Statement von Silvia Langen
Immer noch hält sich hartnäckig das Bild von der ehrwürdigen Alten Pinakothek mit Rubens und Caravaggio in mit Seidentapeten bespannten Sälen, von mittelalterlichen Flügelaltären des Nationalmuseums oder von bunten Bildern der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ – in Lenbachs eklektischer Künstlerresidenz, wenn die Kunst in München zur Sprache kommt. Ohne Frage hat München gerade von der Frührenaissance bis ins 20. Jahrhundert Museumsbestände von Weltklasse.
Aber: München hat gerade im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst gegenüber dem ewigen Widersacher Berlin aufgeholt: Denn hier gibt es gerade auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst inzwischen deutlich mehr Museen mit einzigartigen Werkkomplexen an Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts wie die Minimal Art-Bestände in der Pinakothek der Moderne, der Lepanto-Zyklus oder die großen Arbeiten von Cy Twombly im Museum Brandhorst. Und nicht in Berlin wird in einem ungenutzten Zwischengeschoß der U-Bahnstation Kunst gezeigt, sondern im „Kunstbau“ in München hinter den Propyläen mit spektakulären Ausstellungen, genauso wie die Villa Stuck kontinuierlich junge Kunst mit Weltniveau zeigt. Nur unweit davon, am Englischen Garten, spielt spätestens seit Chris Dercon und Okwui Enwezor das Haus der Kunst in der Liga internationaler Museen mit. Ganz oben in der Beliebtheitsskala steht dabei die zeitgenössische Kunst. Das haben auch die Firmen verstanden und zeigen sich als großzügige Förderer im Kunstbereich.
Denn neben hippem Lifestyle und aktuellen Themen bieten Formate mit zeitgenössischer Kunst auch eine gute Plattform der Vernetzung für Neuankömmlinge in der Stadt mit den Kunstliebhabern vor Ort. So erklären sich die zahlreichen großen Freundeskreise der Museen, die vielen jungen Galerien und vor allem die ständig neuen privaten Kunstinitiativen. Die Stadt ist sichtbar jünger, offener, internationaler geworden, die Menschen neugieriger, nicht zuletzt durch die vielen international operierenden Konzerne in der Stadt, die auch viele Menschen aus dem Ausland nach München brachte. Für viele von ihnen ist Kunst und Kultur nicht ein cooles „add on“, sondern ein „Must-have“.
In den meisten Museen mit zeitgenössischer Kunst ist zudem in den letzten Jahren der Generationenwechsel vollzogen worden. Im Lenbachhaus rückte Matthias Mühling nach, das Brandhorst Museum holte sich Achim Hochdörfer aus Wien als neuen Direktor, im Haus der Kunst hält ein junges Kuratorenteam erfolgreich die Stellung, bis die neue künstlerische Leitung im Oktober benannt ist, und im Kunstverein hat die blutjunge Maurin Dietrich das Steuer übernommen.
Einer, der diesen neuen Kunst-Spirit in der Stadt nutzen will, ist der frisch gebackene Ministerpräsiden Bayerns, Markus Söder: Kunst als Joker des Landesvaters im Poker um das erfolgreichere Stadtimage – mit Blick auf Deutschlands angeblich einzige internationale Metropole und Hauptstadt Berlin. Damit alle sehen, dass hier ein neuer Wind weht, ist Söder auch bereit, die Fassaden zu polieren und zu investieren: Längst überfällige Museumsrenovierungen – allen voran die mit Asbest verseuchte Neue Pinakothek und das Haus der Kunst – werden angepackt. Kein Geringerer als Architektur-Star David Chipperfield soll dem ehemaligen Nazibau seine dunkle Vergangenheit nehmen.
Und dann das Großprojekt Kunstareal München: Fast 20 Jahre wurde um Lappalien wie eine einheitliche Ausschilderung oder die Bekiesung der Wege gerungen. Nun soll tatsächlich die Idee des Kunstareals als weitläufiger Kunstcampus umgesetzt und längst versprochene weitere Museumsbauten wie die Graphische Sammlung sollen gebaut werden: 18 Museen und Ausstellungshäuser, über 40 Galerien, sechs international renommierte Hochschulen und zahlreiche Kulturinstitutionen sind es dann, die rund um den Königsplatz miteinander inhaltlich und vor allem in Sachen Marketing verwoben sein werden. Ein Coup, mit dem man die Berliner Museumsinsel oder das Museumsquartier in Wien lässig hinter sich lassen will.
Zum Kunstareal gehört auch die Hochschule für Film und Fernsehen, eines der Lieblingskinder des Ministerpräsidenten. Der Filmnachwuchs residiert nicht nur in einem ultramodernen klotzigen Neubau, sondern darf sich nun auf weitere großzügige Fördermittel im Millionenbereich freuen. Denn die Zukunft ist digital, und München will dabei sein als führender Medienstandort. Dazu gehört auch das Münchner Filmfest. Bei der Eröffnung träumte Markus Söder laut davon, das Event auf Berlinale-Niveau zu heben. Sicher: Die Besucher von Museen, Ausstellungen und Filmfestivals profitieren von der neuen Mission des Ministerpräsidenten, München zum Kunstort schlechthin zu machen. Aber der Künstler? Der sucht verzweifelter denn je nach bezahlbaren Studios für die Kunst und geht – na wohin? – nach Berlin.