Ein Studiobesuch bei Branislav Jankic

Macht und Körper

Als Künstler sehe ich die Dualität: Meine Erlebnisse waren furchtbar, doch sie haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin.

Branislav Jankic

Zwei Männer laufen umeinander herum, ihre Körper knallen aneinander. Nackte Männerkörper. Perfekte Männerkörper. Sie werden von einer Kamera umkreist. Plötzlich berühren sich ihre Münder. Kurz. Blitzschnell. Vorsichtig. Sie geben eine Rasierklinge von Mund zu Mund. Immer wieder. Blut wird gespuckt. Speichel. Wieder knallen die Körper aneinander. Wieder tauschen sie die Rasierklinge. Begleitet wird die Szene vom enervierenden Kreischen von Metall auf Metall. Und am Ende spuckt einer der Männer russische Wörter in die Kamera. Die Wörter stammen von einem Strafgefangenen aus dem Gulag. Er hat sie einst in Holz geritzt, wütet darin gegen Stalin und gegen sein Schicksal. Der die Sätze spricht, schreit, rezitiert ist Branislav Jankic, 35 Jahre, Künstler, in New York und Berlin lebend.

Branislav Jankic, „Under their watch, I whisper to your lips“

Branislav Jankic, „Under their watch, I whisper to your lips“

Branislav Jankic, „Under their watch, I whisper to your lips“

Er hat die Performance mit dem Titel „Under their watch, I whisper to your lips“ nach einer wahren Geschichte aus einem russischen Gefängnis inszeniert. Das Video ist Teil seiner neuen Arbeit „Oligoptica“, die für die „Art Market Budapest“ im Oktober entsteht und dort von der Monolog Galerie vorgestellt wird. Es wird – mit anderen Videos – in einem Turm hängen, wie ihn Michel Foucault in seiner Theorie des Panoptismus beschrieben hat. Es geht um Überwachung und das Überwachtwerden der Überwacher. Jankic dreht Foucaults Theorie um, die Betrachter werden nicht überwacht, sondern sehen in den Überwachungsturm hinein. „Meine Arbeit beschäftigt sich oft damit, wie Machtverhältnisse dem Körper gegenüberstehen“, sagt Branislav Jankic beim PARNASS-Gespräch in seinem Studio in einem seit 30 Jahren nahezu unveränderten ehemaligen DDR-Funkhaus in Berlin.

Meine Arbeit beschäftigt sich oft damit, wie Machtverhältnisse dem Körper gegenüberstehen.

Branislav Jankic

Der in Jugoslawien geborene Branislav Jankic ist vor zwei Jahren nach Berlin gezogen und hat New York doch nicht aufgegeben. Momentan will er immer einige Monate in Berlin und die restliche Zeit in New York leben. Denn dort fühlt er sich am ehesten zu Hause. Er sagt zu Hause, spricht nicht von Heimat. Die Kunst, die Künstler, der Kunstbetrieb seien seine Heimat, sagt er nachdem er über Vorurteile gegenüber Fremden überall auf der Welt gesprochen hat. Das mag ein wenig allgemein klingen, doch wenn Branislav Jankic über Heimat oder besser über die Suche nach ihr spricht, dann erzählt er vom Leben eines Jungen, der mit sieben Jahren aus Jugoslawien nach Deutschland geflohen ist, der in München aufwuchs, in Italien lebte, in New York Kunst studiert hat und doch keinen dieser Orte als seine Heimat bezeichnen würde. Wenn er die Ideen für spätere Werke notiert, dann in einem Gemisch aus allen vier Sprachen.

Alle seine Arbeiten haben immer mit den Erfahrungen des Kindes und des Jugendlichen Branislav Jankic zu tun. Es geht um Körper, um Macht, um Sexualität und um die Beziehungen zwischen ihnen.

Branislav Jankic, Photo by Nemanja Maras

Und es geht um das, was Jankic selbst erlebt hat – als vergewaltigtes Kind, als Flüchtlingskind, als Sohn einer alkoholabhängigen Mutter. Überall, wo er gelebt hat, sei er der Ausländer gewesen, der nicht richtig, nicht komplett Dazugehörende. Es stört ihn bis heute und es hat ihn immer angespornt, es allen – und sich – zu beweisen, sagt er. Auch deshalb frage seine Kunst nach den Bedingungen des Überlebens. „Als Künstler sehe ich die Dualität: Meine Erlebnisse waren furchtbar, doch sie haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin.“ Und so begibt er sich dorthin, wo es schmerzhaft ist – für ihn, für die Betrachter und für die, die an seinen Performances teilnehmen. Suchtkranke Frauen zum Beispiel, die über ihre Kinder und ihre Sucht sprechen. Männer, die versuchen zu erklären, warum sie Schmerzen brauchen, um Sexualität erleben zu können.

Meine Lebensgeschichte und meine Erfahrungen waren immer das Ideenfass für meine Arbeiten.

Branislav Jankic

Jetzt wird er das Leben seiner Mutter in einem langen Film thematisieren. Der soll auf der Berlinale im kommenden Jahr gezeigt werden. Dafür nutzt er eigene Filmaufnahmen von 2014, in denen ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tod ihr Leben erzählt hat. Und er nutzt die Fotos aus ihrem Nachlass, für die sie sich immer wieder selbst fotografiert hat.

Branislav Jankic

Seine Frau, das polnische Model Monica Jagaciak und die gemeinsame dreijährige Tochter haben in Form eines Reenactments diese Fotos nachgestellt, erzählt Branislav Jankic, der dafür mit Maskenbildnern aus den Filmstudios in Potsdam-Babelsberg zusammengearbeitet hat und die perfekte Illusion manchmal nicht ertragen konnte. Es sei eine kathartische Wiederholung des Lebens der Mutter. Dieser Film ist der Abschluss der Beschäftigung mit der eigenen Biografie – wahrscheinlich. „Meine Lebensgeschichte und meine Erfahrungen waren immer das Ideenfass für meine Arbeiten. Ich bin eingetaucht und habe etwas gefunden, was ich erzählen kann.“ In Zukunft sollen die Themen weniger persönlich sein – aber nicht weniger ehrlich.

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