Various Others

No Fake News: Lucy McKenzie im Museum Brandhorst

Punktgenaue Gegenwartsbeobachtungen treffen in der Schau im Museum Brandhorst auf vergilbt-nostalgische Töne und vermengen sich zu einem Porträt jener Generation, für die alle Gleichzeitigkeit möglich scheint.


Lucy McKenzie zählt zur Generation X. 1977 geboren, ist sie ein sogenannter „Xennial“ – irgendwo zwischen analoger Kindheit und digitalem Erwachsenensein. Zwischen Selbstgenähtem, Massenware und wieder zurück zum Recycelten. Zwischen dem Versprechen freier Sexualität und dem doch noch weit unabgeschlossenen Prozess der letztlichen sexuellen Befreiung. Zwischen den Medien. McKenzie ist weit mehr als die Trompe l'oeil Malerin, die auf Techniken vergangener Jahrhunderte zurückgreift und als die man sie gerne beschreibt. Auch wenn sie diese Fingerfertigkeit bis zur Perfektion beherrscht, in der Schau im Brandhorst, dem ersten umfangreichen Mid-Career Survey der in Belgien lebenden Schottin, kommt der Verdacht auf, dass Trompe l'oeil nur eines von vielen ihrer Mittel ist die täuschenden Versprechungen unserer Welt aufzudecken. Mehr Werkzeug, als Werk.

Lucy McKenzie vor dem Werk, „May of Teck“ (2010) in der Ausstellung „Lucy McKenzie – Prime Suspect“ © Lucy McKenzie. Foto: Robert Haas

Zeichnungen, Texte, skulpturale Objekte, Installationen und Videos von 1997 bis heute versammelt die Ausstellung „Lucy McKenzie – Prime Suspect“, die kurz vor dem Eröffnungswochenendes des Festivals Various Others ihre Türen öffnete und beispielhaft für das gelungen ausgewogene Programm zwischen Galerieprojekten und institutionellen Beiträgen der Veranstaltung stehen kann. Mit der Biennale Künstlerin, die bereits auf große Ausstellungen in der Tate Britain und dem Art Institute of Chicago zurückblickt, gewann man einen Star im Rahmen von Various Others, der Schubladen und Kategorisierungen ebenso verweigert, wie die Pluralität eines gelungenen Kunstfestivals es bedingt.

Besucherinnen vor Lucy McKenzies Werk „May of Teck“ (2010) in der Ausstellung „Lucy McKenzie – Prime Suspect“ © Lucy McKenzie. Foto: Robert Haas

McKenzies Welt, in die man im Museum Brandhorst nun eingeladen wird Gast zu sein, ist eine große Collage, ein Sammelsurium aus vielen einzelnen Mind Maps und Notizen. Hyperrealistisch gemalte E-Mails treffen auf Stoffmuster im Retroschick und tragisch ironische Filmszenen. Arbeiten, die gleichsam Objekt und Forschungsgegenstand über das Objekthafte an sich sind. Die ganze Kunstgeschichte wird von McKenzie befragt, indem sie etwa Designs aus dem Alltag entlehnt und in ihre Bestandteile zerpflückt. Rätsel und Antwort zu einem Detektivspiel vermischt. Im Interview mit dem Kurator der Ausstellung Jacob Proctor meint die Künstlerin:

Ich bin so oft gefragt worden, warum ich nur mit dieser Art von älterem, bereits vorhandenem Material arbeite. Dazu kann ich nur sagen, dass man beispielsweise in Venedig eine Stadt vorfindet, die aus Hunderten von Jahren unterschiedlicher Kulturen besteht. Sie ist komplett aus verschiedenen Perioden und Ideen zusammengesetzt. Aber ihr Anblick ist harmonisch, denn sie ist schön. Und das ist Geschichte. Es gibt keinen Moment in der Geschichte, in dem alles nur zeitgenössisch ist. In einer Situation, in der alles rein zeitgenössisch wäre, würden wir ersticken.


Lucy McKenzie

Besucherin vor Lucy McKenzies Werk „Faux Shop“ (2018) in der Ausstellung „Lucy McKenzie – Prime Suspect“ © Lucy McKenzie. Foto: Robert Haas

Und dennoch ist die Schau gerade zeitgenössisch genug, dass sie zu berühren vermag, mit ihren Querverweisen und Anachronismen, zeigt McKenzie nämlich wie zeitlos viele Designs unserer Alltagswelt sind und wie viel sie über ihre Träger, Besitzer, Käufer und Verkäufer auszusagen vermögen. Die in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entwickelte Ausstellung ist ein Vorschlag. Man kann ihr als Aufdecker begegnen und versuchen die Trompe l'oeils zu entlarven oder man kann sich blenden lassen und dem ästhetischen Genuss hingeben. Oder man befragt den Titel der Schau „Hauptverdächtiger“ und sucht die Anknüpfungspunkte der Täuschungen und Tarnungen, der Missverständnisse und vermeintlichen Verständnisse in unserer Zeit. Beispielhaft konterkuriert vom Tryptichon „Mooncup“, das den Besucher in die Ausstellung führt. Denn die riesige (unautorisierte) Werbung für einen britischen Hersteller von Menstruationstassen regt dazu an die Offenheit unserer Zeit ebenso zu befragen, wie die Ästhetiken zeitgenössischer (Werbe-)Kunst.

Museum Brandhorst

Theresienstraße 35a, 80333 München
Deutschland

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