Jahrzehnte ist teuer.

SG: Ja. Deswegen haben wir bisher nur ein Werk von Modersohn-Becker und eines von Gabriele Münter. Die Gemälde von Helen Frankenthaler bekamen wir im Doppelpack. Eine wunderbare Skulptur von Louise Bourgeois ist eine weitere Dauerleihgabe, die wir bald erwerben. Dafür investieren wir im nächsten Jahr unseren gesamten Etat. 

P: Wie sieht es mit der jüngeren Generation aus?

SG: Das K21 ist ganz der internationalen zeitgenössichen Kunst in all ihren Medien gewidmet. Aber auch im K20 laden wir junge Künstler:innen ein, mit uns zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel haben wir Peter Uka, einen Künstler aus Nigeria, eingeladen, seinen Blick auf unsere westliche Sammlung zu werfen. Wir wollen uns öffnen und vielstimmiger werden. Das Publikum hier in Nordrhein-Westfalen ist sehr heterogen. Wir wollen etwas anbieten, mit dem sich viele identifizieren können. Mein Ziel ist, den elitären Charakter unseres Museums aufzubrechen. 

P: Im K20 wird zurzeit die Konzeptkünstlerin Yoko Ono gezeigt. Im K21 sind Fotografien des bekannten Schauspielers Lars Eidinger zu sehen, der häufig dafür kritisiert wird, auf vielen Hochzeiten zu tanzen und mit dem Promifaktor zu arbeiten. Entzieht er sich damit einer kritischen Reflexion seiner Kunst?

SG: Ich sehe das so: Wir sind ein öffentliches Museum und werden zu großen Teilen von Steuergeldern finanziert, deshalb sollte in unserem Programm für unterschiedliche Besuchsgruppen etwas dabei sein. Mit Hilma af Klint und Wassily Kandinsky zum Beispiel erreichen wir unser klassisches Publikum. Lars Eidinger hingegen spricht jüngere Menschen an, die sonst nicht zu uns ins Museum kommen.

Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Andreas Endermann, 2017, © Kunstsammlung NRW

Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Andreas Endermann, 2017, © Kunstsammlung NRW

Nicht jede Ausstellung muss ein Blockbuster sein.

Susanne Gaensheimer

P: Verständlich. Und wenn Not am Mann ist, macht Eidinger auch noch den DJ. 

SG: Klar – und es war großartig! Wir hatten 2.000 Leute hier im K21. 

P: Wie sieht die Planung für 2025 aus? 

SG: Wir zeigen eine große Ausstellung von Marc Chagall in Kooperation mit der Albertina. Außerdem planen wir eine Ausstellung zum Thema „Queere Moderne“. Das ist ein Forschungsprojekt und die erste Ausstellung in Europa, die den bisher unterschätzten, aber bahnbrechenden Beitrag queerer Künstler:innen zur Moderne vorstellen wird. Nicht jede Ausstellung muss ein Blockbuster sein. Aber eine Ausstellung zu einem sehr bekannten und beliebten Maler wie Marc Chagall ermöglicht es uns, unkonventionellere Ausstellungen zu realisieren. 

P: Wir leben in Krisenzeiten. Denken Sie, dass es weiterhin für die Kunst ein offenes Ohr und Portemonnaie geben wird? 

SG: Die Zukunft wird schwierig werden. Wirtschaftlich ist es in Deutschland jetzt schon ausgesprochen eng. Politisch ist die Lage auch kompliziert und in Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl noch nicht absehbar. Klar ist: Wir müssen die Kultur jetzt schützen und uns mit voller Überzeugung für die Freiheit der Kunst einsetzen.

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