Meisterwerke #11

Peter Paul Rubens: Sturm der Verwandlung

Begonnen hat alles 1620 mit einem kleinen stürmischen Landschaftsbild. Jahr für Jahr erweitert Peter Paul Rubens das Gemälde bis aus dem Stückwerk an Tafeln schließlich eine seiner eindrucksvollsten Darstellungen entsteht.


Ein gewaltiger Gewittersturm zieht über eine Fantasielandschaft hinweg. Philemon und seine Gattin Baucis werden von Jupiter und Merkur vor den tobenden Wassermassen in Sicherheit gebracht. Die spätere Verwandlung des alten Ehepaars in Eiche und Linde scheint in Rubens´ Gemälde bereits vorweggenommen – sich symbolisch umarmende Bäume trotzen dem Unwetter. Das mythologische Gleichnis aus Ovids Metamorphosen adelt die Stimmungslandschaft zwar, in Staunen versetzt die aufwühlende Komposition aber vor allem durch ihre starken Kontraste.

Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis
um 1620/25/um 1636

Peter Paul Rubens 1577 bis 1640 (Siegen, Antwerpen)

Stil: Barock

Technik: Öl auf Eichenholz

Format: 147,1 cm × 209,6 cm × 2,5 cm

Heute: Kunsthistorisches Museum Wien (KHM)

Peter Paul Rubens (1577 Siegen - 1640 Antwerpen) Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis um 1620/1625 bis um 1636 © KHM-Museumsverband

Die ruhige Vierergruppe (zzgl. Ziege und Adler/Embleme des Jupiter) findet ihren Kontrapunkt in dem ertrunkenen Stier und in der an den Felsen zerschellten Mutter mit ihrem Kind. Gut und Böse unterscheidet die Urgewalt der Natur nicht, Erneuerung vollzieht sie allein durch Zerstörung. Überraschend tritt in diesem dramatischen Setting aus der Gischt des Wassers ein Regenbogen hervor - ein Hoffnungsschimmer, der gemeinsam mit dem blauen Horizont einen harmonischen Gegenklang zu der befestigten Stadt auf dem Hügel erzeugt.

Längst hat sich der Bach in einen reißenden Strom verwandelt und stürzt zum Abgrund im vorderen Teil des Bildes. Überhaupt scheint der Wolkenbruch das gesamte Landschaftsgefüge aus der Bildmitte heraus geradezu aufzubrechen und in Richtung des Betrachters auszuschütten. Bäume, Wasser und Pflanzen fügen sich der dominanten Auswärtsbewegung. Die horizontale Gliederung (zusätzlich akzentuiert durch die Wassertreppen) wird durch die aufstrebenden Bäume ausbalanciert.

In diese starke Raster-Architektur setzt Rubens jedoch geschickt noch zwei versteckte verschlungene Ellipsen, die sich vom Regenbogen bis zur Stadt erstrecken. Seinen Höhepunkt erreicht das Formenspiel schließlich mit den Gegenpolen von klaffendem Abgrund im Vordergrund und dem Gewitterhimmel am oberen Bildrand des Gemäldes. Schrecklich schöne Naturgewalten stecken den Spielraum für Rubens´ apokalyptische Erzählung ab.

Peter Paul Rubens (1577 Siegen - 1640 Antwerpen) Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis um 1620/1625 bis um 1636 (Detail) © KHM-Museumsverband

Wütend rollen die kosmischen Kräfte über die Landschaft hinweg, hilflos stehen die Menschen dieser Allmacht gegenüber. Allein die einfachen Bauernhäuser und Mühlen, die im Schatten der Bäume liegen, scheinen von der Sintflut und den Blitzen des Jupiter verschont geblieben zu sein. Ein eindrucksvolles technisches Meisterwerk. Und wer es gern moralisch hat, der merke: Handle redlich wie Philemon und Baucis - auch dein Schicksal liegt in göttlicher Hand.

Literatur:

Gerlinde Gruber/Elke Oberthaler (Hg.): Die Große Gewitterlandschaft von Rubens. Anatomie eines Meisterwerks (Hirmer 2020)

Ludwig Burchard (Hg.): Corups Rubenianum XVIII (1). Landscapes
Wolfgang Adler. 1982. 1 vol. 376 p., 173 ill.
(online als pdf verfügbar: https://www.rubenianum.be/en/page/corpus-rubenianum-ludwig-burchard-online)

Jacob Burckhardt: Rubens (Phaidon 1939)

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