Nachgefragt: Thorsten Sadowsky im Gespräch

Thorsten Sadowsky ist seit 2018 Direktor des Museum der Moderne Salzburg und seit 2019 auch künstlerischer Leiter der Sammlung Generali Foundation. Mit 1. Oktober 2022 übernimmt er die Position des Wissenschaftlichen Vorstands der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf und verlässt frühzeitig Salzburg. Ab 2. Juli zeigt das Museum der Moderne Salzburg die Ausstellung „Sammlungspolitik: Neuzugänge im Museum der Moderne“ und legt damit die Kriterien und Strategien der Museumssammlung offen. Diese ebenso wie das Leitbild des Museums wurden in der Direktion Thorsten Sadowskys neu reflektiert und verschriftlich.


PARNASS: Die richtungsweisenden Entscheidungen werden gleichsam hinter den Kulissen getroffen. Die Ausstellung Neuzugänge im Museum der Moderne legt jedoch explizit die Sammlungspolitik offen und geben auch einen Einblick in die Zeit ihrer Direktion. Wer entscheidet über die Ankäufe des Museums?

Thorsten Sadowsky: In der Regel entscheidet die Direktion darüber – in einem Zusammenspiel mit den Sammlungskuratoren. Es hängt stets von der Direktion ab, wie sehr sie diese einbezieht. Mir ist das persönlich sehr wichtig und wir sehen das im Haus auch als Teil unserer Sammlungsstrategie, eine gewisse Vielstimmigkeit zu ermöglichen. Das Museum verfügt zudem über verschiedene Ankaufsetats, die jeweils andere Schwerpunkte haben. Von der Galerienförderung, die österreichische Kunst beziehungsweise Werke von in Österreich lebenden Künstler:innen umfasst, über das Budget der Generali Foundation bis hin zum Ankaufsbudget des Museums selbst. Darüber hinaus verwalten wir die Fotosammlung des Bundes. Hier werden Werke über eine Kommission angekauft, wo wir als Museum weniger Einfluss haben.

P: Welche Sammlungsstrategie haben Sie in Ihrer Amtszeit verfolgt?

TS: In meiner Direktion ist es sehr stark darum gegangen, über den westeuropäischen Kanon hinaus den Blick zu weiten und postkoloniale Perspektiven stärker aufzunehmen. Ein geographisch inklusiver Blick auf die Kunst, der international seit etlichen Jahren eingelöst wird. Ein Fokus, der sich auch in unserem Ausstellungsprogramm widerspiegelt, etwa in der Ausstellung „This World Is White No Longer. Ansichten einer dezentrierten Welt.“ Die Erweiterung des europäischen Blicks ist auch verbunden mit einer künstlerischen Selbstkritik, wie dies etwa Lisl Ponger in ihren Fotoarbeiten formuliert. Die Bedeutung der europäische Idee und ihre Verkörperung in der Kunst sowie die Konstruktion nationaler und supranationaler Identitäten durch Kunst und Architektur, sind Fragestellungen, die etwa die slowenische Künstlerin und Filmemacherin Jasmina Cibic in ihren Werken reflektiert, und der wir unlängst eine Einzelausstellung gewidmet haben.

Thorsten Sadowsky, Foto: Land Salzburg, Neumayr Leopold

P: Das heißt, das Ausstellungsprogramm schreibt sich auch in die Sammlungspolitik ein?
TS: Es gilt dies stets zusammenzudenken. So haben wir etwa Werke von Samuel Fosso, Kara Walker, Sigalit Landau und Yinka Shonibare CBE RA erworben. Fosso, einer der führenden zeitgenössischen Fotografen Afrikas, zeigen wir ab Oktober in einer Personale. Walker, Landau und Shonibare haben wir bereits in Ausstellungen gezeigt. Ein weiterer Sammlungsfokus sind medienreflexiven Arbeiten, wie etwa von Fiona Tan, die ebenfalls bei uns und in der Kunsthalle Krems in einer sogenannten mid-career retrospektive gezeigt wurde. Die Ausstellungsschwerpunkte spiegeln sich in den Sammlungsankäufen wider und letztere generieren wieder neue Ausstellungsideen.

