Die Natur im Visier

Matrix Bodies im Kunstraum Niederoesterreich

Die erste Ausstellung des Jahresprogramms 2023 des Kunstraum Niederoesterreich widmet sich der ökologischen Krise aus internationalen Perspektiven und begibt sich auf die Suche nach Formen der Koexistenz von Mensch und Natur.


Ein Rausch hellrosa Tränen mündet in einem ebenso hellrosanen Strom, der in den Ausstellungsraum hineinzuziehen scheint. Es ist eine Person, die weint, auf einer Textilcollage der deutschen Künstlerin Sophie Utikal: Sie weint, dann webt sie, trägt ein tierartiges Wesen am Rücken, sammelt Pilze. Vier Stoffbahnen hängen von der Decke, vier postapokalyptische Visionen werden präsentiert. So öffnet die neue Schau „Matrix Bodies“ im Kunstraum Niederösterreich in der Wiener Herrengasse, die den Auftakt zum Jahresprogramm „Sensing the Heat“ bilden soll. Es geht um die Fragen, welche neuen Formen des Zusammenlebens im Angesicht der fortschreitenden Klimakrise geschmiedet werden können, wo und wie man neue Lebensgrundlagen schaffen kann, welche Optionen sozialer Produktion möglich erscheinen.

Es sind große, wichtige und äußerst umfangreiche Themen, die hier verhandelt werden sollen – ob man dem in einem räumlich doch recht begrenzten Ausstellungsumfeld gerecht werden kann?

Die Zweifel sind rasch ausgeräumt: Unter der neuen künstlerischen Leitung von Frederike Sperling zieht man es vor, keine Antworten zu geben. Viel mehr werden Fragen aufgeworfen, Thesen aufgestellt und Lösungsansätze verhandelt. Nur die Untrennbarkeit von Menschen und Natur gilt als gegeben, während das gängige Überlegenheitsnarrativ ersterer zu zweiterer dekonstruiert wird. Sechs verschiedene Positionen internationaler Künstler:innen führen an Orte, an denen die Grenzziehungen zwischen Mensch und Umwelt entweder deutlich gemacht werden – oder immer mehr verschwimmen. So fügt sich die Arbeit von Utikal in eine Art fiktiven Kanon dystopischer Lebenswelten ein und verleitet eingangs zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Verflechtungen von Körper und Umwelt.

 © Sophie Utikal, Coexisting Join, Multiply, Connect, Relate, 2018, Textile collage, Installation view: Museion Bolzano

Eine Videoperformance der non-binären, chilenischen Künstler:in Seba Calfugeo rückt jene in den Vordergrund, indem Calfuego mithilfe eines 30 Meter langen, blauen Tuches mit dem „Trayenko“ (Wasserfall) – ein in der Kosmologie der indigenen Mapuche heiliger Ort – interagiert. Besonders in Chile ist die Bedrohung für solch natürliche Lebensräume durch industrielle Agrarwirtschaft besonders hoch: In „TRAY TRAY KO“ beleuchtet Calfuego, selbst Mapuch:in, die enorme Bedeutung der Natur für das Überleben, die Identität und das Zusammengehörigkeitsgefühl des Volkes.

Auffällig ist außerdem eine Skulptur der transdisziplinären Künstlerin Nona Inescu. Aus verchromtem Stahl und Sedimentgestein bestehend, schlängelt sich „Meander“ wie ein organisches Flussbett über den Ausstellungsboden.

Seba Calfuqueo, TRAY TRAY KO, 2022, video still © Sebastián Melo

Besonders das Gestein gilt als extrem hartes, solides Material, dennoch fügt es sich hier scheinbar in einen Transformationsprozess ein. So tritt Veränderung zutage, die sich dem menschlichen Blick sonst entzieht, und die Körperlichkeit der Natur wird sichtbar, die sich weder in unsere Gesetze von Zeit, noch von Größe einordnen lässt. Ähnlich nahbar verhält es sich auch mit einer Soundarbeit von Caterina Gobbi: Aufgenommen in den Gletscherspalten des Mont Blanc, durchdringt das Tropfen, Platschen, Knarzten und Krachen des Eises den Ausstellungsraum. Geräusche, die dem menschlichen Ohr sonst kaum zugänglich sind, werden auf einmal unüberhörbar. Sie gleicht die Geräusche des schmelzenden Eises denen menschlicher Körperflüssigkeiten an und seziert in einem zugehörigen Video visuell die Eisblöcke, assoziiert pulsierende Bewegungen des Gletschers mit unseren inneren Organen – vermenschlicht ihn sozusagen stark, nicht zuletzt mit dem Ziel, Bewusstsein für natürliche Prozesse zu schaffen.

© Nona Inescu, Meander, 2020. (Detail) Photos by Camilla Maria Santini. Courtesy of SpazioA, Pistoia, Fabio Agovino Collection, and the artist

Auch Arbeiten von Josèfa Ntjam und Eglė Budvytytė tragen zu dem ausdrucksstarken, bedeutungsschweren Narrativ von „Matrix Bodies“ bei. Durch den multidisziplinären Ansatz öffnet jedes Werk einen neuen Horizont, dennoch wird man hier weder mit Informationen überladen, noch geht man verantwortungslos mit den transportierten Sujets um: Es gelingt eine Schau, bei der man verweilen möchte, die zum Diskurs einlädt – und zudem ästhetisch überaus ansprechend gestaltet ist.

© Eglė Budvytytė, Liquid Power has no Shame, 2017, LIAF, Lofoten international art festival Site specific performance and a video, still

Kunstraum Niederösterreich

Herrengasse 13, 1010 Wien
Österreich

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