Matti Bunzl
Am 1. Oktober übernahm der Anthropologe Matti Bunzl die Direktion des Wien Museums. Geboren 1971 in Wien, studierte er Anthropologie an der Stanford University sowie an der University of Chicago, wo er 1998 promovierte. Von da an war er Mitglied der Fakultät der University of Illinois at Urbana-Champaign. Er begann dort als Assistant Professor, wurde 2003 zum Associate Professor befördert und 2008 zum Full Professor. Von 2003 bis 2007 leitete Bunzl das Illinois Program for Research in the Humanities, das interdisziplinäre geisteswissenschaftliche Institut der University of Illinois, das er auch als Kunsthalle bespielte. Von 2010 bis 2014 war Bunzl auch Intendant des jährlich stattfindenden "Chicago Humanities Festival". PARNASS traf Matti Bunzl am Tag vor seiner Antrittspressekonferenz in seinem Büro im Wien Museum.
Wie positionieren sie das Wien Museum. Wie kann man sich ein Stadtmuseum der Zukunft vorstellen?
Das Wien Museum ist ein Haus mit einer umfangreichen und umfassenden Sammlung, muss aber den Weg zu einem Museum der Gegenwart und Zukunft weiterentwickeln, denn das Museum ist für die Weltstadt Wien ein zentraler und sehr wichtiger Ort. Ich sehe das Museum als Labor der Zivilgesellschaft, in das sich die Besucher partizipatorisch einbringen können und sollen. Jedes Museum ist ein potentieller Knotenpunkt für gesellschaftlichen Diskurs. Das gilt für das Wien Museum in ganz besonderem Maße. Die Institution selbst ist ein Ort der Begegnung, der durch ständige intellektuelle und kulturelle Anreize zu aktivieren ist. Die kuratorische Aufgabe des Wien Museums endet also nicht in den Schauräumen. Vorträge, Podiumsdiskussionen und Salons sind ebenso Teil des Programms und dabei keineswegs sekundär. Die Frage ist, wie kann man Kunst verstehen, als Produkt seiner Zeit, das ist ohne größeren sozialen Kontext kaum fassbar. Es gilt den Museumsbegriff zu erweitern über das Objekt und die Ausstellung hinaus. Denn nur durch die Involvierung in einen ständigen, anspruchsvollen Diskurs kann sich die Zivilgesellschaft selbst erleben.
Wie kann man sich diese dialogischen Projekte vorstellen?
Ich stehe für ein flexibles Museum. Auch wenn unsere Kernaufgabe das Bewahren und Beforschen von Objekten ist, muss ein Museum auch schnell agieren können und dringliche Themen der Stadt aufnehmen, so wie dies die Installation „Asyl-Raum“ am Karlsplatz zeigte, wo wir sehr rasch auf die brisante Flüchtlingsthematik reagiert und einen offenen, 24 Stunden frei zugänglichen Raum geschaffen haben – als Angebot zur Information und als möglichen Ort kollektiver Reflexion. Die Materialien der Präsentation stehen den Schulen als Download kostenlos zur Verfügung. Schlaglichtartig wird sowohl die Gegenwart als auch die Geschichte Wiens als Asylstadt seit 1945 thematisiert. Momente großer Solidarität, gelassener Organisation sowie scharfe Konflikte um die immer wiederkehrende Forderung nach restriktiver Asylpolitik werden deutlich. Die Zeitimmanenz gilt für mich auch für Sonderausstellungen. Die Aktualität des jeweiligen Themas kann ästhetisch, sozial, historisch oder sonst wie begründet werden – muss aber auch Teil der generellen institutionellen Vision sein. Dabei geht es nicht um einen plakativen, reisbrettartigen Versuch Relevanz und Enthusiasmus zu erzielen, sondern um einen „point of view“, um eine Position. Das Wien Museum kann dabei auf seine reichhaltige Sammlung zurückgreifen. Die unglaubliche und einzigartige Vielfalt dieser Sammlung vom Alltagsgegenstand, historischen Artefakt bis hin zum hochwertigen Kunstwerk ermöglicht es, präzise Ausstellungen zu einer ganzen Reihe relevanter Themen zu gestalten und aktuelle Ereignisse zu begleiten und zu vertiefen.