P: Sammlungsankäufe bauen neue Schwerpunkt auf, aber sie schließen auch Lücken in den Museumssammlungen oder erweitern bestehende Konvolute. Wie weit haben sie Schwerpunkte ihrer Vorgänger:innen weitergeführt? 

TS: Von Adrian Piper und Nilbar Güreş wurden bereits vor meiner Amtszeit zentrale Werke angekauft, die der von mir formulieren Sammlungsstrategie entsprachen. Ein weiteres Beispiel ist David Tudor, dessen Arbeit „Rainforest“ bereits von Sabine Breitwieser angekauft wurde. Wir haben dann erstmal eine umfassende Ausstellung über Tudor als Pionier der elektronischen Liveperformance und begnadeten Netzwerker präsentiert. In diesem Fall wurde ein Ankauf ausstellungsrelevant. Insofern habe ich mich zusammen mit den Kuratorinnen auch darum bemüht, bestehende Sammlungslinien weiterzudenken, die eben auch Teil der Identität des Museums sind: wie etwa die Schnittstelle zur darstellenden Kunst, zur Musik und zur Performance - für ein Museum in der Stadt Salzburg evident - oder Ankäufe von zentralen, weiblichen Positionen, die wir fortgesetzt haben, mit dem Anspruch das Ungleichgewicht in den Sammlungen auszugleichen.

Nervös und böse, Ausstellungsansicht, Museum der Moderne Salzburg, 2022, © Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Insofern habe ich mich zusammen mit den Kuratorinnen auch darum bemüht, bestehende Sammlungslinien weiterzudenken, die eben auch Teil der Identität des Museums sind.

Thorsten Sadowsky

Für mich war es jedoch darüber hinaus sehr wichtig, die unterschiedlichen Sammlungen des Museums stärker zusammenzubringen, sodass diese auch ineinandergreifen können und sich gegenseitig befruchten. Vor allem da es, als die Generali Foundation ans Haus kam, Diskussionen gab, ob die ideenbasierte Konzeptkunst der Sammlung Generali Foundation mit der ursprünglich an der figurativen Kunst der Moderne orientierten Sammlung des Museums überhaupt zusammenpasst. Doch wie die aktuelle Sammlungsausstellung zu den Ankäufen der letzten sieben Jahre zeigt, sind alle am Haus betreuten Sammlungen vertreten und die versammelten Positionen ergeben ein vielfältiges und welthaltiges Gesamtbild.

V.l.n.r.: Thorsten Sadowsky, Wilfried Haslauer, Christina Tscherteu, Werner Reiterer, Heinrich Schellhorn. Foto: MdMS/wildbild

Die Ausstellung und die zur Verfügung gestellten Fakten und Zahlen ermöglichen auch eine kritische Überprüfung der sammlungsstrategischen Überlegungen und Ansprüche durch das Publikum - und genau diesen offenen Dialog wollen wir. Ebenso war es mir wichtig, besondere Schwerpunkte des Museums herauszuarbeiten und diese zu vertiefen: wie etwa das herausragende Konvolut japanischer Fotografie der 1960er und 1970er Jahre, das unter dem Gründungsdirektor Otto Breicha zusammengetragen wurde und ein absolutes  Alleinstellungsmerkmal des Museums darstellt. Das gilt es weiterzuentwickeln, etwa mit den Werke zeitgenössischer japanischer Fotografinnen.

P: Mit Oktober 2022 übernehmen Sie die Position des Wissenschaftlichen Vorstands der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf und verlassen nach vier Jahren das Museum der Moderne. Werden Leitbild und die Sammlungsstrategie, die Sie in den letzten Jahren für das Museum gemeinsam mit dem Team erarbeitet haben, fortgesetzt oder glauben Sie, dass eine zukünftige Direktion wieder alles anders machen wird, neue Schwerpunkte setzt?

TS: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass demnächst alles auf den Kopf gestellt wird. Dass die Ämter auf Zeit bestimmt sind, ist meines Erachtens sinnvoll. Dennoch sollte auch eine gewisse Kontinuität sichergestellt sein. Daher glaube ich, dass es wichtig war, wesentliche Aspekte des Museums zu reflektieren und in Form eines Leitbildes und einer Sammlungsstrategie auch erstmals zu verschriftlichen und in der Struktur des Hauses zu implementieren.

Aber ich hielte es für sinnvoll, dass erarbeitete Selbstverständnis des Hauses zur Kenntnis zu nehmen und darauf aufzubauen.

Thorsten Sadowsky

So wurden Perspektiven der Sammlungen und des Museums aufgezeigt, die man weiterdenken kann. Erstmals wurde in Sammlungsstrategie festgehalten, dass wir als Museum der Moderne Salzburg explizit den Auftrag haben, zeitgenössische Kunst zu reflektieren und gesellschaftliche relevante Themen anzugehen. Ich habe versucht, das Museum als Institution zu denken und das Leitbild wurde gemeinsam mit Kolleg:innen aus allen Mitarbeitergruppen zu erarbeiten, um eine Verständigung zu erzielen, wer wir sind und wohin wir wollen. Doch nichts ist in Stein gemeißelt. Jede Person, die künftig die Leitung übernimmt, bringt ein eigenes Profil mit. Aber ich hielte es für sinnvoll, dass erarbeitete Selbstverständnis des Hauses zur Kenntnis zu nehmen und darauf aufzubauen.

Hauptportal Schloss Gottorf mit Ausschnitt von HD Schrader: Kubushochzeit (Stahl, rot lackiert, 1986, Höhe 262 cm) HD Schrader: Kubushochzeit (Stahl, rot lackiert, 1986, Höhe 262 cm) © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen

P: Was hat Sie dazu bewogen, vorzeitig aus Salzburg wegzugehen?

TS: Ich habe das sehr interessante Angebot der Wissenschaftlichen Leitung der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen bekommen und zwar mit der verlockenden Option nochmals ein umfangreiches Bauprojekt anzugehen. Es hat mich schlichtweg gereizt, eine solche Herausforderung anzunehmen; zumal ich auch eine große Wertschätzung meiner bisherigen Arbeit verspürt habe. Ich habe dort einem finanziellen Rahmen von rund 45 Millionen Euro zur Erweiterung und Neueinrichtung des von mir geleiteten Museums sowie des Archäologischen Museums zur Verfügung. Die Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen sind die bedeutendste Museumseinrichtung in Schleswig-Holstein und meine Position beinhaltet auch vielfältige und spannende museumspolitische Aufgaben. Zur Programmatik der Stiftung gehört unter anderem, der Dialog mit dem Norden, sprich mit den skandinavischen Ländern, und ich glaube, dass ich mit meinem persönlichen wie beruflichen deutsch-dänischen Hintergrund dazu Einiges beitragen kann. Natürlich haben Veränderungen ihren Preis und im Neuen muss man sich erst wieder beweisen, aber ich bin sehr zuversichtlich und freue mich außerordentlich auf die neue Aufgabe. Allerdings muss ich den bevorstehenden Verlust des täglichen Mozartkugelgenusses noch verarbeiten. Das Museum der Moderne Salzburg hinterlasse ich wohlbestellt und danke allen Kolleg:innen schon jetzt sehr herzlich für die großartige Teamleistung.


Biografie Kurz:

Dr. Thorsten Sadowsky MA (*1961 im westfälischen Hamm, D) studierte Geschichte, Philosophie und Ethnologie an der Universität Hamburg. 1997 bis 2000 war er Kurator am Sønderjyllands Kunstmuseum in Tondern. Anschließend wechselte er an das Kunstmuseum Trapholt im dänischen Kolding und übernahm dort die Leitung der Abteilung für modernes Möbeldesign. Von 2001 bis 2006 arbeitete Thorsten Sadowsky als Kurator und assistierender Direktor an der Kunsthalle Brandts in Odense. 2006 wurde er zum Direktor der Kunsthalle Aarhus berufen, und war von 2008 bis 2013 Gründungsdirektor des Museums Kunst der Westküste auf der Nordseeinsel Föhr. 2013 übernahm Thorsten Sadowsky die Direktion des Kirchner Museum Davos.

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