Sie planen neben Wechselausstellungen im Zuge des Erweiterungsbaus auch eine neue Dauerausstellung. Wo liegt hier der Fokus?
Die Zeitimmanenz eines historischen Museums ist eines der vielen Ziele der neuen Dauerausstellung. Sie muss als Kernstück des erweiterten Museums eine Antwort auf die zentrale Frage unserer Zeit liefern: Was heißt es, eine globale Stadt zu sein? Es gilt hier Ausstellungsformen und Narrative zu finden, die die transnationale Realität der Stadt gleichermaßen als historisch bedingt und selbstverständlich darstellen können. Das Museum soll in Zukunft auch stärker als Ort des Diskurses wahrgenommen werden. Eines der Formate, die wir dazu entwickelt haben ist „2x45 Minuten“, bei dem jeweils brisante Themen mit Experten diskutiert werden. Den Beginn macht am 1. Dezember das Thema „Antisemitismus/Islamophobie“, andere Themen betreffen die Mobilität der Stadt oder den öffentliche Raum und die Immobilienspekulationen.
Wenn Sie von einem erweiterten Museum sprechen, meinen sie auch die Einbeziehung des öffentlichen Raums? Und weiter gefragt: Muss das Wien Museum auf Wien beschränkt sein?
Nein, ganz im Gegenteil. Ein globaler, vergleichender Rahmen ist gefragt. Wir können nur darstellen, was an Wien besonders ist, wenn wir die Stadt im Kreis anderer Weltstädte verstehen und zeigen. Vor allem zu einem Zeitpunkt der transnationalen Urbanisierung ist dieser Zugang wichtig und eröffnet die Möglichkeit, das Wien Museum als Institution zum Thema Stadt an sich zu positionieren. So laden wir internationale Top-Wissenschaftler zu Vorträgen ein. International ausgerichtet ist auch die neue Besetzung des wissenschaftlichen Beirats. Zum öffentliche Raum – ganz klar ist der Karlsplatz ein wichtiger Ort für uns, denn wir bereits gleich im Herbst mit der erwähnten Installation bespielt haben. Ebenso wird die Virgilkapelle, eine der besterhaltensten und größten mittelalterlichen Innenräume der Stadt am 12. Dezember wieder öffentlich zugänglich sein, ergänzt durch eine kleine Dauerausstellung. Das Wien Museum verfügt ja noch über weitere Orte in Wien und kann daher in der gesamten Stadt an Präsenz gewinnen. Aber ich bin ein „organisch-denkender“ Mensch. Die Notwendigkeit in den öffentlichen Raum zu gehen, darf nicht aufgesetzt sein sondern muss sich zwingend ergeben.
Welche Ausstellungen wird es 2016 geben?
Wir eröffnen das neue Jahr mit einer Ausstellung zu O.R. Schatz und Carry Hauser. Dann wird es im Frühjahr eine Ausstellung zu 250 Jahre Wiener Prater geben, mit Fokus auf die abwechslungsreiche Geschichte diese Ortes und im Herbst folgt die erste große Ausstellung über die Geschichte der Sexualität in Wien sowie ein Schau über Robert Haas einen der wichtigsten österreichischen Fotojournalisten der Zwischenkriegszeit, der 1997 in New York verstarb.
Thema Neubau. Wann fällt hier eine Entscheidung?
Ende November gibt es die finale Jurysitzung, in dem das Siegerprojekt ermittelt wird. Ich kann allerdings sagen, da ich den internationalen Architekturwettbewerb von Beginn an als Jurymitglied begleitet habe, dass es vielversprechende Ansätze gibt. Von den 274 Einreichungen sind nur 14 Projekte in der Shortlist. Geplant ist ein Baubeginn in zwei Jahren, also 2017 und eine Wiedereröffnung 2020. Für die Schließzeit wird es eine Reihe von Projekten geben auch in den einzelnen Bezirken der Stadt.